Klage:Gezeichnet fürs Leben

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20-Jährige fordert Schmerzensgeld nach Laugen-Unfall in der S-Bahn

Von Stephan Handel

Eine junge Frau, 20 Jahre ist sie jetzt, und sie kann keinen kurzen Rock anziehen, keine Shorts. Wenn sie schwimmen geht, dann bedeckt sie ihren Körper hüftabwärts immer gleich wieder mit einem Handtuch, damit niemand etwas sehen kann. Vier Jahre ist der Vorfall jetzt her, der Amelie P.s (Name geändert) Leben verändert hat - aber vorbei ist es noch nicht, und wird es voraussichtlich auch nie sein.

An diesem Montag vor dem Landgericht im Justizpalast muss Amelie P. alles noch einmal durchleiden - den Tag, an dem alles anders wurde, und alles, was seitdem geschehen ist. Am 5. Oktober 2015 fuhr sie morgens in die Berufsschule nach München, zum ersten Mal, denn die Ausbildung hatte gerade erst begonnen. Am Ostbahnhof stieg sie in die S 4, setzte sich auf einen freien Platz - und stand gleich wieder auf, denn der Sitz war nass. Als sie am Marienplatz in die U-Bahn wechselte, bemerkte sie ein Ziehen am Gesäß, in der Schule war daraus schon ein Brennen geworden. Mit dem Notarzt kam sie in die Klinik, dort wurde festgestellt: flächige Verätzungen mit Natronlauge.

Über die Video-Aufzeichnung im Zug wurde eine Frau als Verursacherin der fatalen Verschmutzung ausfindig gemacht; nach einer Öffentlichkeitsfahndung stellte sie sich der Polizei. Sie hatte einen Backofenreiniger in einer Tüte dabei gehabt, die Flasche war irgendwie undicht geworden. In einem Strafprozess wurde die Frau wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Nun klagt Amelie P. gegen sie - und gegen die Deutsche Bahn, wegen Schmerzensgeld.

Eine Hauttransplantation war erforderlich, wochenlang durfte Amelie P. nach der Operation nur auf dem Bauch liegen, sie musste für zwei Jahre ständig eine Kompressionshose und Silikonpflaster tragen. Die Narben aber werden bleiben - im Prozess schilderte sie den Zustand ihrer Haut an den verätzten Stellen als "wie mit einer Folie überzogen": immer noch empfindlich, vor allem aber deutlich sichtbar.

Die Klage gegen Verursacherin und Bahn stützt sich zum einen auf die Fahrlässigkeit - hätte die Frau bemerken müssen, dass es aus ihrer Tüte tröpfelte? -, zum anderen auf die Haftung der Bahn. Die Anwältinnen der Beklagten bestreiten zwar zunächst, dass ihre jeweiligen Mandanten überhaupt haftbar gemacht werden können. Diesen Zahn zieht ihnen die Richterin aber ziemlich schnell: Nach "vorläufiger Einschätzung" - so die Formulierung - sehe sie bei beiden sehr wohl eine Haftung.

Somit geht's in die Güteverhandlung, also darum, ob die Parteien sich einigen können. Amelie P.s Anwalt Florian Rummel hat 10 000 Euro gefordert, sagt aber nun, dass er und seine Mandantin sich auch mit einer Summe "5000 + X" zufrieden geben würden. Das Problem dabei: Die beklagte Frau ist selbst mehr oder weniger mittellos, verdient mit zwei Jobs gerade mal 1500 Euro im Monat. Trotzdem sagt sie - nachdem sie sich unter Tränen entschuldigt hat -, sie wäre bereit, monatlich 150 Euro aufzubringen. Die Vertreterin der Bahn jedoch gibt an, die Vergleichsbereitschaft ihrer Mandantin bewege sich "in einem symbolischen Bereich", bei wenigen hundert Euro.

Kein Vergleich also - Amelie P. muss noch einmal schildern, wie alles zuging, ihre Schmerzen während der Therapie, ihre Scham, die sie bis jetzt dazu bringt, nicht zu Hause zum Baden zu gehen, in einem kleinen Ort im Landkreis Rosenheim - sie fährt irgendwo hin, wo sie niemand kennt. Die Ärzte haben ihr gesagt, dass die Narben an ihrem Gesäß bleiben werden, keine Aussicht auf Besserung. Am Ende sind offensichtlich auch die Beklagten-Anwältinnen betroffen, aber es hilft nichts: Seine Entscheidung wird das Gericht Ende Juni verkünden.

© SZ vom 21.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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