Hilfsprojekt Bücherbrücke:"Gibt es bei euch Bäume?"

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10.000 Bücher für die Mongolei: Der Münchner Carsten Rübsaamen begleitet die "Bücherbrücke" - ein Hilfsprojekt mit literarischem Ansatz.

Susanne Popp

Carsten Rübsaamen hat BWL an diversen Elite-Schulen studiert, aber einzig das ordentlich geknöpfte blaue Hemd passt ins Klischee des eloquenten Manager-Typen. Unter seiner Trekking-Jacke lugt ein gebundenes Pfadfinderhalstuch hervor - die andere Seite des jungen Geschäftsführers: Er gründete mit deutschen Pfadfindern das Projekt "Bücherbrücke" und begleitet nun im September 10.000 gespendete Schulbücher in die Mongolei.

Carsten Rübsaamen reiste mehrere Wochen als Pfadfinder durch die Mongolei und ist Mitbegründer der "Bücherbrücke". (Foto: Foto: Susanne Popp)

Rückblick. Im Sommer 2005 fliegt Rübsaamen mit fünf Pfadfinderkollegen aus Neumark nach Ulan Bator. "Wir wussten eigentlich nicht, was uns da erwartet. Man fliegt mit der Tupolev von Moskau aus über die Mongolei und sieht nur Hunderte von Quadratkilometern flaches Land." Statt der üblichen Pfadfinderziele in Skandinavien wollten sich die jungen Leute in neues Gebiet wagen. Aber was macht man da? Zunächst wollten die Deutschen wandern, aber eine Tour durch das Land ist ohne Hilfe der Einheimischen schwierig. "Der nächste Supermarkt ist 400 Kilometer entfernt und zur nächsten Jurte, in der man Milch und Fleisch kaufen kann, wandert man zwei Tage." Schließlich war es der Kontakt mit den mongolischen Pfadfindern, der Rübsaamen und seinen Freunden Einblick in eine ganz fremde Welt ermöglichte. Mehrere Wochen reisten die Deutschen gemeinsam mit mongolischen Kollegen durch das Land, waren mit Kamelen und Pferden in der Wüste Gobi unterwegs und besuchten Jurtenschulen abseits von Elekrizität und Verkehr.

"Wir wollen etwas zurück geben!"

Wenn Carsten Rübsaamen von seinen Erlebnissen in der Mongolei spricht, erinnert nichts mehr an das Klischee eines glatten BWL-Studenten. "Diese unglaubliche Weite und Leere die man dort hat, wirkt sich irgendwann auf deinen Kopf aus. Für mich war das das erste Mal im Leben, dass ich nicht immer konkret an irgendetwas gedacht habe, was ich noch tun muss oder wen ich noch anrufen muss." Ausladende Gesten begleiten seine Erzählungen. Begeisterung, die ansteckend, nicht aufgesetzt wirkt und aus der die Idee zum Projekt "Bücherbrücke" entstanden ist. "Wir wollen etwas zurück geben", sagt Rübsaamen.

In Zusammenarbeit mit Uuganaa, einer mongolischen Lehrerin in der kleinen Stadt Arvaikher, hilft das Projekt "Bücherbrücke" bei der Ausstattung diverser Schulen und der Bibliothek eines Jugendzentrums mit Büchern. Denn in Arvaikher (400 km südlich der Hauptstadt Ulan Bator) gibt es zwar Schulen, aber Unterrichtsmaterial ist Mangelware. Während Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz oder der amerikanische Peace Corps Lebensmittel und Kleidung bringen, sammelt die "Bücherbrücke" Texte. "Vielleicht ist unser Ansatz langfristiger", sagt Carsten Rübsaamen. Bücher, vor allem englische, sollen den Kindern helfen, eine Sprache zu lernen und sie zu verstehen. Das schafft Perspektiven, in der Weiterbildung und für eine berufliche Zukunft.

Mongolische Hirtenmusik und Rammstein

Die liegt in der Mongolei vor allem in der Tourismusindustrie. "Noch sind wir blonden Deutschen Exoten, die den Kindern Fragen über die Welt beantworten müssen", beschreibt Rübsaamen. Über die Bücher sollen die Kinder die Möglichkeit bekommen, ihren Horizont zu erweitern und "Bewusstsein zu schaffen, dass die Welt hinter der mongolischen Grenze weiter geht". Bildung als Basis für den Fortschritt, so wollen die Pfadfinder ihr Projekt verstanden wissen.

Denn die Mongolei löse sich vom Status eines Entwicklungslandes und werde von "materiellen Gütern überschwemmt", sagt Carsten Rübsaamen. Die in den Alltag zu integrieren, falle oft schwer. "Familien in Arvaikher besitzen teilweise zwei Mikrowellen, aber der Strom fehlt", sagt Rübsaamen. Oder eine Satellitenschüssel vor der Jurte, aber kein Kabel. Nur ein Statussymbol, wie die stolz vor der Garage geparkte A-Klasse des Deutschen? Nicht nur, denn in der Mongolei kommen die Nachbarn aus einem Umkreis von bis zu 20 Kilometern, um gemeinsam Fernsehen zu schauen. Wenn dann ein Übertragunskabel installiert ist, prallen Welten aufeinander. Auch eine Busfahrt in Ulam Batur wird zum Paradebeispiel des kulturellen Clashs: "Man hört eine alte Kassette mit einem mongolischen Obertonsänger und dann ist das nächste Lied Rammstein."

Hilfsprojekt Bücherbrücke
:"Gibt es bei euch Bäume?"

10.000 Bücher für die Mongolei: Der Münchner Carsten Rübsaamen begleitet die "Bücherbrücke" - ein Hilfsprojekt mit literarischem Ansatz.

Susanne Popp

Grundsätzlich müsse man diese Entwicklung positiv sehen, meint Rübsaamen. Über Wissenserweiterung mittels Fernsehen oder Büchern könne unter den Mongolen ein kritischer Umgang mit der eigenen Situation entstehen. So gilt für die Jugendlichen momentan alles, was westlich ist, als cool.

Man kann dem ankommenden Reichtum aber auch kritisch gegenüberstehen, nicht immer wird Fortschritt positiv gesehen. Das bekam auch die Bücherbrücke zu spüren: "Was tut ihr diesen Kindern an? Warum zeigt ihr denen die Welt, lasst die doch in ihren Mauern leben", so zogen kritische Stimmen den Nutzen des Projektes in Zweifel. Kritik, die die Pfadfinder nicht von ihrem Vorhaben abgebracht hat.

Harry Potter in der Mongolei

Am 1. September machen sich die Spenden, zum Großteil englische Grund- und Hauptschulbücher, von der Sammelstelle der Pfadfindersiedlung in Neumarkt aus auf den Weg in die Mongolei. Insgesamt 10.000 Bücher aus Deutschland, Italien, der Schweiz, Österreich und England und ein Paket mit 400 Büchern aus den USA wurden bisher an Schulen und in diversen Hilfsaktionen gesammelt. Davon allein 7.000 Titel aus Bayern - die Erwartungen sind damit längst übertroffen. Statt den ursprünglich geplanten vier Schulen in Arvaikher und dem Jugendzentrum werden jetzt zudem zehn Landschulen im Umkreis ausgestattet.

Wichtig bleibt die sinnvolle Nutzung: "Es soll keine riesige Blase der Hilfsbereitschaft entstehen, die nur in Europa großen Anklang findet und in der Mongolei nicht verwendet werden kann." Voraussetzung dafür seien Organisation und genaue Planung - und plötzlich scheint ein bisschen der Geschäftsmann im Pfadfinder Rübsaamen zurückzukommen.

Die Bücherbrücke soll Bestand haben

Carsten Rübsaamen erzählt von einer Szene am Flughafen: "Wir hatten extra geübt, wie man sich mongolisch begrüßt und als wir dann empfangen wurden, reichte uns die 16-jährige Pfadfinderin Saran die Hand und sagte 'Grüß Gott'." Das ist die Art von Freundlichkeit und Interesse, die dem Deutschen überall im Land begegnet ist. Auch deshalb fährt er nun in zwei Monaten zurück nach Arvaikher und begleitet den Aufbau der Bibliothek. "Das Ganze ist aber ein Prozess: Es wird nicht so aussehen, dass am 1. September alle ein Schulbuch haben und dann sind die Kinder happy."

Noch mehrere Monate werden Helfer Schulungen mit den Lehrern vor Ort durchführen, den Büchertransport in die Jurtenschulen und den Bibliotheksbetrieb betreuen. Damit die Brücke nicht im Nichts endet. Die Bücher sollen ankommen. Und Antworten geben. "In einer Schule haben uns Kinder gefragt, ob es bei uns Bäume gibt", erinnert sich Carsten Rübsaamen. Denn in der Mongolei wird Kameldung als Feuerholz verwendet, das Land liegt in weiten Teilen über der Baumgrenze. Die Bücher sollen die Kinder und Jugendlichen in dieser Landschaft neugierig machen, auf eine Welt mit Fernsehen und Flugzeugen, Harry Potter und Fabeltieren, Satellitenschüsseln, A-Klassen - und Bäumen.

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