Interview mit Kardinal Friedrich Wetter:"Ich erwarte nicht, dass jetzt Massen in die Kirche eintreten"

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Dennoch erhofft sich Kardinal Friedrich Wetter vom Papstbesuch eine Belebung des Glaubens. Ein Interview.

Matthias Drobinski und Monika Maier-Albang

SZ: Wann sind Sie das erste Mal Joseph Ratzinger begegnet?

Kardinal Friedrich Wetter (Foto: Foto: dpa)

Wetter: Unsere Lebenswege haben sich erstmals 1934 berührt, in Altötting.

SZ: Wie bitte? Da waren Sie sechs und Joseph Ratzinger sieben Jahre alt, und Sie wohnten in Landau in der Pfalz, mehr als 400 Kilometer entfernt von Altötting.

Wetter: In Rom sprach Pius XI. Bruder Konrad heilig, den Kapuzinerbruder, der in Altötting mehr als 40 Jahre lang an der Pforte saß und die Armen speiste. Das wurde in Altötting gefeiert, und wir waren beide, Joseph Ratzinger und ich, mit unseren Eltern da.

SZ: Ein sehr persönliches Treffen war das nicht.

Wetter: Aber ein wichtiges gemeinsames Erlebnis. Unsere Familie ist oft nach Altötting gefahren, es war bei uns die gleiche bayerisch geprägte Frömmigkeit lebendig wie in der Familie Ratzinger. Deshalb verstehe ich, wie wichtig diese Wurzeln für Papst Benedikt XVI. sind. Regelmäßig sahen wir uns übrigens seit 1968, der gemeinsamen Zeit in der Glaubenskommission der Bischofskonferenz.

SZ: Was empfanden Sie, als Sie 1982 Kardinal Ratzingers Nachfolger als Erzbischof in München wurden? Der Vorgänger wird einer der wichtigsten Kirchenmänner, da bleibt man nicht unbefangen.

Wetter: Ja, das war eine Herausforderung. Ich habe mir aber gesagt: Ich werde den gleichen Dienst tun, muss aber meinen eigenen Stil finden. Das ist das Schöne an der katholischen Kirche: Sie ist viel weiter und vielfältiger, als das von außen wahrgenommen wird.

SZ: Als Präfekt der Glaubenskongregation war Joseph Ratzinger oft Ihr Gast.

Wetter: Ich habe mich immer gefreut, wenn er kam.

SZ: Wird man sich fremd, wenn der vertraute Gast auf einmal Papst ist?

Wetter: Unmittelbar nach seiner Wahl habe ich das gespürt. Da stand er, den ich seit 40 Jahren kenne, mit dem ich befreundet bin, als Papst vor mir, und ich dachte: Ist das Traum oder Wirklichkeit? Aber wir begegnen uns unkompliziert und freundschaftlich wie eh und je.

SZ: Gibt es ein bestimmtes Ritual, wenn Sie sich sehen?

Wetter: Nein. Wir reden offen und freundschaftlich miteinander. Ich erinnere mich noch an meine Begegnung als Student mit PiusXII. Damals musste man sich dem Papst mit einer Kniebeuge nähern und ihm den Ring küssen.

SZ: Haben Sie mal mit ihm gestritten? In der Auseinandersetzung um die Beteiligung an der staatlichen Schwangeren-Konfliktberatung waren Sie anderer Meinung als Kardinal Ratzinger, der Präfekt der Glaubenskongregation.

Wetter: Das war keine leichte Sache. Denn diese Frage hat viele Aspekte. In der Zielsetzung waren wir uns völlig einig, suchten zunächst aber auf verschiedenen Wegen das Ziel. Wir tauschten unsere Argumente aus. Dabei habe ich Kardinal Ratzinger stets als aufmerksamen Zuhörer erlebt. Das persönliche Verhältnis wurde nicht beschädigt.

SZ: Was ist Ihrer Ansicht nach des Papstes größte Stärke?

Wetter: Er ist nicht nur ein hervorragender Theologe, dessen Denken in der Wahrheit des Evangeliums fest verankert ist. Scharfsinnig diagnostiziert er die Entwicklungen in Kirche und Welt. So ist er ein Hirte, der die Kirche sicher leitet, und darüber hinaus ist er ein geistiger Führer der Menschheit.

SZ: Dann wollen wir jetzt aber auch nach den Schwächen fragen.

Wetter: Er weiß und sagt, dass er Grenzen hat wie jeder Mensch. Er vertraut auf Gottes Hilfe und hat uns Kardinäle in seiner ersten Ansprache nach seiner Wahl gebeten, ihm zu helfen, dass er sein Amt erfüllen kann. Das ist ein Zeichen von Bescheidenheit, die uns allen gut anstünde.

SZ: Der Papst ist jetzt eineinhalb Jahre im Amt - wie macht er sich?

Wetter: Er hat viele Weichen gestellt, und er hat sie gut gestellt. Als er 1982 aus München wegging, sagte er: Wir leben vom Ja und nicht vom Nein. Mit dieser Option fürs Positive führt er sein Pontifikat. Lesen Sie seine erste Enzyklika Deus Caritas est - da ist er so positiv, dass viele nicht mehr mit ihrem alten Ratzingerbild klar kommen.

SZ: Kardinal Ratzinger hat als Präfekt der Glaubenskongregation durchaus pessimistisch geredet, vom Niedergang in Kirche und Gesellschaft.

Wetter: Er ist sich in seinen Grundzügen treu geblieben, wenn auch in den verschiedenen Ämtern verschiedene Seiten seiner Persönlichkeit in den Vordergrund traten. Joseph Ratzinger hat immer sehr klar Fehlentwicklungen erkannt und benannt. Das ist Realismus, nicht Pessimismus. Und das war als Präfekt der Glaubenskongregation auch seine Aufgabe. Da haben sich viele, die der Sache nicht auf den Grund gingen, ein unzutreffendes Bild von ihm gemacht.

SZ: Was ist nun die Reise des Papstes: Eine nostalgische Tour, ein Abschiedsbesuch, ein Pastoral-, ein Staatsbesuch?

Wetter: Es ist zunächst ein Besuch in seiner bayerischen Heimat. Benedikt ist ihr sehr verbunden, und es gehört ja auch zum Menschsein, seine Wurzeln lebendig zu halten. Der Besuch ist auch ein Dankeschön an das Land, das seinen Glauben geprägt hat. Doch weil ein Papst nie als Privatperson kommt, ist es auch ein Pastoralbesuch, der zudem den Charakter eines Staatsbesuchs hat.

SZ: Was ist die bundesweite, gar weltweite Bedeutung dieser Bayern-Reise?

Wetter: Es nimmt ja ganz Deutschland teil an diesem Besuch, und der Papst richtet seine Botschaften an die Menschen in der ganzen Welt. Das Interesse außerhalb Bayerns ist beträchtlich: Man kann den Papst in seiner Heimat sehen und besser verstehen, was ihn geprägt hat.

SZ: Durch die ausschließlich süddeutsche Reiseroute könnten sich Bischöfe und Gläubige in Norddeutschland ausgegrenzt fühlen.

Wetter: Alle Bischöfe waren von Anfang an eingeladen. Dass es nun Katholiken gibt, die sagen, schade, dass er nicht zu uns kommt, verstehe ich: Das würden wir in Bayern ja auch sagen, wenn er nach Berlin, Rostock und Hamburg käme und nicht zu uns. Aber so ein Besuch hat auch seinen zeitlichen Rahmen. Der Papst kommt ja nicht einmal nach Traunstein. Diese Stadt, die er sogar seine Vaterstadt nennt, hat ihn mehr geprägt als Marktl. Der Besuch in Freising ist als Abschluss gut möglich, weil der Flughafen in der Nähe liegt. So kommt er noch einmal in den Ort seiner Priesterweihe und des Beginns seiner Lehrtätigkeit. 1991 hat er ins Gästebuch des Doms geschrieben: Wieder einmal im Vaterhaus auf dem Domberg. Unterschrieben haben er, sein Bruder Georg und seine Schwester Maria, die wenige Monate später starb.

SZ: Sie betonen, dass der Papstbesuch ein geistliches Ereignis sei. Aber kann ein solches Massenereignis die Menschen im Glauben stärken?

Wetter: Es ist ein Großereignis, klar. Aber der Papst betet mit uns, er feiert Gottesdienst - vor allem ist das ein großes geistliches Ereignis.

SZ: Manches kommt uns eher vor wie ein Festival für Benedetto Superstar.

Wetter: Es kommt darauf an, wie sich die Leute darauf einstellen. Wir können nicht verhindern, dass es Menschen gibt, die das so sehen. Aber die meisten wollen mit dem Nachfolger Petri die heilige Messe feiern. Solche Großereignisse haben ihren Platz in der Kirche. Warum sollen wir nicht ein gutes Event auf die Beine stellen, wenn es die Menschen stärkt und ihnen zeigt, dass sie in ihrem Glauben nicht allein sind?

SZ: Können Sie Katholiken verstehen, die finden, in den Zeiten des Sparzwangs hätte man mit dem Geld für den Besuch anderes tun können? Und Bürger, die sich ärgern, dass ihre Steuern für die Bayern-Reise Benedikts ausgegeben werden?

Wetter: Nein. Die Mehrheit sagt, es ist uns wert, dass für ein so einmaliges Ereignis dieses Geld gegeben wird - nicht nur Katholiken. Die Fußball-WM war für den Staat viel teurer. Und trotzdem war die allgemeine Auffassung: Das ist nicht nur ein privatwirtschaftlich organisiertes Fußballturnier, das bringt unser Land weiter. Wie viel mehr tut dies ein Papstbesuch!

SZ: Sie fürchten keinen Personenkult?

Wetter: Da sind wir beim Papst mit seiner Bescheidenheit aber an der falschen Adresse.

SZ: Sehen Sie in dieser großen Sympathie für den Papst eine Renaissance des Religiösen?

Wetter: Die gibt es schon länger, sie hat mit dem Papstbesuch direkt nichts zu tun. Diese Rückkehr des Religiösen ist eine Antwort auf die Technisierung, Rationalisierung und Ökonomisierung unserer Welt. Viele Leute sitzen den ganzen Tag vor dem Computer. Kein Wunder, dass sie etwas fürs Herz suchen. Das hat aber zunächst nichts mit Glaube und Kirche zu tun, sondern bleibt oft eine vage, unbestimmte Religiosität.

Der christliche Glaube ist da konkreter und immer eine Herausforderung. Säkularisationsprozesse gibt es auch in Bayern. Ich beobachte aber eine doppelte Wirkung: Die einen treten aus der Kirche aus. Die anderen jedoch stellen sich der Herausforderung des Glaubens bewusst, darunter viele aus der jungen Generation.

SZ: Sieht diese Begeisterung der jungen Leute nicht eher so aus: Sie finden den Papst cool - aber enthaltsam bis zur Ehe leben sie doch nicht.

Wetter: Dass sie den Papst cool finden, ist doch ein gutes Zeichen! Ich glaube, es richten sich mehr Jugendliche nach dem, was der Papst sagt, als Sie glauben.

SZ: Wir erleben eher, dass Jugendliche sagen: Ich finde im Prinzip gut, was die Kirche sagt, wenn nur nicht die lebensfernen Vorschriften wären.

Wetter: Dann haben wir die Chance zu erklären, dass wir nicht lebensfern sind. Jeden Sonntag zum Angelusgebet ist der Petersplatz in Rom voller Menschen, die auf die Ansprache des Papstes warten. Sie suchen im Stimmengewirr unserer Gegenwart eine Stimme, die ihnen Orientierung gibt. Und finden den Papst.

SZ: Was bleibt vom Papstbesuch?

Wetter: Ich erwarte nicht, dass jetzt Massen in die katholische Kirche eintreten. Ich hoffe auf die Tiefen- und Langzeitwirkung. Die Zukunft unserer Kirche ist Jesus Christus. Und unsere Aufgabe ist es, Christus zu verkünden. Das Christuszeugnis des Heiligen Vaters ist uns dabei Vorbild und Ansporn.

© SZ vom 9.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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