Gesellschaftsdroge Alkohol:Die Lust am Rausch

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Wenn aus Gewohnheit eine Sucht wird: Eva Egartner von Condrobs über die hohe Dunkelziffer bei Abhängigen und den zunehmend exzessiven Alkoholkonsum bei Jugendlichen.

Christina Warta

1829 Menschen haben 2010 wegen ihrer Alkoholsucht Hilfe bei "Condrobs" gesucht. Im Jahr zuvor waren es mit 1392 deutlich weniger. Eva Egartner, Geschäftsführende Vorsitzende des größten überkonfessionellen Suchthilfeträgers in Bayern, erläutert die Gründe.

2009 waren 18 Prozent der Hilfesuchenden bei Condrobs alkoholabhängig. 2010 ist der Anteil auf 28 Prozent angestiegen. Warum?

Der Anstieg ist massiv, vor allem, weil Condrobs in München ursprünglich eher Anlaufstelle bei Problemen mit illegalen Drogen war - und nicht bei Alkoholproblemen. Es bedeutet vor allem, dass mehr Menschen Hilfe suchen, weil sich die Art verändert hat, wie getrunken wird.

Wie ist die Situation bei Jugendlichen?

Da ist eine neue Jugendkultur entstanden, in der es hip ist, möglichst viel in kurzer Zeit zu trinken und damit auch noch im Internet anzugeben. Manche Jugendliche verhalten sich sehr extrem: Sie trinken harte, hochprozentige Alkoholika in großen Mengen und sehr schnell. Dadurch kommt es zu verstärkten Problemen wie Intoxikationen. Unsere Mitarbeiter gehen dann in die Kliniken und reden mit den Jugendlichen und ihren Angehörigen. In diesem Bereich steigt der Hilfebedarf deutlich.

Anders bei den Erwachsenen . . .

. . die freiwillig in unsere Beratungsstellen kommen müssen. Bundesweit ist der Alkoholkonsum leicht rückläufig, trotzdem ist er immer noch sehr hoch. Fachleute betrachten eine Menge von drei Liter reinen Alkohols pro Kopf im Jahr als unkritisch. In Deutschland werden aber durchschnittlich zehn Liter konsumiert. Grundsätzlich haben wir festgestellt, dass diejenigen, die konsumieren, es viel extremer tun. Dadurch werden sie auch schneller auffällig. Am Arbeitsplatz oder in der Familie steigt dann der Druck, sich helfen zu lassen.

Warum wird extremer getrunken?

Unser Eindruck ist, dass die Anforderungen in der Arbeitswelt gestiegen sind. Die Menschen fühlen sich überfordert, die Angst vor einem Jobverlust steigt. Manche halten dem nicht stand und versuchen, mit Alkohol einen Ausgleich zu schaffen. Das wird zur Gewohnheit und irgendwann zum Problem.

Wie können Sie den Menschen helfen?

Der Hilfebedarf ist sehr unterschiedlich. Manchmal reichen einige Beratungsstunden, aber es werden auch Gruppentherapien, eine klinische Entgiftung oder eine Vermittlung in Rehakliniken angeboten. Die, die sich Hilfe suchen, haben jedenfalls eine sehr gute Prognose, ihr Suchtproblem dauerhaft zu lösen.

Und die anderen? Wie hoch ist die Dunkelziffer bei Alkoholabhängigkeit?

Die ist mit Sicherheit extrem hoch, gerade im Alkoholbereich. Erwachsene suchen so lange keine Hilfe, wie sie nicht auffallen. Auch Hausärzte sind übrigens oft wenig geschult, das zu erkennen.

Hat der gesellschaftliche Druck, Alkohol zu trinken, in den vergangenen Jahrzehnten nicht sogar abgenommen?

Das gesellschaftliche Bewusstsein hat sich verändert. In vielen Betrieben gibt es in der Kantine keinen Alkohol mehr, die Sensibilität ist gestiegen. Aber in Deutschland sagen nur 2,9 Prozent von sich, dass sie abstinent leben. Das heißt: Alle anderen trinken regelmäßig, es ist normaler, Alkohol zu trinken, als keinen zu trinken. Deshalb ist Alkohol immer noch eine Gesellschaftsdroge.

© SZ vom 10.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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