Jugendarbeitslosigkeit in München:Mehr als überleben

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Eine triste Hochhaussiedlung im Hasenbergl, Jugendliche, die kaum hoffnungsfroher wirken als die Umgebung: Hier versucht die evangelische Diakonie, arbeitslosen Teenagern eine Perspektive zu geben.

Anna Fischhaber

Es regnet in Strömen. Ein tristes graues Hochhaus im Hasenbergl um 10 Uhr morgens. Am Eingang wischt Simon (die Namen der Jugendlichen wurden von der Redaktion geändert) die Glastüren. Die Leiter biegt sich bedenklich unter seinem Gewicht und der Verantwortung, die er heute tragen muss. "Fünf Arbeiter stehen unter meinem Kommando", sagt der 17-Jährige stolz. Arbeiter, die ein geschäftstüchtiger Chef wohl kaum einstellen würde. Florian zum Beispiel. Der 20-Jährige mit den schwarzen Klamotten und den Vorstrafen ist fürs Erdgeschoss zuständig.

Was zuerst war, die Drogen oder die schlechte Laune, kann Florian, 20, nicht mehr sagen. (Foto: Foto: Anna Fischhaber)

Zur Begrüßung hebt er kaum den Kopf. In seinen großen Händen verschwindet der Besen, mit dem er den Boden bearbeitet. Der Schweiß rinnt ihm ins Gesicht. Florian scheint das nicht zu merken. Die 1,25 Euro, die er für seinen Einsatz bekommt, sind eigentlich kaum der Rede wert. Aber ums Geld geht es hier auch nicht. Fragt man Florian, was er bei dem Projekt der Diakonie Hasenbergl macht, sagt er: "Wieder Spaß am Arbeiten haben."

Was zuerst war, die ständige schlechte Laune oder die Drogen, die er dagegen genommen hat, weiß er heute nicht mehr. "Nur, dass die Drogen irgendwann mein ganzer Lebensinhalt waren", sagt Florian und schaut auf den von ihm blank geputzten Boden. Als er zu Simon und den anderen stieß, war er ein Wrack. Noch immer ist er blass, hat tiefe Ringe unter den Augen. Aber bislang hatte er keinen Fehltag, er kommt pünktlich und arbeitet ordentlich. Für ihn schon ein kleiner Sieg.

Weit entfernt vom Ausbildungsplatz

Vier Stunden am Tag, vier Tage die Woche sind Florian und Simon mit Einfachsttätigkeiten beschäftigt - sie putzen in Hochhäusern im Hasenbergl, säubern Spielplätze von leeren Flaschen oder helfen beim Umzug. Vergangene Woche haben sie eine Bank für ein Kinderhospiz gebaut. Dabei sollen sie lernen, einen normalen Arbeitsalltag zu meistern - vom pünktlichen und regelmäßigen Erscheinen über den Umgang mit dem Vorgesetzten bis zum selbständigen Handeln. Es geht um berufliche und soziale Integration, vor allem aber um Lebensbewältigung - oder "Sinnfindung", wie Mario Bilotta das nennt.

Der Pädagoge leitet das "MAW-light"-Projekt, das so viel wie "Arbeitsbeschäftigung mit Mehraufwand" bedeutet oder auch: Ein-Euro-Job. Das Programm der Diakonie Hasenbergl richtet sich an arbeitslose Jugendliche, die irgendwo zwischen Schule und Beruf gescheitert sind. 6600 Arbeitslosengeld-II-Empfänger unter 25 Jahren gibt es derzeit im Stadtgebiet München. Darunter Härtefälle, deren Vermittlung immer schwieriger wird, berichtet die Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung (ARGE).

Die Jugendlichen, die bei "MAW-light" landen, haben oft mehrere Probleme gleichzeitig. Sie leiden unter psychische Erkrankungen und Suchtproblemen, sie sind straffällig geworden oder haben Lernbehinderungen. Hinzu kommen ein fehlender Schulabschluss, familiäre Probleme und Schulden. "Sie sind weit entfernt davon, einen Ausbildungsplatz zu bekommen", sagt Bilotta. Vielleicht sehen die Jugendlichen deshalb kaum hoffnungsfroher aus als die Umgebung im Hasenbergl.

Lisa, die auf den ersten Blick wie eine Musterschülerin wirkt, aber nicht lesen und schreiben kann. Oder Stefanie mit den rot gefärbten Haaren und der gelben Schürze. Vor der Tür raucht sie eine Zigarette nach der anderen, der Regen scheint sie nicht zu stören. Wie die meisten der Teilnehmer ist sie bereits bei diversen Weiterbildungsmaßnahmen gescheitert. Die Schule hat sie abgebrochen. Irgendwann ist sie einfach nicht mehr hingegangen.

Stefanie, 23, hat ein Pünktlichkeitsproblem. Über die Sorgen zu Hause will sie lieber nicht sprechen. (Foto: Foto: Anna Fischhaber)

Was sie mit ihrem Leben machen will? "Keine Ahnung, vielleicht irgendwas mit Tieren", sagt die 23-Jährige und wirkt dabei wie ein Teenager. Putzen macht ihr zumindest keinen Spaß. Auch zur Bäckerei, in der sie eine Lehre begonnen hatte, geht Stefanie nicht mehr. Das frühe Aufstehen hat ihr nicht gefallen und so hat sie die Ausbildung geschmissen.

Das Praktikum im Altenheim hat ihr zwar mehr Freude bereitet, aber auch dort hat sie es nicht geschafft, pünktlich zu sein. "Ich will ja, aber ich komme einfach nicht rechtzeitig von zu Hause weg, und dann verpasse ich den Bus, und dann meine U-Bahn", erzählt sie. Über die Probleme mit den Eltern will sie lieber nicht sprechen.

"Besser als zu Hause rumsitzen"

Das mit der Pünktlichkeit hat sie auch nach einem Jahr nicht in den Griff bekommen. Aber vielleicht ist das auch nicht so wichtig. Den Sprung ins "normale" Arbeitsleben schaffen nur wenige der Teilnehmer. Dafür reduzierten sich Gerichtstermine und Straftaten bei steigender Beschäftigung automatisch, so die Erfahrung der Diakonie.

"Besser als zu Hause rumsitzen", lautet Stefanies eher pragmatisches Urteil über das Projekt. Für sie ist die Arbeit auch eine Chance, Distanz zum Familienalltag aufzubauen. Mobbing und Gewalt sind bei der Arbeit strengstens verboten. Stattdessen gibt es persönliche Gespräche und gemeinsame Ausflüge, die Jugendlichen sollen lernen, sich gegenseitig zu unterstützen. Von zu Hause kennen die meisten das nicht.

"Und wenn die Jugendlichen ihre Energie sinnvoll nutzen, ist das doch auch eine Art Prävention, oder?", sagt Bilotta mit Blick auf den Prozess gegen die U-Bahn-Schläger. Der Fall zeige, wie unerreichbar manche Menschen am Rande der Gesellschaft geworden sind. Nur über die richtige Bestrafung sprechen, ist dem Pädagogen deshalb zu einfach. "Ich verstehe, dass Gewalt ein Schutzbedürfnis hervorruft, aber es geht auch darum, den Jugendlichen eine Perspektive zu bieten, ihnen etwas zuzutrauen, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken."

Florian, dem Jungen mit den schwarzen Klamotten und den Vorstrafen, ist das heute gelungen. "Ich bin wieder motiviert", sagt er und freut sich, dass er nun ein Ziel hat, das mehr bedeutet als Überleben.

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