Geschwister-Scholl-Preisträger Götz Aly:Vom Versagen einer geistigen Elite

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Schmerzhafte Erinnerungen an die Hinrichtung der Widerstandskämpfer 1943 und an eine Universitätsfeier, in der das am selben Tag bejubelt wurde

"Wenn die Mehrheit sich wegduckt" vom 21. November über die Rede des Geschwister-Scholl-Preisträgers Götz Aly:

Historische Dokumente

In seiner Dankesrede zur Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises erwähnte der Preisträger Götz Aly, im Universitätsarchiv habe er auf der Suche nach Material zur Kundgebung am 22. Februar 1943 in der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) die Auskunft bekommen, man wisse nicht, wo zu suchen sei. Dies können wir nur als Missverständnis deuten, denn das Universitätsarchiv verwahrt eine Reihe aussagekräftiger Dokumente zum Vorgang an der LMU im Zusammenhang mit der Hinrichtung der Geschwister Scholl und von Christoph Probst. So stellte es uns für die neue Ausstellung in der DenkStätte Weiße Rose (im Lichthof der LMU München; d. Red.) die Einladung des Gaustudentenführers Julius Doerfler zu einer "Demonstrations-Kundgebung" am 22.2.1943 um 11 Uhr c.t. im Auditorium Maximum zur Verfügung. Den Scan dieser Einladung zeigen wir in der Ausstellung.

Vorweg ist in dieser Einladung an die Studierenden Münchens (also auch an die der Technischen Universität) versprochen: "Einmütig stellt sich das Studententum gegen diese von Moskau bezahlten Hetzer [...]", was in aller Öffentlichkeit bekundet werden solle. Die auch von Götz Aly genannte Zahl von 3000 Demonstrierenden findet sich in dem Rundschreiben des Reichsstudentenführers an die Gaustudentenführer vom 23. Februar 1943. Historiker wie Sönke Zankel und Petra Umlauf halten diese Zahl für zu hoch begriffen. Sie sollte offenbar die Erfolgsmeldung des Reichsstudentenführers ebenso unterstreichen wie seine Ausführungen über "überwältigende Begeisterung und stürmischen Beifall". Wie ungenau dieser Bericht ist, belegt auch dessen Hinweis auf "vier" Verurteilte. Dieses Dokument findet sich ebenfalls im Universitätsarchiv und wurde von Christian Petry bereits 1968 in seinem Buch "Studenten aufs Schafott" veröffentlicht. Von Zeitzeugen wird als Uhrzeit für die Kundgebung 18 Uhr genannt, in der Einladung wird von 11 Uhr gesprochen. Der Reichsstudentenführer erwähnt als Zeitpunkt "abends". Wir halten es für wünschenswert, dass sowohl die Uhrzeit dieser Kundgebung als auch die Anwesenden und der tatsächliche Verlauf der Kundgebung anhand von weiteren Dokumenten präziser rekonstruiert wird. Beispielsweise berichtete eine damalige Medizinstudentin der Historikerin Petra Umlauf ("Die Studentinnen an der Universität München 1926 bis 1945") aus ihrer Erinnerung, dass es zum Teil "Totenstille" als Reaktion auf Hetztiraden des Redners gegeben habe. Dr. Hildegard Kronawitter, München Vorsitzende der Weiße Rose Stiftung e.V.

Bloß nicht wegducken

Es geht mir einfach nicht aus dem Kopf, und ich muss es noch einmal aufschreiben für alle, die es nicht gelesen haben oder die sich der Tragweite nicht bewusst waren: Eine Stunde, nachdem das Urteil an Sophie und Hans Scholl vollstreckt worden war, trafen sich im Audimax der Universität 3000 Studentinnen und Studenten, um die Vollstreckung des Urteils und den Hausmeister, der die Geschwister denunziert hatte, zu bejubeln. Das waren 75 Prozent der Studentenschaft.

Der Historiker Götz Aly konfrontierte das Auditorium an ebendieser Stelle anlässlich der Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises mit diesen Zahlen, und die SZ berichtete am 21. November unter dem Titel "Wenn die Mehrheit sich wegduckt" darüber. Können einen diese Zahlen noch schockieren angesichts des Unvorstellbaren, was wir über diese Zeit wissen? Mich schockieren sie, weil es sich dabei um unsere sogenannte "geistige Elite" handelte und weil diese angehenden Akademiker weder zur Teilnahme gezwungen wurden noch Angst haben mussten, wenn sie der Veranstaltung fern blieben. Das war ja das gängige Erklärungsmuster unserer Elterngeneration auf unsere Fragen nach dem "Warum?": Man musste mitmachen, man konnte sich nicht entziehen...

Fazit: Wir - ich bin Jahrgang 1940 - sind belogen worden von einem Großteil unserer Eltern, der Erwachsenenwelt einer ganzen Generation, unseren Lehrern und Professoren.

Und heute? Heute sind wir es, die einer Entwicklung weitgehend tatenlos zuschauen, vor der wir Angst haben und gegen die wir uns wehren müssten. Denn: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Peter Klimesch, München

Eine vergessene "Reliquie" am Ostbahnhof

"In stumpfen Schlaf verfallen" vom 20. November (Dankesrede des Geschwister-Scholl-Preisträgers Götz Aly):

Sophie Scholls Pech ist auch heute noch, dass ihr Tun in der breiten Öffentlichkeit, insbesondere in München, nicht die richtige Würdigung erfährt. Ein besonderes Beispiel ist der Zaun in der Orleansstraße, an dem auch das Foto vom SZ-Artikel gemacht wurde. Die fehlende Wertschätzung ihrer Tat erkennt man am Umgang mit diesem historischen Erinnerungsort, dem letzten Original in München! Zudem der einzige mit einer positiven Wirkung, denn auf dem Foto lachen Sophie Scholl und ihre Freunde. Da sie keine Katholikin war, konnte sie die Katholische Kirche nicht "selig" sprechen, der Weiße-Rose-Zaun an der Orleansstraße am Ostbahnhof wäre sonst auch eine "Reliquie". Aber leider findet dergleichen Einsatz für besonders vorbildliche Glaubenszeugen in der Evangelischen Kirche nicht statt. Schade auch, dass es sich beim Zaun nicht um ein Naturdenkmal, eine alte Eiche vielleicht, handelt, dann würde er nämlich mit Brettern und Zäunen gesichert und die Häuser würden mit Abstand um ihn herum gebaut.

Aber mit Erinnerungen - zumal positiv besetzten - an die "Weiße-Rose" wird umgegangen wie mit einem Stück Schrott!

Warum ist es denn nicht möglich, die fünf Zaunabschnitte gegenüber den Häusern Orleansstraße 65 und 67 (!), an denen die weltberühmten Fotos gemacht wurden, zu verbrettern und während der Bauarbeiten abzusichern? Es handelt sich um die Zaunabschnitte um das weiß angemalte Zaunelement, an dem die Tasche von Sophie Scholl an jenem 23. Juli 1942 hing, die auf den Fotos gut zu erkennen ist. Scheinbar fehlt allen Beteiligten dazu der nötige Wille.

Um Götz Aly zu zitieren: "Näher als Christoph Propst, Sophie Scholl und Hans Scholl stehen auch uns Heutigen diejenigen, die am 22. Februar 1943 im Audimax der LMU den justizförmigen Mord an drei Kommilitonen zustimmend oder angepasst mittelstark beklatschten und betrampelten." Werner Thiel, Greven

© SZ vom 29.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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