Großes Interesse:Das Drehbuch seines Lebens

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Ernst Grube überstand die Nazizeit und kehrte aus dem KZ zurück nach München - das NS-Dokuzentrum zeigt ihn im Film

Von Martin Bernstein

"Insgesamt war es ein sehr interessantes Leben", sagt der schnauzbärtige Mann und blinzelt über den Tisch hinweg seiner Frau zu. Sehr verliebt wirkt der 84-Jährige da, und das Leben, das er im ihm eigenen Münchner Tonfall als "sehr interessant" bezeichnet, dieses Leben ist ein Spiegel der Zeitgeschichte. Er, Ernst Grube, war oft mittendrin. "Ernst Grube — Zeitzeuge", heißt ganz unprätentiös der einstündige Film, den Christel Priemer und Ingeborg Weber am Dienstagabend im NS-Dokumentationszentrum vorstellen. Das Interesse am Film - und vor allem an seinem Protagonisten - ist riesig. "Wir hätten unser Auditorium zweimal füllen können", sagt Kirstin Frieden von der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des NS-Dokuzentrums. Jetzt wird der Film sogar noch in einen Nebenraum übertragen. Und trotzdem haben nicht alle Platz gefunden, die die Dokumentation sehen und mit Ernst Grube diskutieren wollen. Ihnen verspricht Kirstin Weber: Man werde den Abend wiederholen.

In Zeiten, in denen eine Partei mit Schmähungen gegen die deutsche Erinnerungskultur auf Stimmenfang im rechten Lager geht, ist es offenbar vielen Menschen ein Bedürfnis, "von einem, der nicht aufgibt" (so lautet der Untertitel des Films), darin bestärkt zu werden, wie wichtig es ist, nicht zu vergessen. Wie wichtig es ist, für seine Überzeugungen einzutreten. Und wie wichtig es ist, aus der Geschichte Lehren für heute und morgen zu ziehen.

Ernst Grube, in München geboren am 13. Dezember 1932, kurz vor Hitlers Wahl zum Reichskanzler, hat all das getan. Als Sohn einer jüdischen Mutter hat er die Demütigungen als Kind erlebt, hat im Ghetto in Milbertshofen gelebt und schließlich das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt. Und er hat, wieder zurück in München, begonnen sich zu engagieren: in der Gewerkschaft, in der kommunistischen Arbeiterbewegung (was ihm zwei Gefängnisaufenthalte und beinahe ein Berufsverbot als Berufsschullehrer eingebracht hat), in der Lagergemeinschaft Dachau, der Gedenkstättenarbeit, als Zeitzeuge an Schulen. Und immer wieder, wie zuletzt bei einer Kundgebung gegen die Flüchtlingspolitik der bayerischen Staatsregierung, als Mahner mit leiser werdender Stimme, aber mit unverändert deutlichen Worten.

All diese Stationen zeichnet der Film nach, in dem vor allem Ernst Grube selbst zu Wort kommt. "Ich bin mehr der Praktiker", sagt er an einer Stelle. Und so lassen ihn die Filmemacherinnen in ihrem Streifen vor allem das tun, was Ernst Grube besonders gut kann: erzählen. Wenn er an Schulen gehe, sagt Grube, dann versuche er zu erzählen, wie es sich anfühlt, ausgegrenzt zu sein. Auch seinen Job als Berufsschullehrer, der dem gelernten Malermeister so wichtig war, konnte er doch da mit Jugendlichen arbeiten, hat Grube gerettet, indem er von sich erzählt hat: Als ihm wegen des Radikalenerlasses Berufsverbot drohte, legte er bei der Anhörung seinen Judenstern auf den Tisch. Und erzählte. Grube durfte Lehrer bleiben. Ernst Grube, ein Radikaler? Soldaten der Roten Armee haben ihn, seine Geschwister, seine Mutter aus zwölf Wochen Todesangst in Theresienstadt gerettet. Und nach dem Krieg nahmen sich ehemalige Widerstandskämpfer des zwölfjährigen Buben an. Über seinen eigenen Vater sagt Ernst Grube im Film: "Er war ein Vorbild, konsequent, ein Beispiel." Das sagen auch viele, die ihn kennen, über Ernst Grube selbst. Und vor ihren Augen entsteht dabei das Bild eines überzeugten Menschenfreundes.

© SZ vom 31.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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