Kaum Interesse:Grundschulen zögern bei offenem Ganztag

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Nur zwei von 133 Einrichtungen wollen das neue Nachmittagsangebot für Kinder einführen. Das ist zwar kostenlos, aber nach den Regeln des Freistaats müsste dazu die gut ausgestattete Mittagsbetreuung aufgelöst werden

Von Melanie Staudinger

Münchens Grundschulen nehmen das neue Angebot der offenen Ganztagsklassen nur sehr zögerlich an. Von 133 Einrichtungen werden voraussichtlich nur zwei im kommenden Schuljahr eine solche Nachmittagsbetreuung für Kinder einrichten: die Grundschule an der Ichostraße in Obergiesing und die Grundschule an der Paulckestraße im Hasenbergl. Drei weitere Interessenten hätten sich umentschieden, sagt Schulamtsleiterin Alexandra Brumann. Sie erklärt sich die Zurückhaltung mit den gewachsenen Strukturen in der Landeshauptstadt. So gibt es beispielsweise an jeder Grundschule eine Mittagsbetreuung. Diese müssten aber nach den Regeln des Freistaats zugunsten des offenen Ganztags aufgelöst werden.

Diesen Schritt will Martin Rothenaicher nun wagen. Der Leiter der Ichoschule setzt schon lange auf den Ganztagsunterricht, gewann für sein Konzept 2014 den Innovationspreis für innere Schulentwicklung. Zwei der drei Parallelklassen in jedem Jahrgang sind bereits jetzt bis mindestens 15.30 Uhr an der Schule - im sogenannten gebundenen Ganztag, in dem sich Lern- und Erholungsphasen am Vormittag und am Nachmittag abwechseln. Und auch aus den anderen Klassen geht kaum jemand nach Schulschluss heim. Diese Kinder besuchen momentan die Mittagsbetreuung. Nun sollen ihre Eltern sie für den offenen Ganztag anmelden, der am Nachmittag als Betreuung an den regulären Unterricht anschließt.

"Wir sind den ganzen Weg gemeinsam mit dem Förderverein unserer Schule und den Mitarbeiterinnen der Mittagsbetreuung gegangen", sagt Rothenaicher. Kein leichtes Unterfangen, schließlich wird ein bestehendes und gut funktionierendes System zugunsten eines neuen Angebots aufgegeben. Dennoch biete der offene Ganztag Entwicklungsperspektiven für seine Schule, erklärt der Rektor. "Einige Familien konnten sich bei uns zum Beispiel die Mittagsbetreuung einfach nicht leisten", sagt er. Unter anderem für sie ist das neue Angebot gedacht. Im Gegensatz zur Mittagsbetreuung, für die an Münchens Grundschulen monatlich zwischen 80 und 150 Euro bezahlt werden muss, ist der offene Ganztag kostenlos. Nur das Mittagessen wird extra berechnet.

Rothenaicher erhofft sich aber auch eine pädagogische Weiterentwicklung. "Die Mittagsbetreuung funktionierte super, aber der offene Ganztag ist noch enger mit der Schule verzahnt und bietet noch mehr Qualität", sagt er. Die Kinder können nach der Schule Essen und ihre Hausaufgaben erledigen. "Das können wir nun künftig nach Klassen machen und nicht mehr in gemischten Gruppen." So sei eine gezieltere Förderung der Kinder möglich. Allerdings soll auch das gemeinsame Spielen nicht zu kurz kommen. Eltern können wählen, ob ihre Kinder bis 14 oder bis 15.30 Uhr bleiben werden. "Wir planen, die Betreuungszeit durch zusätzliche Angebote abends und in den Ferien noch zu verlängern", sagt der Rektor. Diese müssten allerdings trotz der staatlichen Zuschüsse von den Eltern extra bezahlt werden. "Jetzt starten wir erst einmal und bauen dann sukzessive aus", erklärt Rothenaicher.

Tatsächlich lässt der Freistaat, der die offenen Ganztagsgruppen zum Schuljahr 2015/16 als Pilotprojekt eingeführt hat, viel Geld springen. Für das Angebot bis 16 Uhr etwa bezahlt er zwischen 23 700 und 32 100 Euro pro Gruppe, die Stadt gibt noch einmal 5500 Euro dazu. Dennoch profitieren viele Schulen auch von ihren Mittagsbetreuungsgruppen. Hier gibt es vom Staat zwischen 3323 und 9000 Euro je Gruppe und Schuljahr, die Stadt bezahlt 11,50 Euro pro Betreuungsstunde und Gruppe. Zusätzlich stellt die Stadt einen Etat von 280 000 Euro für Sachleistungen.

Dass die Mittagsbetreuungen relativ gut ausgestattet sind, könnte ein Grund dafür sein, dass so wenige Schulen sich an den offenen Ganztag herantrauen, sagt Schulamtsleiterin Brumann. Sie plädiert dafür, dass jede Schule für sich die richtigen Angebote finden muss - sei es gebundener oder offener Ganztag, Hort oder Mittagsbetreuung. "Die Schulleiter wissen am besten, was die Familien brauchen", erklärt sie.

Doch es gibt auch Kritiker des neuen Konzepts. Die Stadt setzt bekanntlich auf den gebundenen Ganztag, und Schulbürgermeisterin Christine Strobl (SPD) hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie die offenen Gruppen für pädagogisch wenig sinnvoll hält. Es dürfe kein Nebeneinander von Vormittag und Nachmittag geben, monierte sie. Vielmehr brauche es ein abgestimmtes pädagogisches Konzept. Dennoch votierte der Stadtrat im März für die Einführung der offenen Klassen, allerdings nur unter der Bedingung, dass keine bestehenden Betreuungsplätze wegfallen.

© SZ vom 10.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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