Keine Medikamente durch Rettungssanitäter:Spritzen verboten

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Wenn Rettungssanitäter gerufen werden, geht es oft um Leben und Tod. Doch nun dürfen die Helfer keine Medikamente mehr verabreichen, sondern müssen auf den Notarzt warten. Für die Patienten könnte das möglicherweise zu spät sein.

Stephan Handel

Herzinfarkt, Schlaganfall, schwere Blutungen - wenn der Rettungsdienst gerufen wird, geht es oft um Leben oder Tod, und damit um Minuten. Oft genug stehen Rettungssanitäter vor einer schweren Entscheidung: Sollen sie dem Patienten ein Medikament verabreichen, das ihm helfen würde - oder sollen sie auf den Notarzt warten, der nach dem Buchstaben des Gesetzes als Einziger dazu berechtigt ist?

Sanitäter des Roten Kreuzes: Sie leisten wertvolle Ersthilfe, noch bevor der Notarzt eintrifft. (Foto: lok)

Diese Entscheidung hat der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes im Rettungszweckverband München den Sanitätern nun abgenommen: In einem Brief vom 19. Juni weist Uwe Kreimeier die "Verantwortlichen Leiter der Hilfsorganisationen" an, "von der intravasalen Gabe von Medikamenten durch Rettungsdienstpersonal derzeit abzusehen". Das bedeutet: Sanitätern ist es nicht mehr erlaubt, Medikamente durch Injektionen oder Infusionen zu geben, sie müssen immer erst auf einen Arzt warten.

Kreimeier nennt in dem Brief als Grund für die Anweisung, die Medikamentengabe durch Rettungskräfte habe in den vergangenen Wochen "sprunghaft zugenommen" und nennt vier Fälle, unter anderem die Verabreichung von Midazolam, eines starken Beruhigungsmittels, hier allerdings angewandt zur Unterbrechung eines Krampfanfalls. Es gebe, schreibt Kreimeier weiter, kein Konzept für diese Praxis. Außerdem sei durch die Organisationsstruktur des Rettungsdienstes in München "das zeitnahe Eintreffen eines Notarztes sichergestellt" - selbst wenn dieser erst später angefordert werde.

Ein "in München tätiger, wohnhafter und besorgter Notarzt", der seinen Namen nicht nennen will, bezweifelt diese Argumentation: Ein Rettungswagen brauche nach der Alarmierung durchschnittlich sechs bis acht Minuten zum Patienten. Stellen die Retter dort fest, dass sie einen Arzt benötigen, benötigt der mindestens noch einmal so lange. Dies, so schreibt der Notarzt weiter, bedeute für den Patienten - obwohl qualifizierte Hilfe vor Ort sei - "erneute lange und quälende Minuten". Bei einem Patienten mit einem anhaltenden Krampfanfall könne verspätete Medikamentierung bleibende Hirnschäden verursachen - und bei solchen, die reanimiert werden müssen, "können diese Minuten ohne Medikamentengabe lebensentscheidend sein".

Dieter Deinert ist Landesgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes und als solcher verantwortlich für den Rettungsdienst seiner Organisation. Er hat Kreimeiers Brief erhalten und an seine Mitarbeiter weitergegeben - allerdings schränkt er ein: "In einem Notfall ist jeder Mensch, mehr noch ein Rettungssanitäter, zur Hilfe verpflichtet. Somit ist auch eine Medikamentengabe vom Gesetz gedeckt." Deinert sieht die Anweisung in der Stadt München nicht so problematisch - hier sei der Notarzt auch bei Nach-Alarmierung in fünf bis sechs Minuten am Einsatzort. Auf dem Land allerdings könne es schon zu gefährlichen Verzögerungen kommen. Nun will Deinert mit dem Ärztlichen Leiter "in einem Dialog treten" und zu einer "vernünftigen Lösung" kommen.

Uwe Kreimeier, im Hauptberuf Oberarzt in der Anästhesiologie am Klinikum Großhadern, war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

© SZ vom 03.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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