Große Show:Jenseits der Glasscherben

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"Top-Verkäufer werden nicht geboren, sondern gemacht" - mit diesem Spruch wirbt Mike Dierssen für Seminare und Bücher. (Foto: Lukas Barth)

Beim Motivationstag in der Olympiahalle liefern Oliver Kahn und Ralf Moeller Anleitungen für ein erfolgreicheres Leben

Von Toni Wölfl

Jetzt steht Sandra also oben auf der Bühne, Sandra, die sich im Publikum freiwillig gemeldet hat und nun barfuß über Glasscherben läuft. Das müsse sein, hat der Persönlichkeitstrainer Thomas Frei gesagt. Große Ziele lägen immer außerhalb der Komfortzone. Jenseits der Glasscherben ist das Ziel. Da will Sandra hin. Ihr Ziel ist die Selbständigkeit, endlich die eigene Chefin sein. Doch vorher muss sie allerhand Aufgaben meistern. Glasscherben sind erst der Anfang. Das Leben als Hindernisparcours. Es könnte so einfach sein.

Beim Motivationstag in der Olympiahalle liefern zehn Redner Anleitungen für ein besseres Leben. Mit dabei am vergangenen Samstag: Oliver Kahn und Schauspieler Ralf Moeller. Das Ganze ist ein einziges Erfolgsversprechen und großes Spektakel, inklusive Artistik und Feuertanz, moderiert von Sophia Thomalla. Zwölf Stunden lang. Am Ende steht der Imperativ: Kümmere dich endlich selbst um deinen Erfolg!

Starthilfe bieten die Wochenendseminare der Referenten, heute zum Vorteilspreis. Letztlich geht's ja doch ums Geld. "Führ' mich zum Schotter", soll das Publikum dem Verkaufstrainer Dirk Kreuter im Chor zurufen. Laut Veranstalter ist die Halle ausverkauft. Erfolg zieht an. "Es gibt zwei Arten von Menschen", sagt Kreuter. "Die, die aktiv rausgehen und sich holen, was sie wollen. Und die anderen." Als er fragt, wer denn eine Million geschenkt bekommen möchte, heben nahezu alle in der Halle die Hand. Er gibt das Geld in Form von geschredderten D-Mark-Scheinen demjenigen, der es als Erster auf die Bühne schafft. Kreuters Kommentar: "Kauft immer VIP-Tickets, dann sitzt ihr weiter vorne."

Das Publikum besteht zum Großteil aus Geschäftsleuten. "Ich hab' das Gefühl, ich schaff' wieder mehr", sagt eine 42-jährige Unternehmerin, die extra aus Offenbach angereist ist. Sie lobt die Auswahl der Vorträge. "Im Prinzip erzählen sie ja alle dasselbe: Du bist selbst verantwortlich." Die 100 Euro Eintritt hätten sich dennoch gelohnt. Der Chef einer Vertriebsfirma sagt, er profitiere privat und beruflich von den Tipps. Ein anderer hat gerade ein Seminar gebucht.

Die Analyse der Anbieter ist immer gleich: Das Potenzial eines Menschen sei viel toller als sein jetziger Status. Man ist nicht, man wird. Autopoiesis heißt das Zauberwort, Selbsterschaffung aus eigener Kraft. "Cresco, ergo ero" ist das neue "cogito, ergo sum": Ich entwickle mich, also werde ich sein. "Das Ziel des Tages ist, dass ihr euch weiterentwickelt", sagt der Berater Kreuter. "Wenn ihr am Montag noch derselbe seid, ist was schiefgelaufen."

Auch Sandra will sich ändern. Zwischen der jungen Freiwilligen und dem Ziel steht plötzlich ein älterer Mann. "Wer is' jetzt des?", fragt sie. Er repräsentiert deinen Vater, erklärt Motivationstrainer Frei. Chormusik setzt ein, es wird emotional. "Mein Papa war nie für mich da", offenbart Sandra. Der Mann bereut. Die Freiwillige und der Statist fallen sich theatralisch in die Arme. Ein Zuschauer aus Mannheim zweifelt, ob das Ganze nicht doch abgesprochen ist.

An den Ständen der Referenten werden derweil Bücher verkauft und Visitenkarten getauscht, Kurse angeboten und Beratungstermine vereinbart. Hier sind Aufstrebende unter sich. "Im Film ,Titanic' wird die Erste Klasse als skrupellos dargestellt. Die Medien machen das, damit sich die Armen besser fühlen. Das ist der einzige Grund", sagt der Motivator Kreuter. Applaus. Tut den Anwesenden gut.

Dann wendet sich der Geschäftsmann seinen Kritikern im Internet zu. Erfolg sei auch abhängig von Geschlecht, Herkunft und Hautfarbe, schreibe eine Frau auf seiner Facebook-Seite. "Was für limitierende Glaubenssätze", urteilt Kreuter. "Das ist ihre Ausrede. Ich weiß, dass sie keinen Erfolg hat, sondern im Durchschnitt unterwegs ist." Durchschnitt, das sind für den Redner in der Halle die Menschen draußen. Ganz anders die drinnen. Der Weltklasse-Torwart Oliver Kahn soll über Höhen und Tiefen seines Lebens berichten. "Ziele sind Kapitelüberschriften. Was wir brauchen, ist der Buchtitel, das Wozu", sagt Kahn im Interview mit dem Veranstalter, Motivationstrainer Jürgen Höller. "Es braucht eine Ethik des Erfolgs."

Zurück zu Sandra. Im Endspurt soll sie sich ihrem inneren Schweinehund stellen. Ein Leichtes, sie überwindet alles, räumt nebenbei noch eine depressive Freundin aus dem Weg und lernt, ihr Leben zu genießen. Geschafft. Entscheidend sei die geistige Einstellung, lobt ihr Mentor. Das Gegenteil von Denken, meint der österreichische Kabarettist Alfred Dorfer, sei Positiv-Denken. Der praktischste Tipp des Tages aber kommt von Ralf Moeller, der seine eigene Erfolgsgeschichte - vom Bademeister zum Hollywood-Star - erzählen darf. "Wichtige Termine nie für Montag ausmachen, sondern für Mittwoch." Da sei bei Geschäftsleuten der Zeitdruck am geringsten. Dann nennt Moeller seine drei Erfolgsregeln. Im Publikum werden Notizblöcke gezückt. Manche schreiben mit: "Glaubt an euch selbst! Tut was für euren Körper! Gönnt anderen was!"

© SZ vom 23.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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