Grausamer Fund:Straßenarbeiter entdecken skelettierte Leiche

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Arbeiter entdeckten eine skelettierte Frauenleiche. Bei der Toten handelt es sich um eine seit zwei Jahren vermisste Frau. Die Polizei geht von Mord aus.

Susi Wimmer

"Ich muss warten, ob sie noch kommt." Für Ilectra I. war es einfach unmöglich, in ihre Heimat nach Griechenland zurückzugehen. Sie hoffte und wartete in ihrer Wohnung in Untergiesing. Wartete darauf, dass ihre vermisste Mutter zurückkehrt. Am 14. Oktober 2007 brach die 46-jährige Zouzouna I. in der Untersbergstraße auf, um an der Sonntagsmesse der russisch-orthodoxen Kirche teilzunehmen. Sie kam dort nie an.

Bei der Toten handelt es sich um Zouzouna I. (Foto: Foto: oh)

Am Dienstag entdeckten Arbeiter beim Baumschnitt an der B 471 bei Karlsfeld (Kreis Dachau) hinter dem Lärmschutzwall eine skelettierte Frauenleiche. Seit Mittwochnachmittag steht zweifelsfrei fest, dass es sich bei der Toten um Zouzouna I. handelt. Jemand habe die Leiche "bewusst dort abgelegt", sagt Polizeisprecher Günter Beck. Auch wenn die Obduktion noch keine Rückschlüsse auf die Todesursache zulässt, so scheint doch sicher zu sein, dass Zouzouna I. einem Gewaltverbrechen zum Opfer fiel.

Es weht ein scharfer Herbstwind. Dunkle Wolken treiben am Himmel vorbei. An der Alten Münchner Straße in Rothschwaige säumen Polizeiautos die B 471. Hier, hinter der etwa zweieinhalb Meter hohen Lärmschutzwand hatten Arbeiter der Straßenmeisterei Dachau den entsetzlichen Fund gemacht. Sie wollten die Bäume zurückschneiden für den Winter, als sie hinter der Wand einen dunklen Anorak und einen menschlichen Schädel entdeckten.

Die Kripo Fürstenfeldbruck übernahm die Ermittlungen, stellte die Kleidung und persönlichen Gegenstände am Fundort sicher. Eine Damenhandtasche beispielsweise, vermutlich auch die Reste von Zouzouna I.s Kleidung: braune Jacke, schwarzer Rolli, brauner Rock, braune Schuhe. "Wir gehen davon aus, dass die Leiche dort seit über einem Jahr liegt", sagt Beck. Vielleicht seit ziemlich genau zwei Jahren.

Es war ein trüber Tag, als Zouzouna I. verschwand. An jenem 14. Oktober brach die streng gläubige Georgierin gegen 9 Uhr auf zum Gottesdienst. Sie wollte ins Kolpinghaus in der Innenstadt. Die orthodoxe Kirche beging an diesem Tag das Fest "Maria Schutz". Die 46-Jährige hatte ihr Gebetbuch eingepackt, ein Holzkreuz am Lederband und einen Rosenkranz.

Offenbar wollte sie zur wenige hundert Meter von der Wohnung entfernten U-Bahnstation. "Kannst Du nicht mitgehen", fragte sie ihre Tochter noch. Doch Ilectra I. fühlte sich nicht wohl, wollte zu Hause bleiben. Eine Tatsache, die sie noch heute quäle, erzählte die Tochter vor einem Jahr im Gespräch mit der SZ. "Immer stell ich mir jetzt die Frage: Warum bin ich nicht mitgegangen? Dann wäre nichts passiert."

Was genau geschehen ist, dazu konnte die Polizei gestern noch keine Angaben machen. Begegnete Zouzouna I. auf dem Weg zur U-Bahnstation ihrem Mörder? Tatsache jedenfalls ist, dass die Frau nicht in der Messe im Kolpinghaus war, wie Priester Nikolai Zabelitsch vor einem Jahr der SZ versicherte. Die 46-Jährige besuchte an diesem Tag auch keine andere Messe. Noch am Abend des Verschwindens hatte die Familie alle orthodoxen Gotteshäuser abgeklappert, nach Zouzouna I. gefragt: nichts.

Niemand hatte sie gesehen. Sie suchten auch an den U-Bahnhöfen, gingen den Weg in die Innenstadt zu Fuß ab, verteilten Fotos in den öffentlichen Verkehrsmitteln, fragten Nachbarn, Freunde, Bekannte. Doch Zouzouna I. war wie vom Erdboden verschluckt. Weg. Auch für Günter Lederer von der Vermisstenstelle der Münchner Polizei blieb der Fall ein Rätsel. Hatte die Frau den Freitod gewählt? Zouzouna I. litt unter Depressionen, nahm auch Tabletten. Aber würde sie ihre Familie im Stich lassen, würde die tiefreligiöse Frau sich selbst etwas antun? Die Familie schloss das aus.

Heute, zwei Jahre nach dem Verschwinden der Frau, glaubt auch die Kripo nicht an einen Suizid. "Der Fundort der Leiche ist nicht der Tatort", sagt Polizeisprecher Beck. Damit ist also ausgeschlossen, dass die Georgierin sich an dem völlig abgelegenen Platz selbst das Leben genommen hat. Derjenige, der die Leiche dort ablegte, hatte offenbar ganz bewusst diesen unzugänglichen Ort gewählt: "Versteckt und verborgen", sagt Beck.

Da komme kein Spaziergänger vorbei und wegen der Lärmschutzwand ist der Platz auch von der Bundesstraße aus nicht einsehbar. Auch ein Verkehrsunfall oder ein anderer Unglück scheide aus, so Günther Beck. Er halte es auch für ausgeschlossen, dass der Körper über den Lärmschutzwall geworfen wurde, "die Wand ist zu hoch". Jemand muss die Leiche durch unwegsames Gelände hierher verschleppt haben.

Hatte die zum Zeitpunkt ihres Verschwindens 46-jährige Frau Feinde? Eine Frage, mit der sich auch Kriminalhauptkommissar Günter Lederer bei der Behandlung des Falls auseinandergesetzt hatte. Es gab keinen Familienstreit, keinen Kontakt mit zweifelhaften Personen. Die aus Tiflis stammende Familie war 1989 nach Griechenland ausgewandert.

Dort hatte Ilectra I. ihren späteren Mann kennengelernt, 2004 war das Paar nach München gezogen. 2006 folgte Zouzouna I. ihrer Tochter nach Deutschland, um auf den Enkelsohn aufzupassen und im Haushalt zu helfen. Ihr Ehemann blieb in Thessaloniki. Die Frau lebte sehr zurückgezogen, hielt nur Kontakt zur Familie und zur Kirche.

"Ich muss hier bleiben in Deutschland und auf meine Mutter warten", sagte Ilectra I. vor einem Jahr. Am gestrigen Mittwoch wurde die 27-Jährige ins Münchner Polizeipräsidium einbestellt. Die Zeit des Wartens ist zu Ende. Ihr weicht nun die schreckliche Gewissheit.

© SZ vom 05.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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