Harter Job: Bewährungshelfer:"Jammern S' ned, Weichei"

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Ignoranz und Desinteresse treiben sie in den Wahnsinn - gleichzeitig ist Distanz sehr wichtig. Der Job des ehrenamtlichen Bewährungshelfers ist hart.

Stephan Handel

Manchmal, sagt sie, macht er sie wahnsinnig. Wenn er, wieder einmal, nichts auf die Reihe bekommt. Wenn er sie behandelt, als wäre sie seine Sekretärin. Wenn er anfängt, sich selbst leid zu tun. "Jammern S' ned, Sie Weichei", sagt Margit Wanger-Mair dann. Denn das kann sie überhaupt nicht leiden.

Margit Wanger-Mair: Eine die anpackt. (Foto: Foto: Heddergott)

Margit Wanger-Mair, 57 Jahre alt, offenes Lachen, resolute Stimme, ist wohl das, was man früher eine patente Frau genannt hätte. Eine, die anpackt, die die Dinge sieht, wenn sie getan werden müssen, und die sie dann tut. Seit einem Jahr kümmert sie sich um Thomas V. (Name geändert), der ein paar Betrügereien begangen hat, verurteilt wurde, aber nicht ins Gefängnis musste: Er ist auf Bewährung, und Margit Wanger-Mair, ehrenamtliche Bewährungshelferin, soll ihm helfen, ein straffreies Leben zu führen.

Das ist in mehrfacher Hinsicht schwierig. Zum einen ist Thomas V., 46 Jahre alt, Analphabet. Er hat keinen Beruf erlernt. Und er leidet an schwerem Asthma, so dass die Forderung, er solle doch arbeiten gehen, in Margit Wanger-Mairs Ohren wie ein Witz klingt. Außerdem sind sie noch lange nicht so weit, sein neues Leben planen zu können - zuerst muss das alte in Ordnung gebracht werden.

"Gerechtigkeitsfimmel? Hab ich sehr"

Und das ist alles andere als einfach: Als Margit Wanger-Mair vor gut einem Jahr zum ersten Mal zu ihrem Klienten kam, da fand sie in einer verlotterten Wohnung drei Waschkörbe voll ungeöffneter Post - wozu auch hätte er sie öffnen sollen, er konnte sie sowieso nicht lesen. Daran sind sie nun, ordnen, verhandeln, zu den Ämtern laufen. Und das ist etwas, was Margit Wanger-Mair - "Gerechtigkeitsfimmel? Hab ich sehr" - schon wieder in den Wahnsinn treibt: Ignoranz und Desinteresse.

Da kündigt die Bank Thomas V. das Konto. Das ist fatal für einen, der eh kein Geld hat, der mit 260 Euro im Monat über die Runden kommen soll. Denn nun kann er die Sachen, die bezahlt werden müssen, nicht mehr per Überweisung erledigen, muss alles in bar einzahlen - und eine Bareinzahlung kostet acht Euro. "Ich bin hin zu der Bank", sagt Margit Wanger-Mair, "und hab' geredet und geredet" - bis sie den Angestellten so weichgekocht hatte, dass er doch wieder ein Konto für Thomas V. eröffnete: "Allein hätte er das nie geschafft."

Solche Menschen hätte Otto Stecher gern mehr. Stecher ist Profi in dem, was Margit Wanger-Mair nebenher und freiwillig macht: Er ist einer von gut 40 Bewährungshelfern am Landgericht München I. Mit einer Werbeaktion wollen sie nun mehr Bürger vom Ehrenamt überzeugen. Die haben den Hauptberuflichen einiges voraus, glaubt Stecher.

Er betreut wie jeder seiner Kollegen zwischen 80 und 100 Klienten - da bleibt oft nicht mehr als ein Termin alle vier Wochen. Gerade Haftentlassene haben aber oft ihr soziales Umfeld verloren oder sollen es verlieren, wie etwa Drogensüchtige. Dann sind sie ganz alleine - sie bräuchten jemanden zum reden, um ins Kino oder Essen zu gehen. Das wäre , so Otto Stecher, genau richtig für einen Ehrenamtler.

Distanz ist wichtig

Wen sie an die Hobby-Resozialisierer abgeben, das würden sie sich genau anschauen. Klar ist, sagt Stecher: "Keine gefährlichen Gewalttäter, keine psychisch Kranken, keine Risikofälle." An die Ehrenamtlichen selbst werden ebenfalls Kriterien angelegt: Sie sollten mindestens 25 Jahre alt sein, "fest und stabil im Leben stehen", sie sollten bereit und in der Lage sein, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren, und sie sollten Zuversicht und Optimismus in sich tragen. "Daran glauben, dass Veränderung und Entwicklung möglich ist", nennt Otto Stecher das.

Margit Wanger-Mair hat durchaus schon etwas geschafft mit ihrem Schützling Thomas V.: Jeden Tag kehrt er seine Wohnung, einmal die Woche wird gewischt. Ärger mit der Krankenversicherung haben sie gerade aus der Welt geschafft. Zwei mal die Woche besucht sie ihn, aber auch von zu Hause aus erledigt sie viel telefonisch.

Und ab und zu lädt sie Thomas V. zum Essen ein, damit er mal rauskommt. Ihr Mann hat geholfen, als eine neue Küche eingebaut werden musste. Dennoch besteht sie auch auf einer gewissen Distanz, denn Distanz ist wichtig für einen Bewährungshelfer, hat Otto Stecher gemeint. Wo sie wohnt, das hat sie Thomas V. bislang nicht gesagt.

© SZ vom 28.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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