Jugend:Heimat geben

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Das Kulturangebot für junge Menschen erscheint den SZ-Lesern als unzureichend. Heranwachsende brauchen einen Bezugspunkt, finden sie.

Von Wolfgang Eitler

Kürzlich hat sich Frank Striegler, Impresario des Dachauer Leierkastens, in das Backstage in München gewagt und ist sich vorgekommen "wie ein Opa" - der er nachweislich ist. Längst sind die Zeiten vorüber, als seine Kleinkunstbühne die Jugend geradezu magisch anzog und sich bei den früheren Kultfestivals um ihn scharte. Damals, so um 1981, war Striegler selbst noch jung. Sein Team rekrutierte er aus der Jugendarbeit an der evangelischen Gnadenkirche. Jetzt sagt er lachend: "Unser Publikum wird noch schneller älter als wir Veranstalter." Junge Leute sind selten auf den kulturellen Veranstaltungen zu sehen. Soll man diese Entwicklung bedauern?

Eine Umfrage unter den Lesern der Süddeutschen Zeitung ergibt ein Stimmungsbild, das Strieglers Beobachtungen bestätigt. Demnach geben gerade mal 24 Prozent der Befragten an, dass im Kulturangebot viel für junge Menschen dabei ist. In der Stadt sind es immerhin 42 Prozent. 14 Prozent der Befragten vermissen Kleinkunstformen wie Kabarett. Dazu wiederum entgegnet Striegler: "So ein Schmarrn. Wenn es im ganzen Landkreis ein Überangebot gibt, dann ist es die Kleinkunst, besonders das Kabarett." Er zählt auf: Leierkasten, Tollhaus e.V., die Konzertagentur von Jan-Peter Wiebe, die Kleinkunstbühne der Post in Schwabhausen, der Kulturverein A 8 mit Veranstaltungen in Odelzhausen, Sulzemoos und Bergkirchen. Dazu die Dachauer Kulturschranne. Früher waren bei ihm im Leierkasten auch Veranstaltungen mit unbekannten Kabarettisten ausverkauft. Jetzt konkurrieren sie gegen die Stars, die ständig gastieren.

Zusätzlich darf man sich auch die zahlreichen Veranstaltungen und Konzerte in Erinnerung rufen, die regelmäßig stattfinden. Das schon legendäre Puch-Open-Air mit spannenden Gruppen, Riding Higher in Höfa bei Odelzhausen oder das Funtastica des Kreisjugendrings, das an wechselnden Orten stattfindet. Kultur für die Familie bietet das Amperitiv-Festival des kunstpädagogischen Vereins in Dachau mit Konzerten und Aktionen, welche die Besucher mitgestalten können. Zu einem erweiterten Kulturangebot gehören auch die Skateboard-Anlagen in Dachau und das Jugendtreff-Konzept mit Spielcharakter, die der Regionalentwicklungsverein Dachau Agil gemeinsam mit Kommunen organisiert und für die es sogar Zuschüsse der Europäischen Union gibt.

Eine internationale Singer-Songwriterszene hat sich in Dachau beispielsweise im Café Gramsci oder in der Kulturschranne etabliert. Dazu kommen die Konzerte mit internationalen Gruppen während des Dachauer Musiksommers. Aber es stimmt schon: Da treten junge Künstler aus Berlin im Gramsci auf, und die Zuhörer könnten ihre Eltern, wenn nicht schon ihre Großeltern sein. Warum bleibt die Jugend weg?

Eine Antwort fällt schon deswegen schwer, weil der Begriff "Jugendkultur" schwammig ist. Es ist schon irreführend, von den Dachauer Jugendlichen zu sprechen, als seien sie eine Einheit. Sie sind keine in sich stabile Gruppe. Das Landesamt für Statistik zeichnet Wanderungsbewegungen junger Menschen in einem Alter von 14 bis unter 31 Jahren auf. Stadt und Landkreis Dachau zeichnen sich durch eine enorme Fluktuation aus. Überspitzt könnte man sagen: Was ein Jugendlicher heute fordert, ist morgen schon hinfällig, weil er wieder weg ist.

Seit 2008 findet bei Odelzhausen das Riding Higher statt. (Foto: Toni Heigl)

Tatsächlich verließen 684 junge Menschen in der Altersgruppe von 14 bis 20 Jahren im Jahr 2015 den Landkreis, aber 1061 kamen neu hinzu. Bei den 20 bis 25-Jährigen war es ein Verhältnis von 2110 Zuzügen zu 1712 Weggängen. Die Fluktuation innerhalb der Bevölkerung bleibt auf diesem Niveau. In Dachau beispielsweise sind im Jahr 2015 in der Altersgruppe der 30- bis 50-Jährigen 2105 Bürger hinzugekommen und 1444 weggezogen.

Die Angebotsseite zeigt sich wesentlich stabiler als die Nachfrageseite: Denn die Kulturvereine zeichnen sich durch personelle Kontinuität aus. Diejenigen, die sich engagieren, haben den Rang von Institutionen erreicht wie eben Frank Striegler von der Kleinkunstbühne Leierkasten, Kai Kühnel vom Verein Tollhaus e.V., Klaus Bolland vom Jazz e.V. oder Marja-Leena Varpio in Haimhausen. Auch die großen Orchester und Chöre werden von Persönlichkeiten geprägt, die man kennt, deren Namen mit der Chorgemeinschaft Dachau (Rudi Forche) oder der Sinfonietta (Victor Bolarinwa) eng verbunden sind. Musikpädagogin Gudrun Huber hat das erste klassische Jugendorchester des Landkreises gegründet, mit dem Ziel, junge Menschen für die Hochkultur zu begeistern.

Begegnungsstätte, Konzerthalle, Probenraum, das wäre die richtige Mischung

Vielleicht kommt man der Jugendkultur besser auf die Spur, wenn man fragt: Was halten die Veranstalter aus ihren Erfahrungen heraus für dringend erforderlich? Der Grünen-Kreisrat und stellvertretende Geschäftsführer des Kreisjugendrings, Ludwig Gasteiger, ist einer der Initiatoren von Festivals wie dem Riding Higher. Seine Antwort ist ein Plädoyer für ein Jugendkulturzentrum in Dachau, das am besten auf dem seit zehn Jahren brach liegenden Gelände der ehemaligen MD-Papierfabrik in Dachau untergebracht wäre. Gasteiger malt sich das Zentrum als eine Begegnungsstätte mit einer Konzerthalle aus, in der Bands üben können, junge Menschen sich in Werkstätten künstlerisch betätigen und unter Anleitung die ersten Schritte in die Professionalität gelingen, bei entsprechendem Talent, versteht sich. Ein Jugendkulturzentrum wäre also eine Mischung aus Programm und Projekt. "Ein Identifikationspunkt", sagt Gasteiger.

Und jetzt wird es spannend, weil der Pädagoge und Kommunalpolitiker die Statistiken des Landesamts nicht nur lesen kann, sondern auch verstehen. Denn die jungen Menschen, die sich hinter den Daten zur Wanderungsbewegung verbergen, sind Jugendliche aus ganz Europa. Sie kommen mit ihren Eltern wegen der attraktiven Arbeitsplätze. Aber sie verlieren ihre Wurzeln und werden, wie Gasteiger sagt, "enttraditionalisiert". Ihr einziger wirklicher Bezugspunkt, der ihnen dabei hilft, eine neue Heimat zu finden, wäre ein solches Jugendkulturzentrum. Deswegen ist für Gasteiger so ein Angebot kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit als ein "Ort der Bildung mit der Vielfalt als Chance." Die große Lösung mit "Strahlkraft über den gesamten Landkreis hinweg".

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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