Gewerbesteuer:Wer zu viel Steuern zahlt, kann viel verdienen

Lesezeit: 2 min

Kassieren Betriebe die Stadt mit einem Zins-Trick ab? Die Kämmerei geht dem Verdacht nach, hat aber noch keinen konkreten Fall entdeckt

Von Heiner Effern

Der Reichtum Münchens und damit all die neuen Schulen, Tunnels, Straßen oder Trambahnen, die sich die Stadt leistet, basieren großteils auf den Einnahmen aus der Gewerbesteuer. Wenn die 15 000 Unternehmen in München gute Geschäfte machen und deshalb viel bezahlen, schwimmen Politiker und Bürger im Geld wie Dagobert Duck. Wie zuletzt, ein Rekord jagte den nächsten, bis hin zur 2,5-Milliarden-Euro-Marke. Wenn die Gewerbesteuer allerdings nicht mehr ganz so heftig fließt, sinkt der Pegel im Speicher plötzlich und auch gleich spürbar. So wie in den vergangenen Wochen: Kämmerer Ernst Wolowicz musste seine Zahlen neu justieren, in seinen Rechnungen für 2017 und 2018 fehlen insgesamt etwa 400 Millionen Euro. Deshalb kam bei manchem Stadtrat ein Verdacht auf: Zocken Unternehmen die Stadt mit einem Zins-Trick ab?

"Spekulationen darüber gibt es tatsächlich", erklärt Kämmerer Ernst Wolowicz. "Bisher haben wir aber keinen einzigen Fall, wo man das sagen könnte." Gleichwohl werde die Kämmerei "genau beobachten, ob es so eine Entwicklung gibt". Dazu bedarf eines Blicks auf die Gewerbesteuer, die der Staat an die jeweilige Kommunen weiterreicht: Jede Firma muss diese viermal im Jahr jeweils zur Mitte des Quartals vorausbezahlen. Die Höhe orientiert sich am Vorjahr, die Unternehmen können aber je nach Geschäftsverlauf und -prognose bei den Finanzbehörden beantragen, dass diese Vorauszahlung höher oder niedriger wird. Abgerechnet wird nach dem Endergebnis. Und dann ergibt sich, ob die Firma wegen großen Erfolgs noch Steuer nachzahlen muss oder ob sie wegen Problemen sogar Geld von der Stadt zurück bekommt. Die fehlenden 400 Millionen Euro in den Planungen des Kämmerers resultieren direkt aus unerwartet hohen Beträgen, die von der Stadt im Jahr 2017 zurückgezahlt werden müssen.

Diese auffällige Lücke wiederum heizte die Spekulationen an. Im langjährigen Durchschnitt erhält die Kämmerei von den Unternehmen nämlich eine Milliarde Euro im Jahr, die sie vorab zu wenig an Steuern entrichtet haben. 2017 werden es nur etwa 800 Millionen Euro sein. Umgekehrt muss die Stadt 587 Millionen Euro an die Firmen zurücküberweisen, fast 90 Millionen mehr als üblich. Das führt trotz eines eingerechneten Puffers zu einer Lücke von 200 Millionen Euro im Jahr 2017, die nun Kämmerer Wolowicz in etwa auch für 2018 ansetzt. Zurück blieb die Frage, was hinter diesen enormen Abweichungen steckt.

Da bisher keiner eine Antwort gefunden hat, entwickelte sich der Verdacht mit dem Zins-Trick. Die Stadt muss nämlich für zu hohe Vorauszahlungen Zinsen bezahlen, und zwar satte sechs Prozent im Jahr. Ein Unternehmen, das viel Geld hat und damit rechnen muss, dafür sogar noch Strafzinsen an seine Bank zu entrichten, könnte bewusst viel zu viel Steuer vorauszahlen. Am Ende bleibt weniger Gewinn als angesetzt, und das bei der Stadt geparkte Geld wäre mit sechs Prozent für derzeitige Verhältnisse außerordentlich gut angelegt gewesen.

Klingt schlüssig, hat aber einen Haken. Die Zinsen werden erst nach einer Karenzzeit gezahlt, die 15 Monate nach dem Jahresende abläuft. Ganz so einfach funktioniert also der Trick nicht. Doch so manches Firmenergebnis steht in der Praxis tatsächlich erst danach fest. Das kann unterschiedliche Gründe haben, zum Beispiel könnte sich ein Unternehmen mit den Finanzbehörden lange vor Gericht streiten. Da es bei der Gewerbesteuer oft um hohe Summen geht, erhalten solche Zinszahlungen in Einzelfällen eine enorme Wucht. "Da kann es um zweistellige Millionensummen gehen", sagt der Kämmerer.

Allerdings betont er auch, dass die Medaille auch eine andere, sehr angenehme Seite für die Stadt habe. Denn die Betriebe müssen ebenfalls sechs Prozent Zinsen bezahlen, wenn sie zu wenig Steuer vorausbezahlt haben. Die Karenzzeit gilt auch für sie. In der Summe profitiere München bisher von dieser Regel, sagte Wolowicz. Damit das auch so bleibt und Trickser keine Chancen haben, will er die Firmen genau im Blick behalten. Sollten sie es nämlich doch versuchen, "werden sie uns das sicher nicht sagen".

© SZ vom 09.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: