Jubilar:Der Dompteur der Dinosaurier

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Vor zehn Jahren feierte Sir Peter Jonas den Abschied von der Bayerischen Staatsoper, an diesem Freitag wird er 70. (Foto: Robert Haas)

Sir Peter Jonas war 13 Jahre lang Intendant der Bayerischen Staatsoper, brachte dem Münchner Publikum Barock-Oper bei, wurde berühmt durch seinen Schottenrock, seine Reden und feiert nun seinen 70. Geburtstag

Von Egbert Tholl

Man musste schon die ganze Kantine der Bayerischen Staatstheater komplett umbauen, um den freundlichen Geist daraus zu vertreiben. Der freundliche Geist - Sir Peter Jonas - wird nun, am 14. Oktober, 70 Jahre alt und hat nichts von dem eingebüßt, was ihn damals auszeichnete. Damals, das war die Zeit, in der eben jene Kantine aussah wie eine Jodelwirtschaft, mit Butzenscheiben und festen Tischen. Die Tische brauchten auch ihre Stabilität, denn regelmäßig stand der gute Geist auf ihnen: Sir Peters Ansprachen nach Premieren der Bayerischen Staatsoper waren legendär. Schnell wusste man: Sollte einmal eine Produktion so richtig in die Hose gegangen sein, dann dauerte die Rede auch mal eine Stunde, dann begann die Aufzählung des Personals mit den stellvertretenden Hospitanten in der Praktikumsabteilung des Nachwuchsprogramms der Maskenbildner-Azubis. Irgendwann an einem solchen Abend kanalisierte sich die Liste der von Sir Peter vorgetragenen Namen immer stärker in Richtung des für die eben gesehene Produktion konkret künstlerisch verantwortlichen Personals. Und wenn man schließlich beim Regisseur angelangt war, dann war sich jeder Zuhörer sicher, vorhin, bei der Aufführung selbst, Zeuge einer unfassbaren Sternstunde des Musiktheaters gewesen zu sein. Wenn es ganz prekär war, trug Sir Peter einen Schottenrock, dann war die gute Laune sowieso schon garantiert.

1993 übernahm Sir Peter Jonas die Intendanz der Bayerischen Staatsoper, 2006 verließ er das Haus in einen Ruhestand, der so ruhig gar nicht ist. Als er ging, kannte das Münchner Publikum praktisch alle Opern von Georg Friedrich Händel und auch ein paar von dessen Oratorien, konnte die Farben der Felle der Tiere, aus deren Gedärm die Saiten für alte Streichinstrumente gemacht werden, am Klang derselben unterscheiden und wusste auch gut Bescheid über diverse Automodelle, vor allem über jene aus dem US-amerikanischen Raum.

Sir Peter Jonas hat die Bayerische Staatsoper mit etwas konfrontiert, was man bis dahin dort nur in Spurenelementen kannte: mit der Gegenwart. Das bedeutete, dass man auf einmal Dinge auf der Bühne sah, die viele zuerst nicht dort sehen wollten, die allermeisten aber bald zu lieben lernten. Ein bestürzendes, frühes Beispiel war der umstürzende Dinosaurier in der "Giulio Cesare in Egitto"-Inszenierung von Richard Jones. Das Tierchen rief auch noch in der fünften oder siebten Vorstellung Buhstürme hervor, also: Vorhang auf, Dino sichtbar, Buhs brechen los, Vorhang zu, Buhs aus.

Jetzt kann man natürlich fragen, was ein Dinosaurier mit der Gegenwart zu tun haben soll, im normalen Leben begegnet einem ja inzwischen eher selten einer. Es ging Sir Peter ganz einfach darum, dass die von ihm in Auftrag gegebenen Inszenierungen psychologisch, emotional und assoziativ weit über das Eins-zu-eins einer Geschichtenerzählung hinausgingen. Über David Aldens "Ring"-Inszenierung, vor allem darin über Akt II "Siegfried" oder auch das Ende der "Walküre", konnte man tage-, ja wochenlang rätseln und kam dabei auf viele grüne Zweige. Oder auch nicht.

Drei Leitungspositionen hatte Sir Peter in seinem Leben inne. Erst war er neun Jahre lang der künstlerische Leiter des Chicago Symphony Orchestras, dann war er acht Jahre lang der Intendant der English National Opera in seiner Geburtsstadt London, schließlich 13 Jahre Chef in München. Viele der Künstler, die er ins Nationaltheater lockte, kannte er bereits aus seiner Zeit in Chicago. Sir Peter ist ein in menschlichen Beziehungen unabdingbarer Mensch, treu im Lieben, harsch falls nötig.

Einen seiner treuesten Gefährten lernte er 1976 kennen. Damals wurde bei ihm eine seltene Krebsart festgestellt und ihm noch ein Jahr zu leben beschieden. Inzwischen ist Sir Peter bei Onkologen-Kongressen zu Gast als großes, noch lebendes, nie zu heilendes, aber sehr munteres, medizinisches Wunder. Die Erkrankung war nicht der Grund, dass er sich relativ jung für den Ruhestand entschied - er war ja ohnehin an das Verhältnis seines Körpers zu dem ungebetenen Gast gewöhnt. Nein, seine Erklärung: "Ich wollte leben." Also raus aus dem "Opernkuckucksheim", das Leben genießen, wandern, von Inverness im Norden Schottlands nach Palermo, mit zwei Lücken, dem Ärmelkanal ("I can't walk on water", sagt er) und die industriell verschandelte Po-Ebene. Wandern ist das eine, genauso wollte er die Kunst genießen, sich Aufführungen nicht mehr anschauen zu müssen, sondern anschauen zu wollen. Bilder anschauen. Und lesen, lesen, lesen. Noch viel mehr als ein Mensch der Musik ("in meiner Wohnung in Zürich schrieb Busoni seine Oper ,Doktor Faust'") ist Sir Peter ein Mann der Worte, ein Schelm, ein Stand-Up-Romancier, ein Geschichtenerzähler, wobei die lustigsten von ihm selbst handeln, auf britisch-trockene Art und Weise.

Am Samstag wird er seinen Geburtstag in jenem italienischen Restaurant in der Maxvorstadt feiern, in welchem er einmal in der Woche mit Pierre Mendell zu speisen pflegte, Mendell, der als Grafiker lange Zeit das Erscheinungsbild der Peterschen Staatsoper prägte. Für die Feier erhält er Ausgang aus der Klinik, in der er sich gerade aufhalten muss, weil er Blödsinn gemacht hat, "doof bleibt doof". Er ging daheim auf den Zürichberg, musste sich Stress und einen spezifischen Ärger weglaufen, übersah die Zeit, sah aber die Dämmerung kommen, nahm eine Abkürzung querfeldein, weil sich ein Gast auf einen Drink angekündigt hatte, stolperte im Dickicht, fiel mit dem Kopf auf einen Stein, lief weiter, verlor das Wohlbefinden, ging zu Fuß ins Krankenhaus und wurde gleich dabehalten, später in eine bayerische Klinik verlegt, zur vollständigen Genesung.

Nun erhält er Ausgang. Ein paar Sachen musste er absagen - Sir Peter sitzt in Aufsichtsräten von Kulturinstitutionen, lehrt und trägt vor -, aber die Party ist heilig, Barenboim kommt, Ivor Bolton, David Alden, vielleicht auch Zubin "Baby" Mehta. Sir Peter liebt die Bayerische Staatsoper, deren Tun er genau verfolgt, liebt Petrenko, liebt das Kino, weiß über Film so viel wie eine Mediathek. Am liebsten wäre es Sir Peter, er besäße das Elixier der Emilia Marty aus Janáčeks Oper "Die Sache Makropulos", ein Elixier für ein jahrhundertelanges Leben. "Ich mag es hier. Wenn einmal doch der Tod kommen sollte, dann würde ich mit ihm Schach spielen wie in Bergmans Film ,Das siebente Siegel'. Und wissen Sie was? Ich würde betrügen!"

Hoffentlich. Denn besser ist es, dem Geist aus der einstigen Kantine leibhaftig zu begegnen, noch sehr lange. Deshalb wünschen wir ihm alles Gute, oder, wie er seine E-Mails unterschreibt: "Toodle Pip!"

© SZ vom 14.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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