Kinderherzstation in München:Leben auf der Warteliste

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Die 18 Monate alte Lea ist eines von 35 Kindern in Deutschland, die auf ein neues Herz warten. Für die Familie ist die Belastung extrem. Zu Besuch auf der Kinderherzstation im Klinikum Großhadern.

Nina von Hardenberg

Aus dem Zimmer der Intensivstation des Münchner Klinikums dringt ein Jauchzer. Die eineinhalbjährige Lea sitzt auf einem Bobbycar und quietscht vor Freude, wenn ihr Vater das Auto anschubst. Zwei Meter vor und zwei Meter zurück reicht das Kinderglück.

Weiter kann das Auto nicht fahren, denn nur so lang sind die Schläuche, die aus Leas Brust zu einer großen Pumpe führen - einem fast zwei Meter hohen Schrank, der neben der kleinen Rennfahrerin knackt und schnauft. Lea ist schwer herzkrank. Die Ärzte haben sie deshalb in einer Operation mit einem künstlichen Herzen verbunden. Doch jeder Tag an der Maschine ist ein Tag in Lebensgefahr. Nur ein neues Herz kann Lea retten.

Zwei Meter vor und zwei Meter zurück - auch das Leben der Eltern ist auf diesen Radius zusammengeschrumpft. Das Krankenhausbett von Lea ist Wickelkommode, Esstisch, Spiel- und Wohnzimmer zugleich. Der Vater pendelt zwischen der Klinik und dem Haus der Familie in Achen.

Er kommt, wann immer er kann. Mutter Anne Klein, die genau wie ihre Tochter eigentlich anders heißt, lebt seit fast einem Jahr mit Lea im Klinikum Großhadern in München. "Mein altes Leben findet nicht mehr statt", sagt sie. Zu viel Kontakt zu ihren Freunden könne sie auch gar nicht aushalten. Sie lebt "von Tag zu Tag und von Schicht zu Schicht". Mit ihrer Tochter und mit den Fragen und Zweifeln, ob sie den richtigen Weg für ihr Kind eingeschlagen hat.

920 Deutsche warteten nach Angaben von Eurotransplant Ende 2009 auf ein neues Herz, davon 35 Kinder unter 16 Jahren. Viele von ihnen schweben in Lebensgefahr, denn ein schwerer Herzfehler ist immer ein existentielles Problem. Ein gespendetes Organ schenkt einem Menschen ein zweites Leben, heißt es. Für Säuglinge geht es darum, dass ihr Leben außerhalb der Klinik überhaupt erst richtig beginnt.

Ein Leben mit Krankheit, Klinikaufenthalten und Wartelisten wird es jedoch immer bleiben. Denn Kinder, die im Säuglingsalter transplantiert werden, brauchen nach heutigem Wissen mehrmals in ihrem Leben ein neues Herz.

Wer die Kinderherzstation des Klinikums Großhadern besucht, gewinnt einen Eindruck davon, wie ein solches Leben auf der Warteliste für Kinder und Eltern aussieht und warum so viele Eltern sich aller Einschränkungen zum Trotz dafür entscheiden.

Die kleine Lea war gerade mal drei Tage alt, als die Ärzte im Gespräch mit den Eltern die Möglichkeit einer Transplantation ins Gespräch brachten. "Das schlug ein wie ein Bombe", erinnert sich die Mutter. Die 32-Jährige spricht mit rheinländischem Akzent, was sie gelassen und fröhlich wirken lässt, obwohl sie ständig voller Sorge ist. Seit der 31. Schwangerschaftswoche wusste sie, dass das Kind in ihrem Bauch einen Herzfehler hatte. Die Ärzte hatten ihr deshalb schon in der Schwangerschaft Medikamente für das Kind gegeben.

Gegen die Angst gaben sie ihr nichts. Als sich der Zustand des Kindes nach der Geburt dramatisch verschlechterte, boten die Ärzte den Eltern auch an, das Kind mit nach Hause zu nehmen und dort sterben zu lassen. Ärztliche Sterbebegleiter hätten sie bis zuletzt unterstützt.

Wie weit kann man gehen? Wann hört man auf? Ist nicht ein kurzes gutes Leben besser als dieser Wahnsinn? Das sind die Fragen, die sich die Kleins immer wieder stellten. "Wir wollten uns einig sein, denn wir müssen mit jeder Entscheidung weiterleben", sagt die Muter. Am Ende nahm Lea ihnen die Entscheidung ab.

Nachdem sie in der dritten Nacht fast gestorben wäre, besserte sich ihr Zustand und sie konnte mit Medikamenten nach Hause gehen. Die Atempause dauerte ein halbes Jahr. Sechs Monate, in denen die Kleins mit Lea ein fast normales Familienleben lebten. Als es ihrer Tochter dann wieder schlechter ging, hatten sich die Eltern längst entschieden - für die Transplantation und für alles, was damit verbunden sein würde. "Wir wollen Lea die Zeit, die sie hat, so schön wie möglich machen", sagt Anne Klein.

Die Ärzte in Großhadern unterstützen sie in dieser Entscheidung. Die Kinderherzstation der Ludwig-Maximilians-Universität in München ist eines der drei großen Herz-Lungen-Transplantationszentren für Kinder in Deutschland. Der Leiter, Professor Heinrich Netz, war Teil des Ärzteteams, das 1988 zum ersten Mal in Deutschland einem Neugeborenen ein Herz transplantierte.

Eine Operation, die damals noch umstritten war, weil unklar war, ob die Kinderherzen im neuen Körper mitwachsen würden. Heute dagegen sei die Herztransplantation fast schon eine Standardtherapie, sagt Netz. Was ihm Sorge mache, sei nicht die Operation, sondern der Mangel an Spenderherzen. "Das sind ansonsten kerngesunde Kinder, für die ich kein Organ bekomme", schimpft Netz.

Ein Drittel aller für eine Transplantation gelisteten Kinder sterben, weil für sie nicht rechtzeitig ein Herz zur Verfügung steht. Der Arzt hat einen weißen Schnauzbart und Lachfalten in den Augenwinkeln. Er strahlt etwas väterlich Beruhigendes aus, wenn er erzählt, wie gut es dem ersten Säugling, den er transplantierte, heute noch geht. Er sei Automechaniker geworden und spiele Handball.

Nicht immer läuft die Operation so glatt. Über den Flur der Intensivstation lenkt noch eine weitere Patientin ihr Dreirad. Sie hat schwarze Haare und dunkle Augen, die frech über ihrem Mundschutz funkeln. "Munschuss", kann sie auch schon sagen, das heißt: Mundschutz. Die kleine Katharina Vogler hatte Pech: Das erste Herz, das ihr mit sieben Monaten verpflanzt wurde, war offenbar krank. Jetzt mit fünfeinhalb Jahren wartet sie wieder auf ein neues Herz und diesmal auch auf eine Niere.

Denn die Niere hat die lange Wartezeit auf die erste Transplantation, in der der Körper schlecht durchblutet war, nicht überstanden. Auch hört Katharina seither schlecht und spricht für ihr Alter wenig. Ihre Eltern haben viele Grenzsituationen erlebt, in denen das Leben ihres Kindes auf der Kippe stand.

"Sterbenlassen war für uns keine Alternative", sagt die Mutter, und dass ihre Tochter eine Kämpferin sei, mit einem riesigen Lebenswillen. Die Mutter spricht aus, was wohl die meisten Eltern hier denken. Ihr Kind ist krank und sie würden alles dafür tun, dass es ihm besser geht - und sei es nur für einige Jahre.

"Solange es Lea gut geht, ist alles gut", sagt Anne Klein. Es gelinge ihr, die Angst um ihr Kind zu verdrängen. Dabei weiß sie, dass ihr Kind jeden Moment sterben kann. Damit das Kunstherz richtig funktioniert, müssen die Ärzte Leas Blut stark verdünnen, so sehr, dass sie ständig Gefahr läuft, Gehirnblutungen zu erleiden. "Wir wissen nicht, ob wir wieder mit ihr nach Hause fahren können", sagt Anne Klein ganz ruhig.

Die Angst verdrängt sie, aber das Warten macht die Mutter mürbe. Seit zehn Monaten schon war sie nicht mehr zu Hause. Sie plant nichts mehr und geht nie mehr mit Freunden aus. "Meine Aufgabe ist jetzt hier", sagt Klein. Sie sitzt jetzt mit ihrer Tochter auf dem Boden des Krankenhauszimmers auf einer Schaumstoffmatte. Die Szene wirkt harmonisch und friedlich.

Doch dann stößt die Maschine plötzlich ein dröhnendes Warnsignal aus. Lea hat sich in den Schläuchen verwickelt, die Pumpe ist abgeklemmt. Eine Ärztin und zwei Pfleger kommen in den Raum gerannt. Doch da hat das Kind sich schon von selbst wieder befreit. Sie sieht den Menschenauflauf, hält ein Bilderbuch hoch, sagt "da!" und lacht.

Sie lacht ein helles Kinderlachen, mit dem sich Kinder über das Leben und vor allem über sich selbst freuen. Es ist ein Lachen, hinter dem alle Schläuche und Pumpen verschwinden und das keinen Raum für Zweifel über Sinn oder Unsinn dieses künstlichen Lebens auf der Intensivstation lässt. Die Mutter und die umstehenden Ärzte und Pfleger können jetzt auch nicht anders. Sie alle müssen mitlachen.

© SZ vom 06.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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