Kino und Kirche:"Ich habe zwei Seelen"

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Kirch- und Kinogänger: Eckart Bruchner vor dem Kino Gauting. (Foto: Nila Thiel)

Der evangelische Filmpfarrer Eckart Bruchner, ein Cineast durch und durch, ist am Wochenende 75 Jahre alt geworden

Von Blanche Mamer, Gauting

Das kleine ältere Einfamilienhaus in der Gautinger Villenkolonie unterscheidet sich angenehm von den Häusern der Umgebung. Gemütlich sieht es aus, das Gartentürl hängt ein wenig schief, Gänseblümchen und Traubenhyazinthen blühen in der Wiese. Drinnen, in der Essecke unterhalb der Fotoreihe mit Porträts seiner vier Kinder und sieben Enkel, sitzt Filmpfarrer Eckart Bruchner, der am vergangenen Samstag seinen 75. Geburtstag gefeiert hat. Mit Glück in der Stimme erzählt er von den Kindern. Sie sind längst aus dem Haus und leben mit ihren Familien in Wien, Madrid, Tübingen, Heidelberg.

Filmpfarrer? Klingt nach einer seltenen Kombination. Bruchner gehört zu den Ausnahmeerscheinungen unter den evangelischen Geistlichen. Er hat an der Filmhochschule studiert und sich seine Leidenschaft für weltliche Dramen und Komödien erhalten, ein Cineast durch und durch. Seit 1975 lebt er in Gauting, zum neuen Kino am Bahnhof kann er zu Fuß gehen. Dass er Filmpfarrrer geworden ist, hat auch mit seiner Großmutter zu tun. Geboren und aufgewachsen in Amberg, habe er schon mit vier Jahren Pfarrer werden wollen, sagt er. Predigen habe er so schön gefunden. Seine Großmutter, streng evangelisch wie die ganze Familie, habe ihn öfter in die katholische Basilika St. Martin in Amberg mitgenommen, um eine Kerze anzuzünden. Und sie ging mit ihm ins Kino. Womit sie wohl die Saat gelegt hat für seine Berufswahl: evangelischer Pfarrer, Filmemacher und Lehrer, auch das aus ganzem Herzen. "Ich bin nicht mehr im Lehramt, aber immer noch Pfarrer und Seelsorger und Filmliebhaber", sagt er.

Bruchner studierte Theologie, Philosophie, Kunstgeschichte, Musik und schließlich Film in Erlangen, Nürnberg, Heidelberg, Rom und München. Sein Werdegang war durch Umwege gekennzeichnet. "Ich pendle zwischen Kirche, Schule und Kino", sagt er von sich. Und: "Ich bin Zwilling, ich habe zwei Seelen." 1971, noch bevor er das letzte theologische Examen in der Tasche hatte, entschied er sich dazu, Kunst und Film zu studieren. Er setze alles auf eine Karte und bewarb sich bei der neu gegründeten Hochschule für Fernsehen und Film in München. 800 Bewerber gab es, er wurde als einer von 25 angenommen, einer der ersten Theologie-Studenten im Fach Dokumentarfilm und Fernsehtechnik. Von der Kirche hatte er sich beurlauben lassen.

Eine Zeitlang war er Auslandspfarrer in Rom und Mitarbeiter im dortigen ARD-Fernsehstudio, machte Beiträge vor allem für den Weltspiegel. 1972 hatte er geheiratet, er wollte eine Familie gründen und sesshaft werden. Er landete am Otto-von-Taube-Gymnasium in Gauting, wo er evangelische Religion, Philosophie, Publizistik, Ethik und Italienisch unterrichtete. Er blieb bis zur Pensionierung. Er blieb aber auch an der LMU, wo er Christliche Publizistik lehrte. In Antwerpen übernahm er eine Professur für Interreligiöse Kommunikation und engagierte sich bei der Interfilm-Akademie, einem internationalen Netzwerk für den Dialog zwischen Kirche und Film. Von 1980 bis 2016 war er ihr Direktor. Auf seine Initiative hin wurden der One-Future-Preis und der Prix Interculturel begründet, die jedes Jahr beim Münchner Filmfest vergeben werden.

Ach ja, an seinen Filmgespräche hält er auch fest: in Gauting jeweils am letzten Donnerstag im Monat, sogar an Christi Himmelfahrt. Begonnen hatte er damit 1987 nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl. Seine Frau Renate Bruchner hatte sich bei den "Müttern gegen Atomkraft" engagiert, das Bedürfnis nach Austausch und Diskussionen war groß. Also bot er an, Filme zu zeigen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Daraus entstanden regelmäßige Gespräche über aktuelle Filme. Mit Schließung des Filmcasinos am Hauptplatz war damit erst mal Schluss. Parallel dazu waren die Filmgespräche in Gräfelfing und im Rio-Filmpalast München entstanden. Es sind kleine Medienseminare. Bruchner gelingt es, den Zuschauern Ansichten zu entlocken, sie zu ästhetischen und politischen Fragestellungen zu animieren. Und danach wird im kleinen Rahmen weiter diskutiert.

Das Leben war schön, bis 2016. Da wäre er fast gestorben. Während einer Bandscheibenbehandlung hatten multiresistente Keime seine Wirbelsäule befallen. Er musste ins künstliche Koma versetzt werden und lag Monate im Krankenhaus. "Am Ostersonntag vor zwei Jahren bin ich aufgewacht ... und habe plötzlich Englisch gesprochen. Ich habe danach mühsam aufstehen und laufen gelernt. Und bin jetzt wieder ganz da", sagt er und lacht. Er hat alle Jobs aufgegeben, nur die Filmgespräche nicht. Und auch nicht sein lokalpolitisches Engagement. Wie jüngst, als auf dem ehemaligen Grundschulgelände am Bahnhof alle alten Bäume gefällt wurden. Da versammelte er die protestierenden Frauen zum Gebet.

© SZ vom 28.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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