Jugendlicher Alkoholismus:...und plötzlich kippt er von der Bierbank

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Tanzen, schwitzen, nachtanken - immer mehr Jugendliche betrinken sich bis zur Besinnungslosigkeit.

Susi Wimmer

Die Jugend hat die Wiesn entdeckt: War es noch vor ein paar Jahren den "Alten" vorbehalten, zur zünftigen Blasmusik die Maß zu schwenken, so grölen und toben jetzt zur lauten Hitparadenmusik auch die Jugendlichen auf den Bierbänken.

Jugendliche trinken sich immer öfter einen Vollrausch auf der Wiesn an (Foto: Foto: Birgit Lutz-Temsch)

Allerdings stehen sie in punkto Alkohol den Alten in nichts nach: Das Rote Kreuz hat beobachtet, dass die so genannten "Bierleichen" immer jünger werden. Jüngst musste sogar ein 14-Jähriger mit Vollrausch behandelt werden. Für Klaus Joelsen vom Stadtjugendamt ist die Wiesn "nur Ausdruck dessen, was heute los ist": Die Jugendlichen greifen immer öfter zu alkoholischen Getränken.

Seit etwa zwei, drei Jahren beobachtet Joelsen von der Fachstelle für Kinder- und Jugendschutz am Stadtjugendamt den zunehmenden Alkoholmissbrauch bei Heranwachsenden. "Der Rausch und somit die Droge Alkohol ist einfach salonfähig", sagt er. Betrunken sein werde gesellschaftlich nicht sanktioniert, "und außerdem ist Alkohol leider Gottes leicht zu bekommen".

Das ganze Jahr über werde getrunken - "extremes Zuschütten" wie Joelsen sagt. Die Getränkeindustrie halte mit ihren extra auf Jugendliche zugeschnittenen Alcopops munter mit. Und gerade auf der Wiesn sei es ein ungeschriebenes Gesetz, "dass der Rausch einfach zum Oktoberfest dazugehört".

Trinker meist deutlich jünger als 30 Jahre

"Meist sind die Leute deutlich unter 30 Jahre alt", sagt Gisbert Frühauf. Der Mann ist BRK-Sprecher und redet von den Patienten, die aufgrund zu hohen Alkoholkonsums in der Sanitätsstation auf der Wiesn ärztlich überwacht werden müssen. Sprich: Dann, wenn die Jugendlichen plötzlich von der Bierbank kippen, weil ihr Körper im Vollrausch kollabiert.

Hatten die Sanitäter und Ärzte früher noch mittags ihre Spitzeneinsatzzeiten, um ältere Menschen mit Kreislaufproblemen zu behandeln, so werden sie nun gegen 20 Uhr am meisten auf Trab gehalten - "von jungem Publikum": Schnitt-, Platz- und Schürfwunden nach alkoholbedingten Ausfällen oder eben der Totalausfall durch Rausch.

"Die Jugendlichen tragen gerne Tracht und gehen mit Freunden auf die Wiesn", hat Giesbert Frühauf beobachtet. Sie wollen ihren Spaß haben, tanzen im Bierzelt, schwitzen gehörig - und gleichen den Flüssigkeitsmangel mit Alkohol aus. "Ein fataler Fehler", wie Frühauf sagt. Der Körper kann die Alkoholmenge nicht mehr bewältigen.

Im BRK-Überwachungsraum werden die "Bierleichen" untersucht und mit einer Elektrolytlösung per Infusion behandelt, "damit der Körper wieder Flüssigkeit erhält und der Alkohol schneller abgebaut werden kann". Nach etwa zwei Stunden können die Jugendlichen zumindest auf ihren Beinen stehen und den Heimweg antreten. Sechs solchen "Bierleichen" unter 16 Jahren wurde in diesem Jahr bereits auf der Wiesn geholfen. Ein Drittel davon waren Mädchen.

Streife durch die Festzelte

"Eine gefährliche Entwicklung", sagt auch Klaus Joelsen, "dass die Mädchen zu trinken anfangen". In der "sexualisierten Wiesnatmosphäre" tanzen sie betrunken auf den Bänken und werden nicht selten begrapscht. "Die meisten schämen sich wohl dann und zeigen solche Übergriffe gar nicht an", meint der Sozialpädagoge.

Das Stadtjugendamt ist auf der Wiesn mit einer eigenen Jugendschutzstelle vertreten, Mitarbeiter gehen Streife durch die Zelte - teilweise mit Polizeibegleitung - und kontrollieren, ob das Jugendschutzgesetz eingehalten wird. Das besagt beispielsweise, dass kein Bier an unter 16-Jährige ausgeschenkt werden darf und sich Jugendliche unter 16 Jahren auch nicht alleine im Bierzelt aufhalten dürfen.

"Wir lassen uns die Ausweise zeigen, und meist trollen sich die Jungen recht einsichtig davon", erzählt Joelsen. Außer, wenn die Jugendlichen in Begleitung Erwachsener sind, die ihnen auch noch das Bier spendiert haben. "Da werden die meist schon betrunkenen Erwachsenen richtig aggressiv. Die sehen das gar nicht ein, dass der Bub nicht auch saufen darf."

© SZ vom 26.09.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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