"Grease"-Premiere:"The Show must go on!"

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Warum das New Yorker Ensemble des Musicals "Grease" trotz allem auftreten wollte.

Jochen Temsch

Darf man das? Darf man sich jetzt in einen Plüschsessel setzen? Ein quietschbuntes Tri-Tra-Trullala-Musical angucken - kurz nachdem die USA einen Vergeltungsschlag angekündigt haben gegen die Hintermänner der Mörder von New York und Washington? Mit dem Fuß im Takt wippen, während sie in Manhattan Leichen aus den Trümmern ziehen? Lachen, wenn Krieg droht? Premiere feiern?

Nachdem der Vorhang gefallen ist, lässt die Hauptdarstellerin Caren Lyn Manuel ihren Gefühlen freien Lauf. Eineinhalb Stunden lang hat sie sich nichts anmerken lassen - jetzt liegt sie ihrer Mutter in den Armen, weinend und lächelnd zugleich. Ihr Verlobter Ethan Popp steht hinter ihr. (Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Man darf nicht nur, man muss - so wünschte es das Ensemble des Schmalztollen-Singsangs "Grease".

Die Hälfte der Schauspieler stammt aus New York. Dort haben sie Familie und Freunde. Am Dienstagnachmittag, als es passiert, stecken alle Darsteller mitten in den Proben auf der Bühne des Deutschen Theaters. An der Rampe läuft ein kleiner Fernseher, auf dem sie sich normalerweise selber beim Spielen beobachten. Sie sehen das World Trade Center brennen.

Jetzt erst recht

Sie fallen sich weinend in die Arme. Einige brechen zusammen, kauern auf der Bühne. Wie sollen sie hier vor Publikum lächeln, mit den Hüften wackeln? Am nächsten Tag wissen sie noch immer nicht, ob alle ihre Freunde in New York am Leben sind. Aber sie haben beschlossen: Sie werden tanzen, jetzt erst recht.

Am Abend der Premiere tritt der Chef des Deutschen Theaters, Heiko Plapperer-Lüthgarth, vor das Publikum. Er sagt, er habe vom Ensemble ein Stück uramerikanisches Lebensgefühl gelernt: "Unbeugsamer Wille, the Show must go on, wir lassen uns nicht in die Knie zwingen."

Schweigeminute vor der perfekten Show

Die Zuschauer erheben sich zu einer Schweigeminute. Dann erleben sie eine perfekte Show, die sie mit stehendem Applaus belohnen. Keiner der Darsteller lässt sich anmerken, was in diesen eineinhalb Stunden wirklich in ihm vorgeht.

Hendrik Zietz, der die Hauptfigur Danny mimt, sagt hinterher: "Als Schauspieler lernst du, aus deinen privaten Gefühlen positive Energie zu ziehen. Du könntest heulen, aber das Spiel ist Selbstschutz und Heilung zugleich." Diese Energie, sagt Zietz, soll auch das Publikum spüren. Er meint: "Wenn den Menschen das Lachen vergeht, haben die Terroristen gewonnen."

"Es hat gut getan"

Im Silbersaal des Theaters gibt es einen ruhigen "Solidaritäts-Empfang" statt der sonst üblichen rauschenden Erstaufführungs-Party. Kein Alkohol. Kein Schaulaufen der städtischen Adabeis. Der Tenor der Gäste: Es hat gut getan, eine Zeitlang abzuschalten, diesen Abend mal nicht vor dem Fernseher zu verbringen.

Die Reporterin eines Hamburger Frauenblättchens entblödet sich trotzdem nicht, einigen Schauspielern Grabkerzen in die Hände zu drücken, die sie extra in ihrer Handtasche mitgebracht hat. Die Frau inszeniert ein groteskes Betroffenheitsfoto, das sie exklusiv haben will. Fotografen anderer Zeitungen schubst sie weg.

"Wir beten, dass Ihr unsere Energie fühlt"

Caren Lyn Manuel, sie spielt die Sandy, verliest eine Erklärung: "Was geschehen ist, hat das Ensemble zusammen geschweißt. Wir werden stark bleiben." Dann bricht alles aus ihr heraus. Sie ruft:

"An alle in New York - Wir lieben Euch und beten, dass Ihr unsere Energie über den Atlantik fühlt." Weinend und lächelnd zugleich fällt sie ihrer Mutter in die Arme.

(sueddeutsche.de)

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