Haunersche Kinderklinik:Aus einem Fingerhut voll Blut

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Das Haunersche Kinderspital hat ein neues, 250 000 Euro teures Gerät: Die sogenannte NGS-Analyse-Einheit entschlüsselt die DNA von Patienten. Die Ärzte erhoffen sich davon Erkenntnisse über seltene Krankheiten

Von Stephan Handel

Als das Projekt vollendet war, waren zehn Jahre vergangen, mehr als zwei Milliarden Euro ausgegeben, einige hundert Wissenschaftler weltweit beteiligt gewesen, und die FAZ räumte ihre ganzes Feuilleton frei, um seitenlang immer wieder nur die gleichen vier Buchstaben zu drucken - ACTGTGACCAGT. Das Human-Genom-Projekt war 2001 eine Sensation: Das menschliche Erbgut entschlüsselt, das eröffnete völlig neue Perspektiven, vor allem für die Medizin.

Was damals ein Jahrzehnt dauerte, erledigt eine Maschine in der Lindwurmstraße heute an einem Tag: Dort, im Haunerschen Kinderspital, steht seit kurzem ein so genanntes NGS-Gerät. NGS ist die Abkürzung von "Next Generation Sequencing", und was daran "nächste Generation" ist, wird klar bei der Beschreibung dessen, was es tut: Aus einem Fingerhut voll Blut etwa eines kranken Kindes liest es relevante Teile der DNA und vergleicht sie mit anderen, bereits gespeicherten Erbsubstanzen. Daran können die Hauner-Ärzte ablesen, wo sich die "kranke" DNA von einer gesunden unterscheidet - und erhoffen sich so Aufschlüsse über Entstehung und genetische Ursachen von seltenen Krankheiten.

Experten lesen nach dem Test besorgniserregende Auffälligkeiten und Abweichungen aus der DNA-Analyse heraus. (Foto: Robert Haas)

Im Vergleich mit dem milliardenteuren Human-Genom-Projekt ist das NGS-Gerät geradezu billig: Knapp 250 000 Euro kostet die Analyse-Einheit sowie ein schwarzer Klotz von der Größe zweier Kühlschränke. Das ist der Rechner, und weil es um große Datenmengen geht, braucht der einen richtig großen Speicher - nämlich 250 Terabyte. Zum Vergleich: Das Hubble-Weltraumteleskop hat in 20 Jahren Arbeit etwa 20 Terabyte Daten gesammelt.

Christoph Klein, Ärztlicher Direktor des Haunerschen Kinderspitals, hat für den Erwerb des Geräts die Prämie eines Forschungspreises eingesetzt, den er kürzlich erhalten hat - und 100 000 Euro aus dem SZ-Adventskalender. Er erhofft sich jetzt neue Diagnose-Möglichkeiten und neue Erkenntnisse für die Forschung. Wie das gehen könnte, erläutert er an einem Beispiel aus den 1950er Jahren.

Damals hatte der amerikanische Kinderarzt Ogden Bruton einen kleinen Patienten, der ständig an Lungenentzündung erkrankte. Das kam Bruton komisch vor und er macht sich mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln daran, die Ursache herauszufinden. Dabei entdeckte er, dass der Patient keine antikörper-produzierenden Zellen bilden konnte und so den Bakterien aus seiner Umgebung schutzlos ausgeliefert war. Diese Entdeckung half zwar dem kleinen Bub noch nichts - brachte die Medizin aber dennoch weiter, wenn auch erst Jahrzehnte später. Da fanden nämlich Genmediziner heraus, was bei Patienten, die an der nach ihrem Entdecker benannten "Brutonschen Agammaglobulinämie" leiden, kaputt ist: ein ganz bestimmte Gen, das für die Bildung von Immunzellen verantwortlich ist. Und auf einem Umweg kommt diese Entdeckung seitdem Leukämie-Patienten zugute: Ihr Leiden basiert auf dem gerade umgekehrten Mechanismus, sie produzieren zu viele Immunzellen, die unkontrolliert wachsen - eine Krankheit, die unbehandelt zum Tod führt. Wissenschaftler und Pharmaindustrie haben passgenaue Schlüssel entwickelt, die das dafür verantwortliche Gen sozusagen "ausschalten" - mit großem Nutzen für die Patienten.

Aus dem Blut des Patienten wird DNA gewonnen, die dann in die Analyse-Einheit des Geräts geschoben wird. (Foto: Haunersche Kinderklinik)

Auf solche Effekte hofft nun auch Christoph Klein. Er ist Spezialist für seltene Erkrankungen, deren Ursache sich oftmals durch Gen-Analysen herausfinden lassen. Dazu wird aus Blut des Patienten die DNA extrahiert, bis sie als durchsichtige, gallertartige Masse übrig bleibt. Diese Erbsubstanz wird weiter bearbeitet und kommt auf einen Träger, der dann in das Analyse-Gerät geschoben wird. Eine Nacht lang braucht es, um etwa 1,5 Prozent der DNA auszulesen, was aber immer noch rund zehn Gigabyte an Daten produziert. Man kann sich den Vorgang im Inneren des Geräts ungefähr so vorstellen wie den sehr gewissenhaften Platzwart eines Fußballfeldes, der jeden einzelnen Grashalm seines Rasens auf das eingehendste betrachtet.

Die Daten werden in den schwarzen Klotz überspielt, in der der Riesencomputer seine Arbeit tut. Wenn er fertig ist, landet das Ergebnis auf dem Monitor von Jacek Puchalka - er ist Biologe und Informatiker, eine in jeder Hinsicht zukunftsträchtige Kombination. Puchalka sieht auf seinen Grafiken, wo der Rechner beim Vergleich mit den anderen DNA-Sätzen in seiner Bücherei Auffälligkeiten und Abweichungen gefunden hat - und zwar besorgniserregende, denn die Zahl der unbedeutenden liegt für jede Probe bei etwa 20 000. Anhand dieser Daten können die Ärzte nun entscheiden: Liegt überhaupt eine genetisch bedingte Krankheit vor? Wenn ja, ist es eine bereits bekannte? Oder haben sie etwas völlig Neues gefunden?

Billig ist die Untersuchung nicht, gut 850 Euro kostet ein Durchgang, und die Ärzte im Hauner untersuchen meistens nicht nur das kranke Kind, sondern auch seine Eltern zum Vergleich. Keine Krankenkasse bezahlt diese Untersuchungen, zu neuartig ist die Methode noch. Daher sind die Ärzte auf sogenannte Drittmittel angewiesen, ein großer Teil der Analysekosten wird von der gemeinnützigen Care-for-Rare Foundation für Kinder mit seltenen Erkrankungen und Spendengeldern übernommen. Für Christoph Klein sind das gut angelegte Summen, auch wenn seine Patienten noch nicht immer direkt davon profitieren: "Medizinische Forschung hilft sehr oft erst der nächsten Generation."

© SZ vom 07.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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