Historische Bräuche gegen bunte Glitzerwelt:Der Geist der Weihnacht

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Witzfigur statt Respektsperson: Der Weihnachtsmann hat dem Nikolaus den Rang abgelaufen. (Foto: Johannes Simon)

Die gnadenlose Kommerzialisierung hat der Adventszeit schwer zugesetzt - aber einige Traditionen werden auch heute noch gepflegt

Von Hans Kratzer

Die Befindlichkeiten einer Gesellschaft lassen sich auch an ihren Advents- und Weihnachtsbräuchen ablesen. In diesen frühen Dezembertagen, in denen die Plätzchenzeit beginnt, kann es einem Kunden im Supermarkt durchaus passieren, dass er keine Backzutaten mehr bekommt. Alles ausverkauft, wird ihm mitgeteilt, und das mitten im Advent, in der Kernzeit des Plätzchenbackens. Das ist absurd, resultiert aber daraus, dass die Konsumindustrie Plätzchen- und Lebkuchenzubehör immer früher feilbietet. Heutzutage türmen sich die Advents- und Weihnachtsartikel in den Kaufhäusern bereits Ende September. Die Lebkuchen-, Nikolaus- und Glühweinseligkeit setzt quasi noch während des Spätsommers ein.

Durch die Wucht der Kommerzialisierung wird die Abfolge des Jahresbrauchtums geradezu grotesk verzerrt. Dazu passt auch, dass die Weihnachtszeit mitsamt dem Christbaumbrauch in den Advent vorverlegt wurde. Der Advent beginnt streng genommen am Kathreinstag (25. November), die Weihnachtszeit aber erst am Weihnachtstag (25. Dezember).

Der Filmemacher Gerhard Ledebur hat in den frühen Siebzigerjahren den Übergang vom streng reglementierten zum beliebigen Brauchtum wunderbar dokumentiert. In seinen für das Bayerische Fernsehen gemachten Filmen lässt Ledebur viele Menschen zu Wort kommen, die noch vom alten Jahresrhythmus geprägt und ohne die Segnungen des Wohlstands aufgewachsen sind. Sie sagen unisono, sie hätten in ihrer Kindheit die schönsten Weihnachten erlebt, die man sich vorstellen kann.

Doch dann begann der Kommerz die Advents- und Weihnachtszeit zu drangsalieren. Der aggressive und egoistisch motivierte Bettelbrauch an Halloween (31. Oktober) hat dabei die alten adventlichen Heischebräuche verdrängt. Vereinzelt sieht man draußen auf den Dörfern noch Klopfer (Klöpfelgeher), wie sie in alter Hirtenkluft für einen guten Zweck von Haus zu Haus ziehen und um eine milde Gabe bitten und sich mit Segenssprüchen und Liedern dafür bedanken. Der Name Kletzenklopfer rührt daher, dass sie früher oft Kletzen bekamen, das sind gedörrte Birnen.

Den großen Heiligen stehen jeweils unheimliche, finstere Figuren zur Seite

Vor einigen Jahren schien sich auch die Galionsfigur der Adventszeit schlechthin für immer zu verabschieden. Der Nikolaus musste überall dem Weihnachtsmann weichen, sogar als Schokoladenfigur hatte er ausgedient. Dabei verkörpert dieser Weihnachtsmann oft nur eine feiste Version der Coca-Cola-Werbefigur, die mehr an eine Witzfigur erinnert als an eine Respektsperson und auf diese Weise irgendwie auch die Orientierungslosigkeit im modernen Brauchwesen widerspiegelt. Selbst in seiner Heimat Demre (Myra) in der Türkei war die riesige Bronzestatue des Stadtheiligen Nikolaus an einen einsamen Steinbruch versetzt worden. Auf dem Stadtplatz thront stattdessen der Weihnachtsmann. Zahlreiche Initiativen aber haben mittlerweile den Nikolaus wieder aus der Versenkung geholt und seinen Status gestärkt. Sogar als Schokonikolaus, in Stanniol gewickelt, ist er wieder zu haben.

In Oberbayern sind diesem Heiligen im Mittelalter viele Kirchen und Kapellen geweiht worden, und auch Nikolausmärkte gab es zuhauf. Der bis ins Mittelalter zurückreichende Münchner Nikolausmarkt war der Vorläufer des heutigen Christkindlmarktes. Auffällig ist, dass den großen Heiligen der Adventszeit - Nikolaus, Lucia, Thomas - jeweils finstere, unheimliche Figuren zur Seite stehen. Sie heißen Knecht Ruprecht, Krampus, Klaubauf, schiache Luz und blutiger Dammerl und verkörpern das Böse und Finstere. Im Berchtesgadener Land begleiten zum Beispiel die Buttenmandln den Nikolaus. Sie tragen Tiermasken, ihre Körper sind mit Stroh umwickelt, und mit ihren Kuhglocken schlagen sie einen Heidenlärm. Diese dunkle Seite des Advents hat es immer gegeben, und deshalb überrascht es nicht, dass es auch früher schon Missstände gab. Anno 1601 vermerkte der Landrichter von Berchtesgaden "ain merckliche große Unzucht mit dem Perchtlauffen". Über Jahrhunderte hinweg hagelte es in Bayern Verbote, gab es Übergriffe und wüste Schlägereien, bei denen es nicht selten Tote gab. Auch in München brachte der Krampus-Brauch schlimme Auswüchse mit sich. Einmal wurde einem Buben die Zunge abgeschnitten, ein anderer wurde gar erschossen, viele alte Polizeiakten enthalten Berichte über Tumulte und Ausschreitungen im Gefolge des Advents- und Weihnachtsbrauchtums.

Die Perchten sind trotz ihrer schaurigen Gestalt vor allem Glücksboten

Wenn diese maskierten Schreckgestalten heute über die Stränge schlagen, dann reiht sich ihr Übermut freilich nahtlos ein in die Exzesse der Eventgaudi, die sich vom Oktoberfest über die immer glühweinseligeren Christkindlmärkte bis hin zum Fasching und zur Starkbierzeit fortsetzen. Und doch zeigt der Schrecken immer auch eine freundliche Gegenseite. Zwar ist die schiache Luz eine Schreckgestalt, aber das Brauchtum um die heilige Lucia (13. Dezember) wärmt die Herzen umso mehr. Vor allem in Fürstenfeldbruck, wo die Schulkinder jedes Jahr im Dezember aus Pappe Modelle von Stadthäusern basteln und diese nach der Segnung auf der Amper davonschwimmen lassen. Dieser Brauch geht auf das Hochwasser von 1785 zurück und zeigt, dass Bräuche nicht vom Himmel fallen, sondern erfunden werden, wenn man sie braucht. Bräuche passen sich neuen Verhältnissen und Bedürfnissen sofort an. Die Globalisierung hat diesen dynamischen Prozess extrem beschleunigt.

Auf einer interessanten Geschichte basiert der Perchtenlauf von Kirchseeon, der an diesem Samstag und Sonntag sowie an den nächsten beiden Wochenenden zu erleben ist. Er wurde 1954 wiederbelebt, nachdem er im 1. Weltkrieg in Vergessenheit geraten war. Wegen des Baus der Eisenbahnstrecke von München nach Rosenheim, vor allem aber wegen der Nonnenfalter, die den Ebersberger Forst kahl gefressen hatten, schufteten um 1860 herum viele Holzarbeiter aus Südtirol, Österreich und aus dem Schwarzwald in der Gegend um Kirchseeon. Und sie brachten damals wohl auch die alten Perchtentänze mit. In ihrer Zwiegestalt von Gut und Böse spiegeln die Perchten die Gegensätzlichkeit wider, die den gesamten Weihnachtsfestkreis prägt. Deshalb sind die Perchten trotz ihrer schaurigen Gestalt vor allem Glück- und Segensboten.

Ohne die Segnungen der Medizin, der Technik und des Versicherungswesens mussten die Menschen früher vor allem bei den himmlischen Mächten und den Heiligen um Schutz flehen. Daran erinnern auch die Stephaniumritte am zweiten Weihnachtsfeiertag. Es ist der Tag des heiligen Stephanus, eines Rossheiligen. Die Umritte, etwa in Erharting bei Mühldorf und in Oberhaching, lassen viel von der Not erahnen, der unsere Vorfahren ausgesetzt waren, aber auch von ihren Hoffnungen - gerade in der Weihnachtszeit.

© SZ vom 04.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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