Honorarregelung für Kassenpatienten:Umsatzeinbrüche bei Ärzten

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Ärzte können sich Patienten nicht mehr leisten. Fach-Praxen drohen Umsatzeinbrüche von bis zu 50 Prozent . Die größten Verlierer sind die Kranken.

Sibylle Steinkohl

Bei den niedergelassenen Fachärzten in München herrscht Untergangsstimmung. Durch eine neue Honorarregelung für Kassenpatienten, die im neuen Jahr zusammen mit dem Gesundheitsfonds in Kraft getreten ist, erwarten sie dramatische Umsatzeinbußen von bis zu 50 Prozent.

Für Kassenpatienten bekommen Ärzte in Zukunft viel weniger Geld. (Foto: Foto: AP)

Besonders hart betroffen sind, der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) zufolge, die sehr spezialisierten und hoch aufgerüsteten (und oft hoch verschuldeten) Praxen, wie sie gerade in einer Großstadt wie München häufig vorkommen, zum Beispiel die Einrichtungen ambulanter Operateure und Kernspin-Radiologen. Aber auch Psychiater, Kinderärzte und viele andere Disziplinen bleiben nicht verschont.

An den Feiertagen hatten viele Münchner Kassenärzte nur eine Lektüre: das schwierige Regelwerk, das ihnen ihr künftiges individuelles Einkommen aus der Versorgung von Kassenpatienten erläutert. Eigentlich war die Information der KVB schon für Anfang Dezember angekündigt, sie wurde aber erst zur Monatsmitte versandt.

Die Weihnachtsbotschaft hat es in sich, für Andreas Horban zum Beispiel, Kardiologe mit Praxis in Schwabing. "Ich verliere die Hälfte meines Umsatzes bei gesetzlich Versicherten, ohne dass sich die Zahl der Patienten und meine Leistung ändern", sagt der 42-Jährige, "und zwar durch einen politischen Federstrich".

Maximal 72 Euro im Quartal kann der Herzspezialist für einen Kassenpatienten nun abrechnen: 72 Euro für Anamnese, körperliche Untersuchung, Ruhe- und Belastungs-EKG, Herz-Ultraschall und schriftlichen Befund. Nähme er noch eine Sonographie der Halsschlagader vor, wie es sich bei Bluthochdruck laut Qualitätsstandard gehört, entdeckte er dabei gefährliche Ablagerungen, und verordnete entsprechende Medikamente, erhielte er keinen Cent zusätzlich. Doch ob sich Horban, der aus Überzeugung und mit Leidenschaft Kassenpatienten gut versorgen will, diese Schlaganfall-Prävention zum Nulltarif noch leisten kann? "Die 72 Euro stellen nicht einmal den Herz-Ultraschall kostendeckend dar", kritisiert er.

Hintergrund der Entwicklung ist eine bundesweit verbindliche Reform der Honorarordnung, die aufgrund verschiedener komplizierter Neuregelungen vielen Facharztpraxen herbe Umsatzeinbrüche beschert. So sind die Fallzahlen, für die es Geld gibt, nach oben begrenzt, bisherrige Abrechnungen einzelner Tätigkeiten durch niedrigere Pauschalen ersetzt und die regionalen Strukturverträge mit verschiedenen Kassen, wie sie für bestimmte Leitungen etwa den Halsschlagader-Ultraschall in Bayern existierten, abgeschafft.

"Das ist ein Systemwechsel", klagt nicht nur Horban, dahinter stecke die politische Absicht, die Facharztpraxen sterben zu lassen und stattdessen Versorgungszentren an Kliniken zu gründen. Ein großer Gesundheitsanbieter soll in München schon bereitstehen, um die Zulassungen 100 maroder Kassenarztpraxen günstig aufzukaufen und zu einem Medizinischen Versorgungszentrum mit angestellten Ärzten zu vereinen.

Ein Minus von 45 Prozent im Vergleich zum ersten Vierteljahr 2008 ist im Bescheid des Münchner Psychiaters Andreas Meißner angekündigt. Ein Kollege melde einen Einbruch von 35 Prozent. "In dieser Größenordnung dürfte es generell bei den Psychiatern und Nervenärzten liegen", berichtet er und erzählt von einer schwerkranken 32-jährigen Patientin, die an einer Psychose leidet und früher öfter in der Klinik lag.

Seit 2005 behandelt Meißner sie erfolgreich ambulant, mit gut eingestellten Medikamenten, regelmäßiger Kontrolle und eingehenden Gesprächen. "Eigentlich kann ich sie höchstens noch ein- oder zweimal im Quartal kurz sehen und sprechen", klagt er. Für die Betreuung der Frau stehen ihm jetzt 57 Euro im Vierteljahr zu.

"Wer einen Kassenpatienten halbwegs kompetent versorgen will, kommt in München mit dem Geld nicht hin", sagt Neurologe Gunther Karlbauer, der sich selbst fast ganz von der Kassenmedizin verabschiedet hat. Rund 1000 reine Privatpraxen existieren bereits in München, was sich bei 18 Prozent Privatversicherten in Stadt und Umland offenbar gut rechnet. KVB-Chef Axel Munte erwartet, dass weitere Mediziner ihre Kassenarztzulassung an den Nagel hängen. Auch der Trend zu den Leistungen, die Patienten aus eigener Tasche bezahlen müssen, werde steigen. "Die größten Verlierer sind die Patienten", sagt Munte. Das finden alle Ärzte, die in diesen Tagen in heller Aufregung sind.

"Was soll ich meinen Patienten sagen", rätselt Darmspezialist Georg Osterholzer, der mit zwei Kollegen eine große Praxis betreibt. Die Terminbücher seien voll. "Doch das mir zustehende Budget wird bereits nach sechs Wochen aufgebraucht sein", hat er ausgerechnet und überlegt nun, was dann bis Quartalsende geschehen solle. Zumachen? Vor Weihnachten hat er eine erste Konsequenz aus dem drohenden finanziellen Engpass gezogen und eine Arzthelferin und eine Ärztin in der Weiterbildung ausgestellt.

Weil das Bruttohonorar von 20 Euro pro Behandlungsfall auf die Hälfte sinke, verkürzen die Bereitschaftspraxen der Kassenärzte am Schwabinger Krankenhaus, am Klinikum rechts der Isar, in Neuperlach und Neuhausen nach Dreikönig ihre Öffnungszeiten. Mit zehn Euro pro Fall könne man nicht kostendeckend arbeiten, sagt Mediziner Peter Eyrich, "wir sperren während der Woche zu". Künftig sind die Ärzte am Freitagabend, an Samstagen , Sonn- und Feiertagen da, bis 21 Uhr statt bisher 22 Uhr.

Die Zeichen stehen auf Sturm. Viele Münchner Fachärzte haben Brandbriefe an die Gesundheitspolitiker in Bund und Land geschrieben, die KVB bittet ihre Vertreter zu einer Sondersitzung am nächsten Samstag nach München und plant für 4. Februar einen Protestmarsch von der Staatskanzlei zum Löwenbräukeller. "Wir werden unsere Ärzte nicht im Regen stehen lassen", verspricht Munte, von dessen KVB sich manche Mediziner allerdings bessere Informationen über die Verteilung der Geldströme wünschen, die zumindest nach AOK-Angaben in diesem Jahr insgesamt reichlicher als vorher fließen sollen.

Munte will nun erreichen, dass eine Praxis durch die Honorarreform nicht mehr als fünf Prozent Umsatz verlieren dürfe: "Dazu müssen uns die Kassen mehr Geld geben."

© SZ vom 03.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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