Kampf gegen Terror:Die Angst um den Frieden

Lesezeit: 6 min

Vor allem ältere Menschen haben Angst vor einem Krieg. Gegner des Militärschlags protestieren auf dem Marienplatz.

Stephan Handel

(SZ vom 12.10.2001) - Am Tag, als der Krieg begann, war die Bar gut besetzt. Vino Tinto, Caipirinha, edler Jazz, Vitello Tonnato mitten in Neuhausen. In der Ecke der Fernseher. n-tv. Unten die Aktienkurse. Oben ein Laufband mit den Meldungen vom Krieg. Dazwischen: Grünes Gesuppe, wie ein veralgter See. Das ist Kabul, das ist der Angriff. Alle sehen: Nichts.

Jetzt der Kanzler und der Außenminister. Pressekonferenz live. Lippenlesen - der Ton natürlich abgestellt. Trotzdem schaut jeder hin. Als könnte ihnen der tonlose Kanzler mitteilen, was sie nun tun sollten. Joschka Fischer nestelt in der Sakkotasche und holt das Handy heraus. Steckt's wieder weg. Es ist sehr leise in der Bar.

Hans Späth sagt, er halte sich selbst für einen bedächtigen Menschen. "Manchmal brauche ich tagelang, um die Dinge in meinem Kopf zu regeln." Späth ist Pfarrer von Herz Jesu in Neuhausen. Als sich die Jets in das World Trade Center bohrten, war er im Urlaub, erst am Sonntag drauf kam er nach Hause. Da hatte die Pastoralreferentin Predigtdienst, und das war ihm ganz recht.

In der Woche drauf sprach er über das christliche Menschenbild und darüber, wie das Böse in die Welt kommt. Dass der Mensch nicht der Teufel sei und nicht zum Teufel gemacht werden dürfe. Das ist momentan nicht unbedingt Konsens in der Gesellschaft - dennoch, sagt Hans Späth, hätten alle zugehört, "kein Husterer".

Nur ein Paar stand nach der Predigt auf und ging. Aber denen, so denkt er, war's einfach zu lange, 25 Minuten, weil er sich nur Stichworte aufgeschrieben hatte und ansonsten frei sprach.

Eine rote Rose haben sie in den Altarraum von Herz Jesu gestellt, mit einem Trauerflor rundrum. Und er habe auch bei keinem liturgischen Anlass versäumt, auf die Geschehnisse einzugehen. Bei sich selbst, sagt der Pfarrer, bemerke er sehr wohl das Bedürfnis fest, zu reden über New York und die Folgen: "Ich kann mich an kein Gespräch erinnern, in dem's nicht darum gegangen wäre."

Und doch hat er das Gefühl, dass "das Thema nach Außen kein Thema ist": Nicht in den Beichtgesprächen. Nicht in den Ministrantengruppen. Nicht bei den Firmlingen. Nur von einer Familie habe er gehört, gut katholisch, drei Kinder, die habe sofort ihren ganzen Keller mit Vorräten vollgebunkert.

Und zum Bibelkreis nach seiner Predigt kamen so viele Leute wie noch nie, über 20 statt zehn bis zwölf normalerweise. Eine Hilflosigkeit spürt er - nicht einmal Spenden helfen etwas, die Erleichterung des Gewissens über das Bankkonto: Sind halt keine armen Kinder aus Afrika. Sondern Amerikaner, das reichste Land der Erde. "Sogar das ist ihnen dieses Mal genommen." Jetzt überlegt der Pfarrer, ob er nicht doch eine Art Kondolenz- Buch auflegen soll in seiner Kirche "damit die Menschen sich artikulieren können".

Dienstag nachmittags auf dem Marienplatz brüllt ein junger Mann: "Deutschland erwache!" Da schauen die Menschen erst ein bisschen erschrocken - aber er meint ja nur: zu Jesus. Mit lauter Stimme, die Bibel in der Hand, geißelt er, was ihm missfällt im Land: Dass Jugendliche rauchen, Alkohol trinken und sogar Sex haben, "außerhalb der Ehe".

Vom aktuellen Geschehen, von George Bush und Osama bin Laden sagt er nichts. Trotzdem klingt's irgendwie...fundamental. Talibanesk. Ein paar Schritte weiter weiß das "Universelle Leben" an einem Büchertisch schon ziemlich genau, wer Schuld trägt an der ganzen Misere: "Kadaverfresser", schreit eine Schlagzeile, die Nichtvegetarier dieser Welt müssten umkehren endlich, dann wird alles besser.

Das "Universelle Leben" hält sich praktischerweise eine eigene Nachrichtenagentur, die CNA. Und die hat ebenfalls eine griffige Erklärung parat, wie das alles geschehen konnte. Leicht möglich nämlich, schreibt CNA, dass die Seelen der Taliban aus einer Zeit stammen, als das Christentum den Moslems viel Leid antat, Kreuzzüge etc. Und nun würden sich diese weitergewanderten Seelen daran erinnern. Woraufhin ihre derzeitigen Träger, die Taliban also, gar nicht anders könnten, als die Christen zu hassen. Jetzt ist es endlich raus: Die Reinkarnation ist schuld.

Nein, sagt Klaus Grothe-Bortlik, sie haben nicht mehr Anrufer hier seit Sonntag. Das liegt einfach daran, dass die evangelische Telefonseelsorge in der Landwehrstraße sowieso am Rande ihrer Kapazität arbeitet: "Mehr Anrufe könnten wir gar nicht entgegennehmen", sagt Grothe-Bortlik.

120 ehrenamtliche Mitarbeiter besetzen die Telefone im Schichtdienst, die meisten Frauen. Sie nahmen im letzten Jahr fast 35000 Mal den Hörer ab - hörten Geschichten von Einsamkeit, zerbrochener Liebe, zerborstenen Leben. Hörten manchmal gar nichts und manchmal ein blödes Kichern. Jetzt, sagt die Sozialpädagogin Christl Tillmann, sprechen die Anrufer oft vom Krieg, von ihrer Angst, vom Unfassbaren des Geschehenen.

Viele alte Menschen, die den Weltkrieg noch selbst erlebt haben. "Aber wenn man dann ein bisschen wartet, dann kommen die Menschen auf ihr eigentliches Problem." Der Krieg, so scheint es, verstärkt die Furcht, die die Menschen in sich tragen. "Wenn jemand eh schon Sorgen hat, dann sieht er so etwas gleich noch schwärzer", sagt Tillmann.

Im Flur der Telefonseelsorge brennt seit dem 11. September eine Kerze. Daneben blüht violett ein Alpenveilchen. Merkwürdig schmucklos - "ein Ohnmachtszeichen", sagt Christl Tillmann. "Aber die Betroffenheit war schon ganz stark." Alle drei Wochen treffen sich die Mitarbeiter und sprechen über ihre Arbeit, was sie erlebt haben, worüber sie sich ärgern und freuen.

Und natürlich ging es zuletzt in diesen Gesprächen auch um die neue Situation: Dass sie den Anrufern nicht mehr aus gesicherter Position begegnen, als glücklich Verheiratete zum Beispiel, die mit einem Liebeskummernden über seine kaputte Beziehung redet. Sondern als jemand, der genauso rat- und hilflos ist. "Da besteht die Chance für eine neue Art von Nähe", sagt Klaus Grothe-Bortlik.

Nur einmal, kurz nach dem Anschlag in New York, da hat eine Ehrenamtliche um Rat gefragt bei den Sozialpädagogen: Eine Anruferin hatte Verwandte in Amerika, die auch mit dem World Trade Center zu tun hatten. Nun wusste sie nicht, ob sie noch lebten oder unter den Trümmern lagen. Aber eigentlich ist solch konkrete Hilfe ihre Aufgabe nicht. "Wir hören zu und nehmen die Leute ernst", sagt Klaus Grothe-Bortlik. "Viele wollen einfach nur nicht alleine sein."

Gott sei Dank: Es gibt noch Gasmasken. Aus Berlin war die Nachricht gekommen, dass dort die Schutzrüssel komplett ausverkauft seien, teilweise müssten die Militaria-Händler schon auf NVA-Bestände zurückgreifen. Aber hier, in der Leopoldstraße, liegt leuchtend grün eine im Schaufenster des Army-Shops, 49,90 Mark, der Filter dazu noch mal 19,90 Mark.

Ob sich erhöhtes Sicherheitsbedürfnis der Münchner auf seinen Geschäftsgang auswirkt - darüber will der Mann im Laden nicht reden: "Keine Zeit, keine Zeit", ruft er und verschwindet nach hinten. Außer ihm ist kein Mensch im Geschäft.

Angst? So eine wie sie hat doch keine Angst. "Acht Jahre bin ich alt gewesen, wie der Krieg war." Sie sieht eigentlich nicht so aus, als gehörte sie hierher: Bluse, Bernsteinkette, Dauerwelle. "Die jungen Leute wissen ja nicht, wie Krieg ist. Deswegen bin ich hier." Es ist insgesamt eine merkwürdige Allianz, die sich den "Tag X" schon vor drei Wochen angekreuzt hat im Kalender, "18 Uhr auf dem Marienplatz, sobald die USA und die Nato mit ihren beabsichtigten Militärschlägen beginnen": 500 Leute demonstrieren am frühen Montag abend, und schwer lässt sich vorstellen, was sie gemeinsam haben außer Angst, Sorge, Zorn und Wut vielleicht auch.

In den Flugblättern, die sie verteilen, ist die Heterogenität zu besichtigen: Die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" schreibt, nun sei die Zeit des aktiven Widerstands gegen Kanzler Schröders Großmacht-Streben gekommen, die PDS erklärt sehr staatsmännisch, der Teufelskreis von Rache und Vergeltung müsse durchbrochen werden. Die Freie Deutsche Jugend fordert Solidarität mit einem Total-Verweigerer, während die Schwabinger Friedensinitiative daran erinnert, dass im Krieg immer viel gelogen wird.

Ein anderes Münchner Bündnis packt Gelegenheit sowie Zielgruppe beim Schopf und erläutert eindringlich, warum im Grunde die CSU an allem schuld ist und wieso deshalb alle am Samstag in Nürnberg "die demokratischen Grundrechte gegen Stoiber und Berlusconi" mitverteidigen sollen. Eine Blümchenbluse verteilt Zettel für die DKP.

Wie nicht anders zu erwarten, glaubt die George W. Bush kein Wort: "Um's Erdöl geht es!" donnert die Schlagzeile mit echtem Pathos und falschem Apostroph. Den Text für die DKP hat Conrad Schuhler geschrieben; der steht gerade oben am Rednerpult und sorgt sich um "unsere Hochhäuser, unsere Massenverkehrsmittel, unsere Atomkraftwerke". Das ist eigentlich schon ein bisschen lustig. Aber nach Lustigsein steht ihnen gerade nicht der Sinn.

Dass in Zeiten wie diesen die Menschen zusammenrücken, hat Christl Tillmann von der Telefonseelsorge gesagt und bedauernd hinzugefügt: "Die Leute, die bei uns anrufen, haben niemanden zum Rücken." Hier, auf dem Marienplatz, rücken sie - Friedenschristen und Kommunisten, Betroffene und Politisierte, Generalisten des Weltfriedens und Leute, die schlicht die Angst umtreibt: Dass der Krieg zu ihnen kommen könnte.

Auf dem Podium ruft Gerta Manz vom Münchner Friedensbündnis: "Was sollen wir denn jetzt machen? Sollen wir eine große Demonstration machen, sollen wir alle nach Berlin fahren oder überlegen, was wir sonst noch machen können?" Unten halten die Demonstranten tapfer ihre Transparente an Stöcken in die Luft. Manche schauen aus, als wollten sie beten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: