Kindesentführung:Der todkranke Entführer schweigt

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Ein Rennen gegen die Zeit: Ein Vater lässt seinen Sohn in die Türkei verschleppen. Nun ist er todkrank und will das Geheimnis um das Versteck seines Sohnes mit ins Grab nehmen.

Susi Wimmer

Olesya Rahimi hebt den Kopf, strafft die Schultern und bemüht sich, die Fassung zu bewahren. Trotzdem schießen der blonden jungen Frau schon bei den ersten Fragen der Journalisten die Tränen in die Augen, ihre Stimme zittert. "Mama, ich bin müde und will schnell nach Hause", hat ihr Sohn ihr am Telefon gesagt.

Wo sich der neunjährige Timur aufhält, weiß die 30-jährige Mutter nicht. Timur wurde vor einem halben Jahr in die Gegend von Istanbul verschleppt. Auftraggeber der Entführung: sein eigener Vater. Jetzt liegt der 55-Jährige todkrank in einer Münchner Klinik und will das Geheimnis um Timurs Versteck mit ins Grab nehmen.

Die Entführung, so sehen es die Polizei und Olesya Rahimi, ist ein Racheakt des Vaters. "Weil ich nicht mehr mit ihm leben wollte", erklärt die 30-Jährige. Vor zehn Jahren lernte die Usbekin den 25 Jahre älteren Kaufmann Mohammad Rahimi in der usbekischen Hauptstadt Taschkent kennen und lieben. Die Frau wurde schwanger, brachte Timur zur Welt, aufs Standesamt ging das Paar damals allerdings nicht.

"Ein liebevoller Vater"

Der Reifenhändler Rahimi, der laut Polizei gutgehende Geschäfte in der ganzen Welt tätigte, war nach Angaben der Mutter ein liebevoller Vater. Die gelernte Krankenschwester zog Timur groß, studierte nebenbei und schaffte ihren Abschluss als Ärztin.

Die Beziehung zu dem wohlhabenden Kaufmann Rahimi aber wurde immer schwieriger, wie Ermittler Richard Thiess erzählt. Rahimi musterte seine Frau quasi aus und brachte eine neue in die gemeinsame Wohnung: Olesya Rahimi sollte sich damit abfinden, dass ihr Lebensgefährte eine andere Frau hatte.

2005 wiesen die Behörden Mohammad Rahimi aus unbekannten Gründen aus Usbekistan aus, Mutter und Sohn blieben in Taschkent zurück. Nun verlangte der Vater, die Frau solle mit dem Kind nach München kommen. Olesya Rahimi weigerte sich. Auch weil in München zwei mittlerweile von Rahimi geschiedene Frauen mit acht Kindern und zahlreichen Enkelkindern leben.

Am 26. November 2006 sah Olesya ihren Sohn zum letzten Mal: Er spielte vor dem Haus in Taschkent - dann verschwand er. Wie Mohammad Rahimi mittlerweile einräumte, wurde der Sohn von Mittelsmännern in den Kofferraum eines Autos gesteckt und auf Umwegen in die Türkei verschleppt. Dort werde er an einem unbekannten Ort gefangengehalten.

Die Mutter erstattete Anzeige bei der Polizei in Taschkent und informierte die Deutsche Botschaft, zumal Mohammad Rahimi mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt hatte. Aus Sorge um den Sohn gab Olesya klein bei, heiratete den Vater ihres Kindes Anfang 2007 in Dänemark und folgte ihm nach München. Entgegen seinen Ankündigungen aber ließ er den Sohn nicht frei. Die Frau durfte nur ab und zu mit dem Neunjährigen telefonieren.

Mittlerweile liegt der 55-Jährige im Krankenhaus. Er hat Krebs und die Ärzte rechnen damit, dass er bald stirbt. Für Olesya Rahimi und die Polizei tickt die Uhr: Denn sie wissen nicht, was die Geiselnehmer mit Timur vorhaben, wenn Mohammad Rahimi stirbt. 3000 Euro Belohnung sind ausgesetzt für Hinweise auf Timurs Versteck. Außerdem fragt die Polizei nach Rahimis Geschäftskontakten oder Verbindungen nach Istanbul.

© SZ vom 4.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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