Historie:Hinterm Horizont geht's weiter

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Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wächst München auf Kosten der Peripherie. Manche Orte konnten gar nicht schnell genug eingemeindet werden, andere trauern bis heute ihrer Unabhängigkeit nach

Von Martin Bernstein, München

Seit 1942 ist München nicht mehr gewachsen. Im Jahr 1942 setzten Aubing, Lochhausen und Langwied den Schlusspunkt unter die lange Reihe von Eingemeindungen. Nach dem Krieg kamen dann nur noch zwei kleine Fleckerl ganz im Norden der Stadt (das Wohnlager Frauenholz) und im Süden der Perlacher Forst hinzu. Damit war - zumindest bis dato - abgeschlossen, was 100 Jahre zuvor begonnen hatte: das Wachstum Münchens auf Kosten der umliegenden Gemeinden und, im Falle Pasings, Schwabings und, ja, sogar der Au, einst selbstständiger Städte.

In Pasing, dass 1938 von den Nationalsozialisten zwangsweise an deren "Hauptstadt der Bewegung" angeschlossen wurde, hält sich der Groll über die Annexion bis heute. Zumindest aber betonen viele Pasinger die Sonderstellung ihres Stadtteils, der immerhin einen eigenen Marienplatz mit Säule, einen eigenen Viktualienmarkt, einen eigenen Fernbahnhof und sogar ein Rathaus mit Standesamt besitzt, bis heute. Und auch manchen Innenstadt-Münchnern ist der ferne Westen irgendwie immer ein bisschen fremd geblieben.

Der Gang zurück in die Geschichte der Münchner Eingemeindungen hat etwas vom Häuten einer Zwiebel. Zusammen mit Pasing wurden 1938 auch Solln, Hadern, Unter- und Obermenzing, Allach, Feldmoching und Ludwigsfeld sowie das Hasenbergl an München angegliedert, ein Jahr zuvor war Riem an der Reihe gewesen. Damit wurde indes nur fortgesetzt, was Anfang der 1930er Jahre mit dem Gürtel zwischen Perlach und Freimann begonnen hatte - die Vereinnahmung der Peripherie.

Moosach, Berg am Laim, Oberföhring und Milbertshofen sowie Forstenried und Fürstenried waren bereits 1913, also noch zu Zeiten des Königreichs Bayern, München angegliedert worden. Die fortschrittliche Stadt Schwabing, die immerhin noch vor München die elektrische Straßenbeleuchtung eingeführt hatte, war 1890 Teil der königlichen Residenzstadt geworden. Vor 1877 hatten noch nicht einmal Gebiete wie das Westend oder Sendling, die heute innerhalb des Mittleren Rings und damit im Herzen der Stadt liegen, zu München gehört. Begonnen hatte alles mit einem Verwaltungsakt am grünen Tisch: Am 17. Mai 1854 genehmigte König Max II. die Eingemeindung der Gemeinden Au, Giesing und Haidhausen. München verdoppelte mit einem Federstrich sein Stadtgebiet und wurde durch den Zuwachs an Bevölkerung auf nunmehr 110 000 Einwohner die erste bayerische Großstadt.

SZ-Karte (Foto: SZ-Karte)

Das war aber nur die Verwaltungsebene. Vor allem die Au, die 1808 zur eigenständigen Stadt erhoben worden war und in der 1854 fast 11 000 Menschen lebten, war eng mit München verbunden. In der Au wohnten die einfachen Leute, später Fabrik- und Ziegelei-Arbeiter in sogenannten Herbergen. Dort gab es regelrechte Elendsquartiere. Diesen Wildwuchs auf der anderen Isarseite wollte München unter Kontrolle bringen. Auch in der Au gab es viele Befürworter der Eingemeindung, im Revolutionsjahr 1848 sogar eine Unterschriftensammlung.

Zuvor war München von innen heraus gewachsen: durch die Anlage von Max-, Isar- und Ludwigsvorstadt. Auch die Theresienwiese und das spätere Bahnhofsviertel waren bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts münchnerisch. Und schon 1724 wurde das bis dahin kurfürstliche Lehel Teil der Stadt. Diese befreite sich am Ende der Kurfürstenzeit von ihrem Mauergürtel und zeigte so ganz sinnbildlich, dass sie bereit war, über sich hinaus zu wachsen. Im Mittelalter nämlich musste erst der Mauerring erweitert werden, wenn es in der Stadt zu eng wurde. Eine allererste "Eingemeindung" gab es wohl auch damals schon: den bis heute mysteriösen Ort Altheim, von dem nur ein Knick im Verlauf der Altstadtstraßen geblieben ist - das Altheimer Eck.

Münchens Wachstum war also, wenn man so will, immer auch ein Wachstum auf Pump. Es läge durchaus in der geschichtlichen Logik, wenn irgendwann einmal große Teile des Landkreises München, dazu vielleicht Stadtrandgemeinden wie Puchheim, Gröbenzell oder Karlsfeld geschluckt würden. Aber daran denkt ja niemand ernsthaft . . .

© SZ vom 28.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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