Interview mit Steuerfahnder Werner Stupka:"München ist der absolute Brandherd"

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Kleinbetriebe werden nur alle 30 Jahre geprüft, viele Hinweise bleiben liegen. Steuerfahnder Werner Stupka über miserable Arbeitsbedingungen und schockierte Verdächtige.

Bernd Kastner

Seit der Liechtenstein-Affäre sind sie in aller Munde: Steuerfahnder. Doch der Bayerische Rechnungshof rügt die katastrophale personelle Situation der Fahndung in München. Wie arbeitet einer, der Steuersünder jagen soll? Werner Stupka ist Fahnder in Nürnberg sowie Bundesvorsitzender der Fachkommission Steuerverwaltung bei Verdi und kennt die kritisierten Münchner Verhältnisse.

SZ: Seit der Zumwinkel-Razzia hat man fast den Eindruck: Sie und Ihre Fahnder-Kollegen sind zu Helden der Gerechtigkeit aufgestiegen.

Stupka: Unsere Arbeit wird tatsächlich neu zur Kenntnis genommen. Die Öffentlichkeit nimmt jetzt wahr, dass wir die Aufgabe haben, für Steuergerechtigkeit zu sorgen.

SZ: Klingt nach Schulterklopfen.

Stupka: Das endet auch sehr schnell wieder. Wenn die Sache Liechtenstein erledigt ist und keine neuen Namen mehr auf den Markt kommen, ist es wieder vorbei. Und die, die wir besuchen, empfangen uns noch immer nicht mit Freude.

SZ: Sondern? Wie reagieren ertappte Steuersünder?

Stupka: Manche ganz cool, streiten alles ab und werden dann doch überführt. Die meisten aber sind völlig geschockt. Man setzt ein Grundrecht außer Kraft mit einer Durchsuchung, und das berührt die Leute unwahrscheinlich stark.

Viele werden damit nicht fertig, denen gefällt ihre tolle Villa hinterher nicht mehr. Wenn du auf den Klingelknopf drückst, weißt du als Fahnder, welchen Mechanismus du jetzt in Gang setzt. Das Leben der Menschen in diesem Haus wird sich grundsätzlich ändern.

SZ: Wie ist das zu verstehen?

Stupka: Wir kommen meist zu Leuten, die gesellschaftlich hoch angesehen sind. Und bei denen tritt plötzlich jemand ganz nah in ihr Leben, darf in die intimsten Ecken schauen, in alle Tagebücher. Ein Leben wird auf den Kopf gestellt, um einen Strafsachverhalt zu ermitteln.

Und dabei stellen wir immer wieder fest, dass die Steuerhinterziehung nicht die einzige Lüge ist im Leben dieser Menschen. Manche müssen ihr Leben neu ordnen, manchmal zerbrechen Partnerschaften. Nach außen wahren diese Personen oft eine tolle Fassade - und wir finden dann Pornos und Sexspielzeuge. Die stehen dann mit hochrotem Kopf neben uns.

SZ: Empfinden Sie da Genugtuung?

Stupka: Überhaupt nicht. Auch für uns ist das belastend, wir sind nicht die coolen Kerle. Man braucht viel Fingerspitzengefühl bei diesen Durchsuchungen, damit die Menschen trotz der Vorwürfe ihr Gesicht wahren können.

SZ: Sie müssen und wollen Steuergerechtigkeit herstellen. Wenn man dem Rechnungshof glauben darf, ist es damit gerade in München nicht weit her.

Stupka: Jedenfalls nicht im Vollzug. Man braucht sich nur die sogenannten Kleinbetriebe anschauen, die reichen laut Definition immerhin bis zu einem Jahreserlös von 800000 Euro. Die werden in Bayern statistisch alle 30 Jahre einmal von der Betriebsprüfung untersucht. Und das nur nach Anmeldung.

Da kann man doch nicht von einer wirklichen Kontrolle sprechen. Und wenn die Steuerfahndung in München um mehr als 30 Personen, also fast 30 Prozent, unterbesetzt ist, hat das nichts mehr mit effektiver Strafverfolgung zu tun. Wir stopfen nur noch Löcher, können unseren Arbeitsauftrag nur noch sehr eingeschränkt erfüllen.

SZ: Wie wird die Ohrfeige des ORH in den Fahndungsstellen aufgenommen? Ist man sauer, dass die einen Prüfer den anderen so ans Bein pinkeln?

Stupka: Nein, es stimmt ja alles, auch wenn's nicht schmeichelhaft ist. Die Kritik richtet sich ja in erster Linie an die Staatsregierung, nicht an die Fahnder. Außerdem ist das alles für uns nicht neu. Wir Fahnder und auch Verdi fordern seit vielen Jahren mehr Personal.

Höchste Zeit, dass eine neutrale Instanz das nun bestätigt. Auch in Nürnberg haben wir große Probleme, aber München ist der absolute Brandherd. Hier können wir nur die dringendsten Fälle erledigen, oft kann ein Fall nicht ausermittelt werden.

SZ: Heißt das, dass Sie unter einer Million Euro hinterzogener Steuern erst gar nicht anfangen?

Stupka: Nein, es gibt keine bestimmte Grenze. Aber natürlich müssen wir uns oft mit Notlösungen behelfen. Müssen Fälle auch mal liegen lassen, weil wir uns um die ganz großen kümmern müssen, bei denen es um Millionen geht.

SZ: Ein einziger Münchner Steuerfahnder nimmt jährlich rund 2,1 Millionen Euro ein. Warum werden nicht mehr dieser "Goldesel" eingestellt?

Stupka: Das ist in meinen Augen eine politische Entscheidung. Ich hoffe, dass die Liechtensteinaffäre gezeigt hat, wie kontraproduktiv dies ist. Offenbar aber herrscht in Bayern das Denken vor, dass man einen großen Teil dieser Mehreinnahmen ohnehin über den Länderfinanzausgleich abgeben muss, die Personalkosten aber muss man selber tragen.

Und Bürger, die vom Finanzamt nicht geprüft werden, beschweren sich natürlich nicht darüber. Dabei dienen mehr Fahnder und mehr Betriebsprüfer der Vorbeugung von Steuerbetrug, und dies dient dem Staatshaushalt. Viel mehr übrigens, als Steuersenkungen, die angeblich die Ehrlichkeit befördern sollen.

SZ: Wenn man den ORH-Bericht liest, könnte man meinen, Sie leben EDV-technisch noch im vergangenen Jahrhundert.

Stupka: Eine moderne Strafverfolgung scheitert bei uns schon an der Software. Die bayerischen Fahnder sind, mit einer kleinen Ausnahme, nicht miteinander vernetzt. Es ist grotesk: Da sollen wir europa- und weltweit agierende Straftäter jagen, haben aber keine Möglichkeit, die Daten zwischen München und Augsburg unmittelbar auszutauschen. Das ist, als wollte man einen Ferrari mit einem Fahrrad verfolgen.

SZ: Manchmal erwischen Sie aber doch jemand mit Ihrem Radl ...

Stupka: ... die Fußgänger...

SZ: Und irgendwann landet der Fall vor Gericht. Wird dort dann der Rest ihres Erfolgs zunichte gemacht?

Stupka: Unsere Fälle halten in der Regel rechtlich stand. Das Problem aber ist, dass Jahre ins Land gehen, bis sie abgeschlossen sind. Die Richter versuchen meist, eine Einigung zu erzielen, und das wird für den Täter oft recht billig. Ich selbst kenne aus Nürnberg nur einen einzigen Fall, bei dem das Gericht beim Strafmaß über fünf Jahre knapp hinausgegangen ist.

SZ: Ist die lange Verfahrensdauer auch eine Folge Ihrer Unterbesetzung?

Stupka: Nicht nur unserer. Auch die Staatsanwaltschaften sind personell katastrophal ausgestattet. Außerdem sind Mord oder Diebstahl vergleichsweise einfach zu durchschauen, wer aber eine Steuerhinterziehung auf den Tisch bekommt, kriegt Dutzende Aktenordner mitgeliefert.

Dies zu bearbeiten ist sehr aufwendig und anstrengend, bei vielen Staatsanwälten leidet auch die Gesundheit. Steuerermittlungen gehören zu den schwierigsten Bereichen der Strafverfolgung.

SZ: München war bei den Liechtensteinermittlungen einer der Schwerpunkte, 34 Durchsuchungen in einer Woche. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?

Stupka: Jede Sonderaktion führt dazu, dass laufende Arbeit liegen bleibt. Liechtenstein hat natürlich Vorrang - und die Beweislage in den anderen Fällen, die liegen bleiben, wird dadurch selbstverständlich nicht besser.

SZ: Der ORH kritisiert, dass die Meldungen von den Betriebsprüfern an die Fahnder "zu gering" seien.

Stupka: Das mag stimmen, ist aber so zu erklären: Die Prüfer-Kollegen reichen wieder und wieder Hinweise an uns weiter und stellen dann fest, dass wir davon nur einen kleinen Teil bearbeiten können. Irgendwann denkt sich der eine oder andere Betriebsprüfer vielleicht, er kann seine Arbeitszeit sinnvoller einsetzen und meldet nichts mehr oder weniger. Man muss uns einfach personell in die Lage versetzen, nicht nur ausgewählten, sondern allen mutmaßlichen Straffällen nachzugehen. Die Personalmisere betrifft alle Teile der Steuerverwaltung.

SZ: Der ORH wirft Ihren Münchner Kollegen auch schlampiges Arbeiten vor.

Stupka: Es ist bei uns wie überall: Je geringer das Personal, je höher der Druck, desto weniger professionell können Sie arbeiten.

© SZ vom 01.03.2008/ngh - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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