Jung und gut:Aufstand der Praktikanten

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Das "Bavarian Open" vertreibt die Sorgen der gut Ausgebildeten.

Sebastian Gierke

Der ganze Saal singt den Refrain: "Wir sind jung und machen uns Sorgen über unsere Chancen auf dem Arbeitsmarkt." Peter Licht schafft so etwas.

"Cat Power" alias Chan Marshall - eine der Künstlerinnen beim Festival "Bavarian Open". (Foto: Foto: ddp)

Vorher hat er Hunderte Zettel im Publikum verteilt, auf denen die Befindlichkeit der sogenannten "Generation Praktikum" beschrieben ist. Diesen Text sprechsingt er jetzt, begleitet von einer Sitar aus Indien, einem Land, an das, so fürchten viel zu viele hierzulande, hierzulande viel zu viele Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Mit einem verschämten Lächeln zwar, aber doch voller Inbrunst, plärren dann einige hundert Menschen diese Zeilen mit und geben Peter Licht damit recht.

Von der Angst

Jung und gut ausgebildet sind die allermeisten hier. Dazu haben sie viele Freiheiten bei der individuellen Lebensgestaltung. Doch daher kommen auch die Sorgen. Denn Angst ist das Schwindelgefühl der Freiheit. Freiheit ist aber auch Voraussetzung für tolle Leistungen, seien es künstlerische oder organisatorische.

Genau das bewies der Zündfunk, das Szenemagazin des Bayerischen Rundfunks, eindrucksvoll mit den vierten "Bavarian Open" im Funkhaus. Das Festival war dieses Jahr so schnell ausverkauft wie noch nie, und das, obwohl noch unbekanntere, abseitigere Bands verpflichtet wurden als die Jahre zuvor und die Live-Bilder sogar über das Internet empfangbar waren.

Am Konzept hat sich dabei grundsätzlich nichts verändert, versichert Ulrike Ebenbeck, Chefin des Zündfunks und Festival-Organisatorin. "Huckepackprinzip", nennt sie es: "Deutsche Newcomer bekommen, gleichberechtigt mit bereits bekannten, nationalen und internationalen Künstlern, die Chance, sich einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren." Und mittlerweile braucht es nicht einmal mehr große Zugpferde: Die Besucher vertrauen der Musikauswahl des Zündfunks voll und ganz.

Fragt man einige der 1700 Festivalbesucher, weshalb sie gekommen sind, nennt beinahe niemand eine bestimmte Band. Die Leute wollen Neues entdecken. Das macht die besondere Atmosphäre des Festivals aus, offen und gelassen. Keine Selbstverständlichkeit für Indie-Konzerte, deren Besucher meist betont lässig tun, die aber oft orthodox genrefixiert und borniert sind, denen gut aussehen oft wichtiger ist als die Musik.

Subversion!

Sogar die Frisurenvielfalt ist hier einmal größer als bei den US-Marines: kein Angriff der Scheitelkrieger zu befürchten. Der an die Musik gekoppelte Imageapparat spielt keine Rolle. Es gibt bei den "Bavarian Open" kein Entweder-oder, sondern nur ein Sowohl-als-auch: Sowohl der grenzdebile Gitarrenpop von Peter Licht aus Köln als auch die minimale Elektronik von Dario Zenker aus München, sowohl der Disco-Punk der Fotos (Hamburg-Wuppertal-Köln) als auch der Reggae der Roots Rock Pioneers (Kempten), sowohl der Low-Fi-Gitarrensound von The Thermals (Portland) als auch die Scratches von den Europameistern im DJing, Scrape Tacticians (Vilshofen).

Insgesamt 18 Musiker und Bands von sensationeller musikalischer Vielfalt treten in den drei holzvertäfelten Studios auf. Eine Entscheidung ist da schwierig. Doch die meisten Zuhörer versuchen, von allem etwas mitzubekommen, und so präsentiert sich Popkultur bei den "Bavarian Open" von ihrer interessantesten und intelligentesten Seite, als selbstbewusste, kreative Kraft.

Eine Hierarchie zwischen Hoch- und Popkultur ist an diesem Abend nicht existent. Und sogar etwas Subversion ist zu spüren, trotz des Fehlens des Entweder-oders, des Gut-gegen-Böses. Wie im Märchen beginnt die Subversion mit dem Übertreten einer Grenze, hier einer musikalischen, und dem Fund eines magischen Objekts, zum Beispiel der Musik von The Books. Subversion entsteht dann im Staunen darüber, dass etwas Neues möglich ist, wenn man frei ist.

Die beiden New Yorker von The Books spielen auf der Bühne Gitarre und Cello. Dazu kommen aus dem Computer recycelte, gesampelte, gemorphte Geräusche, Krach und Sprachsamples. So entstehen Songminiaturen von umwerfender, eigenwilliger Schönheit. Frenetischer Applaus vom Publikum ist der Dank - und das, obwohl nur wenige die Band vor dem Auftritt kannten.

Später hängt sich Peter Licht ein Cello um, besteigt einen Stuhl, um in Rockerpose auf der Akustikgitarre ein beinahe unhörbares Solo zu spielen, und liest aus einem Buch vor. Subversion! Sicherlich sind an diesem Abend bei einigen die Sorgen vor der Situation auf dem Arbeitsmarkt etwas kleiner geworden. Man hat ja gesehen, wie viel man mit Freiheit erreichen kann.

© SZ vom 11.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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