Günstige Angebote:Höchst persönliche Informationen

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Die Stadt hat Bedenken, ihre Akten privat vermarkten zu lassen

Von Dominik Hutter, München

Referenzen liegen vor: Family Search, die weltweit größte Organisation für genealogische Forschung, hat bereits Bürger- und Gewerbeakten des Stadtarchivs Dresden sowie Kirchenbücher des Staatsarchivs Freiburg und Personenregister des Hessischen Landesarchivs digitalisiert. Ancestry, der weltweit größte Online-Anbieter von Familiendokumenten, war im Landesarchiv Berlin, dem Staatsarchiv Hamburg sowie diversen Stadtarchiven tätig. Jeweils mit Erfolg, wie das Direktorium der Stadt München versichert.

Der Verwaltungsausschuss des Stadtrats hat seinen Beschluss über die Digitalisierung alter Melderegister aus den Beständen des Stadtarchivs trotzdem vertagt. Die Datenschützer wollten das Ganze erst noch einmal unter die Lupe nehmen, begründeten die Politiker den Aufschub um einige Wochen. Immerhin geht es um Geburts-, Heirats- und Sterberegister. Höchst persönliche Informationen also, die die in den USA beheimateten Unternehmen dann für eigene Zwecke verwenden dürften. Im Gegenzug würden sie die auf zwei bis drei Jahre geschätzte Arbeit kostenlos erledigen.

Zu hundert Prozent wohl ist vielen Stadträten dabei nicht, auch wenn eine Zustimmung als wahrscheinlich gilt. Das einfache Ja erspart der Stadt aber immerhin rund 2,5 Millionen Euro, und an der Digitalisierung führt kein Weg vorbei, wenn man die Daten erhalten will. Einen Freibrief ausstellen, wie es das Direktorium gerne hätte, will der Stadtrat aber wohl nicht - das zeichnet sich bereits ab. Die Verwaltung hatte geplant, sich ein Ja des Stadtrats zu einem sogenannten Interessenbekundungsverfahren abzuholen und später selbst zu entscheiden, für welchen Bewerber sie sich entscheidet. Es gilt als wahrscheinlich, dass sich die Politik das letzte Wort vorbehält.

Dass das bereits vorliegende Gratis-Angebot der beiden US-Firmen nicht aus reiner Freundlichkeit erfolgt, ist auch dem Direktorium klar. Beide Anbieter verfolgten "spezifische Interessen, die es genau abzuwägen gilt", steht in der Beschlussvorlage für den Stadtrat. Family Search, das der Kirche "Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage" (also den Mormonen) gehört, will die Daten den Mitgliedern der eigenen Religionsgemeinschaft zur Verfügung stellen, die dann ihre Vorfahren ermitteln und nachträglich taufen können. Die Stadt dürfte ihre eigenen, dann digitalisierten Daten sofort auch selbst nutzen. Allerdings stünden die (für eine Suche unerlässlichen) Namensindizes in den ersten Jahren lediglich im Lesesaal des Stadtarchivs bereit. Ancestry will die Bestände über das Netz vermarkten. Die Stadt könnte das Register erst nach drei Jahren uneingeschränkt veröffentlichen. Der Index könnte nur stadtintern sowie kostenlos im Lesesaal über die Ancestry-Seite abgerufen werden. Nach 20 Jahren dürfte ihn das Stadtarchiv gar nicht mehr nutzen.

Die Schutzfristen des Datenschutzes werden laut Direktorium eingehalten: Die Person aus dem Register muss seit mindestens zehn Jahren tot sein. Ist der Todestag unbekannt, gilt die Regel: 90 Jahre nach der Geburt. Die rund 4,75 Millionen Seiten enthalten die Geburten der Jahre 1876 bis 1906, die Hochzeiten zwischen 1876 und 1931 sowie Polizeimeldebögen bis 1926. Spätere Ergänzungen, Adoptionsvermerke etwa oder Vaterschaftsanerkennungen, werden herausgefiltert und für eine Veröffentlichung gesperrt. Die Nutzungs- und Verwertungsrechte verbleiben komplett bei der Stadt.

© SZ vom 26.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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