Hilfe für Senioren:"München muss für alle lebenswert bleiben"

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Alte Menschen sollen sich aus Armut nicht zurückziehen: Elisabeth Solchenberger kennt als Sozialpädagogin die heilende Kraft von sozialen Kontakten

Interview von Anna Hoben, München

Vor fast 40 Jahren eröffnete in München das erste Alten- und Service-Zentrum (ASZ). Heute gibt es in der ganzen Stadt 32 solche Einrichtungen. Die ASZ bilden ein Auffangnetz für Senioren, mit vielfältigen Angeboten zur Teilhabe. Der Bedarf wird nicht abnehmen, im Gegenteil. Die Zahl der alten Menschen wächst, die Gefahr der Altersarmut auch. Die Sozialpädagogin Elisabeth Solchenberger ist Sachgebietsleiterin für die offene Altenhilfe bei der Stadt. Im Interview spricht sie über das schwierige Leben mit Grundsicherung, Einsamkeit und die heilende Kraft von sozialen Kontakten.

SZ: Was bedeutet es, in München alt und arm zu sein?

Elisabeth Solchenberger: Es bedeutet, dass man deutlich eingeschränkt ist. Zum einen, was die Möglichkeiten zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben betrifft. Wer wenig Geld hat, überlegt genau, ob er in einem Seniorenprogramm an einem Kurs teilnimmt, der etwas kostet. Zum anderen in der Versorgung mit Dingen, die man braucht: mal einen Ersatz für ein Haushaltsgerät, ein Möbelstück oder Kleidung. In München arm und alt zu sein bedeutet, an dieser prosperierenden Stadt nicht teilhaben zu können. Die Miete spielt hier außerdem eine besondere Rolle: 60 Prozent der Haushalte in der Gruppe der armen älteren Menschen haben eine Mietbelastung von über 40 Prozent ihres Einkommens.

Wie viele Münchnerinnen und Münchner sind von Altersarmut betroffen?

Im Jahr 2017 haben mehr als 15 000 Menschen in München Grundsicherung bezogen. Der jüngste Armutsbericht definiert als Risikogrenze für Armut ein Einkommen von 1350 Euro. Bei den über 65-Jährigen liegt mehr als jeder Vierte darunter. Das betrifft ungefähr 70 000 Menschen.

Wie geht das für Sie zusammen, die reiche Stadt und die große Armut?

München ist eine sehr lebenswerte Stadt. Wir müssen aber zusehen, dass sie für alle lebenswert bleibt. Ich habe schon den Eindruck, dass es viele Anstrengungen gibt, damit der gesellschaftliche Zusammenhalt erhalten bleibt. Dass Firmen und Privatpersonen ein Interesse daran haben, dass die Schere nicht noch weiter auseinandergeht. Die Gründe dafür liegen in politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre, aber auch in den gestiegenen Lebenshaltungskosten. In der Altenhilfe können wir diese Gründe nicht beeinflussen, wir können nur die Folgen lindern. Und auf die Folgen bestimmter politischer Entwicklungen aufmerksam machen.

Wohlhabende Rentner sind aktiv, sie können sich Unternehmungen und schöne Urlaube leisten. Was ist mit denen, die kein Geld zur Verfügung haben?

Bei ihnen kommen mehrere belastende Faktoren zusammen. Einen Urlaub können diese Menschen sich sowieso nicht leisten. Wenn sie sich aber auch die Teilhabe am normalen gesellschaftlichen Leben in ihrer Stadt nicht leisten können, ziehen sich viele zurück.

Welche Rolle spielt die Einsamkeit, wenn der Partner oder die Partnerin gestorben ist und womöglich auch keine Angehörigen in der Nähe sind?

Das ist sehr unterschiedlich. Wenn man Menschen fragt, was es für sie bedeutet, einsam zu sein, wird man viele verschiedene Antworten kriegen. Es gibt Menschen, die mit dem Alleinsein sehr gut zurechtkommen. Andere leiden darunter. Zuverlässige und positive Kontakte sind auf jeden Fall ein stabilisierender Faktor, sie fördern auch die Gesundheit. Das ist immer unser Ziel in der offenen Altenhilfe: Raum zur Begegnung zu schaffen, damit Kontakte entstehen. Die Leute, die zu uns kommen, müssen nichts Spezielles tun, sie können einfach nur da sein und mit anderen reden. Oder auch nicht reden - und nur genießen, dass sie nicht allein sind.

Was tut die Stadt konkret, um alten Menschen mit wenig Geld zu helfen?

Um den täglichen Bedarf abzudecken, hat die Stadt München schon vor zehn Jahren und seitdem regelmäßig den Regelsatz aufgestockt, so dass die Grundsicherung im Alter derzeit bei 437 Euro liegt. Daneben gibt es den München-Pass, der Bürgern mit geringem Einkommen Vergünstigungen bei städtischen und nichtstädtischen Einrichtungen gewährt. Auf einer weiteren Ebene haben wir dann die Alten- und Service-Zentren und andere Einrichtungen der offenen Altenhilfe, die für alle zur Verfügung stehen, egal ob arm, mittel oder reich. Sie bieten Gruppen- und Kursangebote wie zum Beispiel Singen, Gymnastik, Sprachkurse, Yoga, Computerkurse und vieles mehr. Im Jahr 2017 sind unsere Angebote 85 000 Mal genutzt worden. Für diejenigen, die sich die Kursgebühren nicht leisten können, gibt es Ermäßigungen. Diese praktischen Vergünstigungen sind wichtig. Am wichtigsten aber ist es, mit den Menschen auf Augenhöhe umzugehen.

Die tun sich ja bestimmt nicht leicht, in die ASZ zu kommen und auch noch um Vergünstigungen bitten zu müssen?

Wie hoch die Schwelle ist, in die ASZ zu kommen, hängt von mehreren Dingen ab. Manche sagen mit 80, ich bin doch nicht alt, im ASZ sind aber nur alte Leute. Manche haben auch einfach eine gewisse Scheu. Deshalb ist es gut, dass es die präventiven Hausbesuche gibt. Da informieren die Fachkräfte über Möglichkeiten, mit uns und mit anderen in Kontakt zu kommen. Aber auch darüber, was den Menschen an Leistungen zusteht: von Grundsicherung über Wohngeld bis hin zum Antrag auf Schwerbehinderung. Das Wissen darüber ist nicht so verbreitet.

Wie können Ihre Betreuer und Sozialpädagogen dann im Einzelfall helfen?

Das kommt tatsächlich auf den Einzelfall an, darauf, was jemand braucht. Über Stiftungsmittel kann jemand zum Beispiel Geld bekommen für eine neue Matratze oder dringend benötigte Kleidung. Oder, auch das ist schon vorgekommen: Einer Dame ist die Handtasche gestohlen worden, und sie braucht eine neue Brille. Wer Grundsicherung bekommt, kann einfach nichts ansparen. Die ist nicht hoch genug, als dass man sich einen neuen Kühlschrank leisten könnte.

Was sind besonders heftige Fälle?

Heftig wird es immer dann, wenn mehrere Problemlagen zusammenkommen. Wenn zum Beispiel jemand nicht nur arm und alt, sondern auch pflegebedürftig ist. Wenn jemand keine Angehörigen mehr hat. Oder wenn jemand viele Medikamente braucht, die teuer sind. Schwierig wird es, wenn Menschen ihre Wohnung nicht mehr verlassen können.

© SZ vom 08.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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