Interview mit einem Lawinen-Experten:"Als würde man Beton in eine Wanne gießen"

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Beinahe wöchentlich werden Skitourengänger durch Lawinen verschüttet - Stefan Winter vom Deutschen Alpenverein über Lawinengefahren und das Restrisiko Mensch.

Interview: Michael Ruhland

Es ist eine traurige Gewissheit: Beinahe wöchentlich werden Skitourengänger in den Alpen durch Lawinen verschüttet, die meisten sterben unter den Schneemassen. Am Samstag begrub eine Nassschneelawine den 34-jährigen Münchner Computerfachmann Ulrich F., der mit zwei Freunden im Pitztal unterwegs war. Er konnte immer noch nicht geortet werden - er ist mit großer Wahrscheinlichkeit tot. Stefan Winter, 40, Ressortleiter Breitenbergsport beim Deutschen Alpenverein (DAV), erklärt, wie gefährlich Tourengehen ist. SZ: Hätten die Tourengänger das Unglück durch mehr Vorsicht verhindern können?

Erklärt, wie gefährlich Tourengehen ist: Stefan Winter, 40, Ressortleiter Breitenbergsport beim Deutschen Alpenverein. (Foto: Foto: oh)

Winter: Im Nachhinein ist das schwer zu sagen. Sicher ist wohl, dass die Gruppe das Risiko der hohen Temperaturen berücksichtigt hat. Aussagen zufolge hatten sie spekuliert, dass es am frühen Abend nicht mehr so warm ist. Die Tour zum Taschachhaus im Pitztal ist im Frühjahr völlig normal. Die drei haben also ganz sicher nicht Harakiri begangen.

SZ: Bei Firntouren im Frühjahr gilt eigentlich ein ehernes Gesetz: Sehr früh losgehen, wenn die Schneedecke noch durch den Nachtfrost trägt und die Sonneneinstrahlung geringer ist.

Winter: Diese goldene Regel kannten schon die Altvorderen, das ist richtig. Gerade bei den augenblicklichen Temperaturen und den nach wie vor großen Schneemengen ist es am sichersten, die Tour früh morgens zu starten. Durch die Sonne wird der Schnee aufgeweicht und kommt in Bewegung. Die Lawinengefahr steigt.

SZ: Bei Nassschneelawinen ist das Gewicht um ein Vielfaches höher als bei Lockerschnee. Ein Todesurteil?

Winter: Die Überlebenschancen sind in der Tat sehr gering. Der Schnee verliert im Frühjahr seine kristalline Form, er ist kompakter und komprimierter. Lawinen verfestigen sich vor Ort derart stark - es ist, als würde man Beton in eine Wanne gießen.

SZ: Wie kann es sein, dass es nicht mal einem Suchtrupp mit 25 Mann gelingt, das Lawinenopfer zu finden?

Winter: Möglicherweise hatte der verschüttete den Piepser gar nicht angestellt, weil er die Tour zur Hütte als ungefährlich eingeschätzt hat. Ein fataler Fehler. Tragisch ist, dass seine Kameraden nicht gesehen haben, wo er erfasst wurde. Dann hätten sie anhand der Lawinenfließrichtung einen Suchkorridor abschätzen können. Diese Lawine hatte zudem ein Riesenausmaß.

SZ: In den ersten zehn Minuten bestehen die größten Chancen, einen Verschütteten lebend zu bergen. Heißt das, man sollte auf alle Fälle gemeinsam graben und nicht etwa Hilfe holen?

Winter: In diesem Fall war es wahrscheinlich richtig, dass einer der beiden Hilfe geholt hat. Bei dieser Verschüttungstiefe hätten sie zu zweit keine Chance gehabt. Leider liegen die Überlebenschancen nur in den ersten 18 Minuten bei 90 Prozent und sinken dann rapide ab. Nach zwei Stunden gibt es eigentlich keine Hoffnung mehr.

SZ: Tourengehen ist Trendsportart. Unterschätzen zu viele die Gefahren?

Winter: Die Statistik zeigt, dass die Anzahl der tödlichen Bergunfälle insgesamt stagniert oder leicht abnimmt. Allerdings ist die Selbstüberschätzung die Unfallursache Nummer eins. Erst dann kommt fehlende Fitness. Im Jahr 2005 gab es 711 Bergunfälle, die uns gemeldet wurden, 48 davon mit tödlichem Ausgang. 1952 waren es insgesamt 367 mit 40 Toten. Heute gibt es jedoch abertausende Bergsteiger mehr.

SZ: Reicht ein Kurs aus, um sich alleine auf Tour zu trauen?

Winter: Das hängt stark von der Persönlichkeit und dem Können ab. Wir empfehlen, Kurse zu machen. Als Ausgebildeter hat man Studien zufolge ein nur halb so großes Unfallrisiko.

SZ: Ein Restrisiko bleibt aber - auch bei einer geführten Tour.

Winter: Das letzte Risiko ist der Mensch selbst. Leider meinen heute viele, dass sie sich bloß im Internet informieren müssen, um gut vorbereitet zu sein. Eine fatale Einstellung.

© SZ vom 14.05.2008/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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