Hoffnung für Betroffene:Forschungsziel Freiheit

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Mit neuen Therapiemethoden kann Insulin automatisch und zudem genauer dosiert werden - den Patienten ermöglicht das mehr Flexibilität

Von Anna Hoben, München

Wie hoch ist mein Blutzucker? Was kann ich essen? Wie viel Insulin muss ich spritzen? Wer an Typ-1-Diabetes leidet, muss immerzu in sich hineinhorchen. "Man ist 24 Stunden mit der Krankheit beschäftigt", sagt Rüdiger Landgraf. Der Diabetologe und emeritierte Professor der Medizinischen Klinik der Universität München ist zugleich Kurator der Deutschen Diabetes-Stiftung.

Der Typ-1-Diabetes, sagt Landgraf, ist "am unkompliziertesten". Also was das Grundsätzliche betrifft: Der Patient hat einen Mangel an Insulin; dieses muss möglichst physiologisch ersetzt werden. Aber wie oft? Mit welchem Insulin? Und wie viel? Da wird es dann doch kompliziert. Mehrmals täglich muss der Betroffene seinen Blutzucker messen. Doch die Dosis und Art des Präparats hängt nicht nur davon ab, sondern von vielen weiteren Faktoren. Zum Beispiel: Welche Aktivitäten sind nach dem Essen geplant? "Wer gleich Sport machen will, muss weniger spritzen. Wer sich erst einmal zwei Stunden zum Schlafen auf die Couch legt, braucht eine höhere Dosis", erklärt der Diabetologe. Wurde zum Essen allerdings Alkohol getrunken, fördert dies wiederum Unterzucker. Ergo: Der Patient braucht dann doch eine geringere Dosis. Schließlich ist Insulin auch nicht gleich Insulin. Es gibt schneller und langsamer, kürzer und länger wirkendes. Bei der sogenannten Basis-Bolus-Therapie werden verschiedene Arten kombiniert. "Ein- oder zweimal am Tag wird ein langsam wirkendes Insulin gespritzt, dazu kommt ein schnell wirkendes zu den Mahlzeiten", so Landgraf. Anders als die konventionelle Behandlung ermöglicht diese Therapie einen flexiblen Tagesablauf. Der Patient setzt die unterschiedlichen Präparate so ein, wie seine Pläne es erfordern.

Noch mehr Freiheit erlaubt die Insulinpumpe. Dabei misst ein Glukosesensor unter der Haut kontinuierlich den Gewebezucker. Die programmierbare Pumpe leitet dann das benötigte Insulin über einen Katheter und eine Injektionsnadel in den Körper. "Das macht vieles einfacher", sagt Landgraf. "Die Betroffenen müssen sich nicht vier- bis sechsmal am Tag in den Finger piksen, und die Pumpe imitiert die physiologische Insulin-Freisetzung wesentlich genauer." Das Mitdenken ersetzt die Insulinpumpe nicht; auch sie kombiniert eine stündlich abgegebene Dosis mit einer selbst zu bestimmenden zu den Mahlzeiten. Dies könnte sich allerdings bald ändern. Bei Pumpen mit "Closed Loop System" soll der Patient sich ganz auf die Elektronik verlassen können; ein Computersystem entscheidet, wie viel Insulin die Pumpe abrufen soll. "Das wird die Zukunft sein", prophezeit der Diabetologe.

Ganz anders funktioniert die Behandlung von Typ-2-Diabetes. "Er ist komplizierter, weil er keine reine Insulinmangelkrankheit ist", sagt der Mediziner. Der Mangel ist hierbei oft kombiniert mit einer Insulinresistenz. Und: Die Krankheit ist genetisch programmiert. Litten schon Mutter und Vater an Typ-2-Diabetes, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass Sohn oder Tochter die Krankheit mit etwa 60 Jahren ebenfalls bekommen, bei 60 bis 80 Prozent. "Anfangs brauchen die meisten Betroffenen kein Insulin", sagt Landgraf. Theoretisch funktioniert die beste Behandlung ohne Medikamente: Gewichtabnahme, gesündere Ernährung, nicht rauchen und sehr viel mehr körperliche Bewegung - all dies führt zu einer Verbesserung.

In den meisten Fällen jedoch seien diese "Lebensstilinterventionen", wie Landgraf diese Umstellungen nennt, kaum umsetzbar. "Dann kommt die Medikamentenkeule." Neben Tabletten gibt es auch Medikamente, die bestimmte Darmhormone imitieren und wie Insulin gespritzt werden müssen. "Sie verbessern die Insulinproduktion und senden das Signal ans Gehirn: Du bist jetzt satt." Erst wenn nach drei bis sechs Monaten keine Verbesserung sichtbar ist, greifen Ärzte auch bei Patienten mit Typ-2-Diabetes auf eine Insulintherapie zurück.

© SZ vom 07.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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