Jubilar:Immer bestens informiert

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Seit 66 Jahren liest Friedrich Panradl jeden Tag die SZ. An diesem Samstag wird der Jubilar 90 Jahre alt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Friedrich Panradl erlebte die Studentenunruhen am Wedekindplatz und das Olympia-Attentat im Stadion - ein Gespräch über München und die Zeitung

Von Martina Scherf, München

Am Donnerstag hat Friedrich Panradl keine Zeit. Da geht er zum Fitnesstraining. "Damit mein Körper noch länger mitmacht", sagt der Münchner. Ein Nervenleiden schwächt seine Beine, aber die Treppen zu seiner Wohnung im vierten Stock eines Schwabinger Mietshauses steigt er jeden Tag runter und wieder rauf, manchmal mehrmals. Meist setzt er sich dann in sein Auto, fährt zum Einkaufen, zum Training, auf den Friedhof oder auch mal weiter weg, in seinen Garten in der Hallertau. Jeder Morgen aber beginnt bei Herrn Panradl mit der ausführlichen Zeitungslektüre, alternativlos, sozusagen. Seit 66 Jahren hat er die SZ abonniert. An diesem Samstag wird der Jubilar 90 Jahre alt.

Geboren auf einem Einödhof in der Oberpfalz, aufgewachsen in Nördlingen, wo er sein Abitur machte, zog der frisch verheiratete Automechaniker 1951 nach München. "Ich habe sofort die Süddeutsche Zeitung abonniert", erzählt er, "damals wurde noch beim Austräger bezahlt." Als er berufstätig war, hat Panradl fast jeden Morgen Tennis gespielt, um sechs, vor der Arbeit. Da kam er nur abends zum Lesen. Seit er in Rente ist, verbringt er aber mindestens zwei Stunden täglich mit der Zeitung. Die Meinungsseite liest er immer. "Die Journalisten recherchieren gründlich, sie ordnen die Welt, und meistens sehen sie die Dinge richtig", sagt er. Sollte es mal anders sein, schreibt er einen Leserbrief.

Nachrichten aus München und Bayern interessieren ihn am meisten. Geschichten aus seinem Schwabing, das sich stark verändert hat, seit er im Jahr der Studentenunruhen 1968 von der Marktstraße am Wedekindplatz in die ruhigere Mainzer Straße umzog. Oder aus Bayern, wie aktuell der Prozess um den Oberbürgermeister von Regensburg, der "einen Kuhhandel" mit einem lokalen Bauunternehmer betrieb. "Ich war selbst lange genug im Geschäft, ich kann mir vorstellen, wie das lief", sagt er. Panradl baute Tankstellen in ganz Bayern, er ist viel herumgekommen, hat viele Unternehmer kennengelernt. "Und ich bin bestimmt mehr als eine Million Kilometer gefahren", sagt er.

Gerade jetzt, vor der Wahl, beschäftigt ihn das Flüchtlingsthema. Er sieht die Sache zwiespältig. Aus humanitären Gründen müsse man helfen, meint er, aber es seien zu viele Menschen ohne Papiere ins Land gelassen worden, das werde zu wenig berichtet. Vieles erinnert ihn an die Nachkriegszeit. Damals seien alle Wohnungen inspiziert worden, "und wer Platz hatte, musste Flüchtlinge einquartieren". Seine eigene Familie hingegen musste der amerikanischen Besatzungsmacht Platz machen. Eine schwierige Zeit.

Friedrich Panradl hat ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Dass in München die Wohnungen jedes Jahr teurer werden, empört ihn. Darüber könne gar nicht genug berichtet werden. Früher hat er gerne mal geschimpft über solche Dinge, sagt er, aber seit vor zwölf Jahren seine Frau gestorben ist, sei er ruhig geworden. Noch immer wohnt er in der Genossenschaftswohnung, in die das Paar mit den beiden Kindern Ende der Sechzigerjahre gezogen war. Auch seinen beiden Enkeln konnte er Wohnungen in der Genossenschaft vermitteln. Das sei ein Modell für die Zukunft, sagt er, "anders können sich junge Leute doch überhaupt keine Wohnung mehr leisten".

Dass es ein Gesetz zur Mietpreisbremse gibt, findet er gut, "aber es gibt zu viele Schlupflöcher". Das Gesetz hat die SPD durchgesetzt, aber Panradl mag die Partei trotzdem nicht. Nur einmal hat er sie gewählt, erzählt er, 1969, als Willy Brandt Bundeskanzler wurde. "Der hatte die richtigen Ideen." Was er diesmal wählt, weiß er noch nicht, FDP oder doch wieder CSU, auch wenn er den wankelmütigen Horst Seehofer im Gegensatz zur Kanzlerin überhaupt nicht schätzt.

Auf dem Wohnzimmertisch liegt die ausgebreitete SZ, auf dem Esstisch der Laptop. Panradl nutzt den Computer, um E-Mails zu senden, fürs Online-Banking oder um Einladungen zu schreiben wie jetzt zu seinem 90. Die Familie wird im Restaurant auf dem Olympiaturm feiern. Dann blickt Panradl von oben aufs Stadion, in dem er 1972 die Spiele verfolgte. Auch am Tag des Terroranschlags auf die israelische Mannschaft war er dort. Die Hintergründe erfuhr er am nächsten Tag aus der Zeitung. Zum Geburtstag wünscht er sich einen Besuch in der Elbphilharmonie. Im Frühjahr wird er mit seinen Kindern nach Hamburg reisen.

© SZ vom 31.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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