Jubilar:Der große München-Kenner

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Reporter-Legende: Karl Stankiewitz in der Lederhose, die er nach der Währungsreform 1948 erwarb. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Mehr als 10 000 Artikel hat Karl Stankiewitz verfasst - an diesem Samstag wird er 90

Von Hans Kratzer

Viele Journalisten verstehen ihre Tätigkeit mehr als Berufung denn als Beruf. Zu dieser Spezies zählt auch Karl Stankiewitz, der das Reporter-Gen schon seit seinen Jugendjahren im Blut hat. Er selbst bezeichnet sich als "ältesten noch aktiven Lokalreporter Deutschlands". In der Tat: Heutzutage noch einen Journalisten zu finden, der, wie Stankiewitz, am 20. Juni 1948 live über die Währungsreform berichtet hat, dürfte schwer fallen. An diesem Samstag feiert der unverwüstliche Journalist seinen 90. Geburtstag, und gewiss wird er bei dieser Gelegenheit seinen Gratulanten über seine Erlebnisse in aufregenden Zeiten berichten. Er ist eben ein Zeitzeuge, der meistens nah dran war an den großen Geschehnissen der Welt.

Den Tag der Währungsreform hat Stankiewitz noch so deutlich vor Augen, als habe sich das Ganze erst gestern ereignet. Als damaliger Volontär der Süddeutschen Zeitung nahm er die 40 Mark "Kopfquote" in Empfang und erwarb dafür eine kurze Lederhose, die ihn sein Leben lang begleiten sollte. Sein Haar ist mittlerweile schlohweiß, das Gehör und die Sehkraft haben nachgelassen, aber dennoch ist Stankiewitz nach wie vor als Journalist und Buchautor tätig, weshalb ihn die Zunft gerne als "Reporterlegende" preist. 35 Bücher hat er mittlerweile veröffentlicht. Wer Wissenswertes über das frühere Münchner Stadtleben erfahren will, sollte unbedingt darin blättern. Zuletzt erschienen Werke über die verlorene Münchner Geselligkeit (Bierpaläste, Kinos, Theater), über das München der 68er-Generation, über Außenseiter in München und über das Bahnhofsviertel.

Dabei ist der große München-Kenner Stankiewitz gar kein gebürtiger Münchner. 1928 in Halle an der Saale geboren, zog er erst 1937 mit Mutter und Geschwistern hierher. 1946 gründete er die erste Münchner Schülerzeitung. Nach dem Abitur volontierte er bei der SZ, in der er am 7. Oktober 1947 seine erste Meldung veröffentlichte. "Die Themen liegen auf der Straße. Sie brauchen sich nur zu bücken", empfahl ihm der damalige Verleger Werner Friedmann.

Mehr als 10 000 Artikel sind seitdem aus Stankiewitz' Feder geflossen, er hat sie alle fein säuberlich gesammelt. Oft schrieb er bis zur Erschöpfung, etwa über die Preissprünge nach der Währungsreform, die verärgerte Hausfrauen veranlassten, auf dem Viktualienmarkt Eier aus den Kisten zu greifen und sie den flüchtenden Standlfrauen nachzuwerfen. Eine Festanstellung peilte Stankiewitz nie an. "Ich musste immer raus", sagt er, "ich wollte was anderes sehen." Henri Nannen holte ihn sogar kurzzeitig zum Stern. Alsbald aber machte sich Stankiewitz als freier Journalist selbständig. Reportagereisen führten ihn rund um die Welt, er bereiste mehr als 60 Länder, aus denen er Dutzende Zeitungen mit Berichten und Reportagen versorgte. Am einträglichsten war für ihn der Vera-Brühne-Prozess 1962: "Jeden Tag kam etwas Neues raus, es war spannender als jeder Krimi." Stankiewitz empfing für seine Tätigkeit manche Ehrung, er erhielt den Herwig-Weber-Preis und die Medaille "München leuchtet".

Aus Anlass seines 90. Geburtstags widmet ihm das Haidhausen-Museum (Kirchenstraße 24) zurzeit eine Ausstellung ("Zeitzeuge und Reporter-Legende", bis 2. Dezember, So 14-17 Uhr, Mo-Mi 17-19 Uhr).

© SZ vom 27.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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