Gerichtsdolmetscher:Recht in allen Sprachen

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Die Gerichtsdolmetscher Roberts Putnis, Bogoslav Petan und Martin Waniek (von links) (Foto: Stephan Rumpf)

Für ein faires Verfahren bei ausländischen Angeklagten sind sie unverzichtbar: Gerichtsdolmetscher. Doch der Job ist hart - sie müssen nicht nur das gesprochene Wort exakt übertragen, sie brauchen auch Einfühlungsvermögen und Schauspielkunst. Und oft müssen sich Gerichtsdolmetscher Schreckliches anhören.

Von Christian Rost

Obwohl sich die beiden erst seit wenigen Minuten kennen, redet der Herr im Anzug unaufhörlich auf seinen Nebenmann ein. Leise, damit es die anderen im Raum nicht stört. Es sind fürchterliche Dinge, um die es geht: eine Vergewaltigung, einen Alkoholexzess, um eine Geschichte aus einem üblen Milieu. Der adrette Herr mit dem vollen grauen Haar heißt Martin Waniek, an seiner Seite sitzt in sich zusammengesunken ein Häftling, dem der Prozess gemacht wird. Waniek erklärt dem Mann, was man ihm vorwirft. Auf Polnisch. Martin Waniek ist Dolmetscher bei Gericht.

Der Angeklagte soll Fragen des Gerichts beantworten, doch er hat gar nicht verstanden, worum es überhaupt geht. Waniek erklärt es ihm noch einmal, ohne Erfolg. Dann bittet der Dolmetscher den Richter, die Fragen anders formulieren zu dürfen. Wieder also beugt er sich zum Ohr seines Landsmannes und flüstert.

Diesmal benutzt Waniek aber nicht die Worte des Staatsanwaltes, der von "sexuellem Missbrauch" gesprochen hat. Waniek bedient sich der Gossensprache, "weil manche Leute nur das verstehen". Da geht dem Angeklagten ein Licht auf, sein Gesicht wird finster: "Nein", lässt er Waniek auf Deutsch sagen, so etwas habe er niemals getan, er sei viel zu betrunken gewesen damals bei dem Treffen mit seinem Kumpel und der Frau, die von den Männern vergewaltigt wurde.

Martin Waniek erzählt von dieser Begebenheit aus dem Gerichtssaal bei einem Treffen im Garten eines Lokals am Englischen Garten. Die Terrasse ist mit Girlanden bunter Landesfähnchen geschmückt. Sätze in den unterschiedlichsten Sprachen dringen an diesem Augustabend von den anderen Tischen herüber.

Zwar ist München durchaus eine internationale Stadt, in der ein Drittel aller Einwohner familiäre Wurzeln im Ausland hat. Doch eine derartige Sprachenvielfalt - von A wie Albanisch bis U wie Ungarisch - gibt es sonst nirgendwo: Es ist Jahresversammlung des "Vereins öffentlich bestellter und beeidigter Dolmetscher und Übersetzer in Bayern (VbDÜ)", wie er im schönsten Amtsdeutsch heißt.

Höchstmaß an Konzentration

Es ist ein spezieller Verein, der sich vor elf Jahren in München gegründet hat. Alle 140 Mitglieder arbeiten für die Justiz und die Polizei. Die Dolmetscher übertragen mündlich, was ein Angeklagter in einem Prozess oder ein Festgenommener im Verhör zu sagen hat. Die Übersetzer übertragen Texte aus einer anderen Sprache schriftlich - Urkunden oder Verträge beispielsweise.

Ein Höchstmaß an Konzentration erfordern beide Disziplinen: Ein guter Dolmetscher findet nicht nur die richtigen Worte, er kennt sich in Dialekten, Bräuchen und Gepflogenheiten aus. Er braucht starke Nerven bei stundenlangen Gerichtsverhandlungen und schnellen Wortwechseln - und er muss problematische Menschen an seiner Seite ertragen können. Das ist nicht immer leicht: "Ich habe noch keinen Angeklagten wirklich sympathisch empfunden", sagt Roberts Putnis, der Vorsitzende des Vereins.

Gleichwohl hat der 36-jährige gebürtige Lette seinen Landsleuten, die in die Mühlen der bayerischen Justiz geraten waren, hinterher auch manchmal privat geholfen, bei Kontakten mit Behörden etwa. Die gemeinsame Sprache verbinde eben, erzählt Putnis bei einem Glas Weißwein, Sympathie hin oder her. Die Angeklagten vertrauen sich ihm an, weil sie ein Stück Heimat in ihm sehen. Dadurch entsteht zwangsläufig Nähe - auch physisch so dicht an dicht auf der Anklagebank. Das ist dem Dolmetscher manchmal zu viel: "Es gibt ja auch Leute, die riechen nicht besonders angenehm."

Um die komplizierten juristischen Inhalten zu bewältigen, benötigen die Dolmetscher und Übersetzer mitunter enormes Fachwissen. Roberts Putnis wird seinen ersten Einsatz als Konferenzdolmetscher nie vergessen: Deutsche und lettische Verfassungsrichter berieten einen ganzen Tag lang über einen Gesetzestext. Hätte Putnis nicht selbst einige Semester Jura studiert, er wäre heillos verloren gewesen in dieser Situation.

Die Dolmetscher und Übersetzer im VbDÜ sind alle Freiberufler - also eigentlich Konkurrenten. Über den Verein haben sie einen Weg gefunden, dennoch voneinander zu profitieren. Sie haben gemeinsam ein Büchlein herausgegeben. Das "Sprachenverzeichnis" listet alle Mitglieder und ihre Fachgebiete auf. So können sie gemeinsam Werbung für sich machen, in den Münchner Gerichten liegt das nach Sprachen gegliederte Nachschlagewerk in allen Geschäftsstellen aus. Die Richter müssen nur noch zum Telefon greifen.

Wie Rolf-Dieter Madlindl, der die meisten Dolmetscher von ihren Einsätzen am Amtsgericht kennt. Der Richter schätzt ihre Arbeit. In früherer Zeit war das nicht unbedingt der Fall: Im Mittelalter galten die Sprachmittler zwar als "Allwissende", aber genau deshalb hegte die herrschende Klasse Argwohn gegen sie, berichtet Madlindl. Ehe sich Latein als Diplomatensprache durchsetzte, wurden mehrsprachige Menschen oft als mutmaßliche Spione misstrauisch beäugt.

Es dauerte bis 1721, als in Frankreich die erste offizielle Sprachschule eröffnete und sich langsam eine breite Sprachkultur außerhalb des Adelsstandes entwickelte. Die erste deutsche Spracheinrichtung wurde 1887 in Berlin gegründet. Vor dem Hintergrund des damaligen Kolonialismus wurden orientalische Sprachen gelehrt. Für Richter Madlindl sind die Sprachexperten heute ein Bindeglied, ein "Scharnier, ohne das ein Gerichtsverfahren gar nicht ins Laufen käme".

Ein Knochenjob

Hierzulande ist die Gerichtssprache Deutsch. Wegen des Gleichheitsgrundsatzes, des Diskriminierungsverbots und des Anspruchs auf ein faires Verfahren hat ein anderssprachiger Angeklagter das Recht auf einen Dolmetscher. Der gebürtige Oberschlesier Martin Waniek, 65, und der Lette Roberts Putnis werden deshalb regelmäßig engagiert, um Landsleuten durch das Räderwerk der Justiz zu helfen.

Das ist ein Knochenjob, weil nicht nur das gesprochene Wort exakt übertragen werden muss, sondern den Dolmetschern auch Einfühlungsvermögen und Schauspielkunst abverlangt wird. Er versuche stets, auch den Duktus eines Angeklagten rüberzubringen, sagt Waniek: "An meiner Art zu sprechen und an meinem Tonfall kann ein Richter manchmal schon erkennen, ob ein Angeklagter die Wahrheit sagt oder nicht." Die Dialekte seiner Landsleute lernte Waniek in Polen, wo er in einem Bergwerk arbeitete, ehe er Buchhändler wurde und vor 33 Jahren schließlich nach München zog.

Was die Menschen vor Gericht beichten, ist oft schrecklich. Manchmal ist es unerträglich. Roberts Putnis brach einmal mitten in einem Prozess ab beim Dolmetschen. Der Angeklagte erzählte, dass er in seiner Kindheit mitansehen musste, wie sein Stiefvater die Mutter köpfte. "Ich war völlig schockiert", erinnert sich Putnis, "ich konnte nichts mehr sagen."

Bogolsav Petan hat in den Jahrzehnten, in denen er am Schwurgericht dolmetschte, einige grausame Geschichten gehört. Bei Sittlichkeitsdelikten und besonders in Fällen, in denen Kinder Opfer wurden, habe er versucht, "innere Distanz zu halten", sagt der 90-Jährige. Bis vor fünf Jahren arbeitete er noch für die Justiz. Durch seine Herkunft war Petan geradezu prädestiniert für diesen Job: Seine Großeltern stammten aus Slowenien, er wuchs in Kroatien auf und studierte Slawistik in Triest und Venedig.

Von 1950 an leitete er in München die jugoslawische Abteilung von Radio Free Europe. Als Anfang der Siebzigerjahre die Gastarbeiter aus Italien und Jugoslawien nach Deutschland strömten und natürlich auch mit dem Gesetz in Konflikt gerieten, baten ihn Polizei und Justiz um Hilfe. "Die Behörden hatten kaum Erfahrung mit Ausländern damals", erzählt der groß gewachsene Mann mit dem auffälligen weißen Schnauzer, dem der Verein an diesem Abend mit dem Auftritt einer Bauchtänzerin zum Geburtstag gratuliert.

Nach dem Ende von Radio Free Europe dolmetschte Petan nur noch, und am Kultusministerium prüfte er den Nachwuchs in seinen Sprachen: Serbisch, Kroatisch, Bosnisch, Slowenisch und Italienisch. Daneben beherrscht er Russisch, Bulgarisch und etliche Dialekte, was ihm immer wieder dabei half, einen "guten Draht" zu den Angeklagten aufzubauen: Auch er habe versucht, ihren "Ton zu treffen", sagt Petan.

Im Fall eines aus Süditalien stammenden Schneiders, der mit einer Schere auf seine Frau losgegangen war, half allerdings auch kein Neapolitanisch mehr. Der Angeklagte war so aufgeregt, dass alles an ihm vorüberzog. Er nickte stets brav, registrierte vor Gericht aber tatsächlich kein Wort. Auch das Urteil bekam er nicht mit. Als die Richter den Saal verlassen hatten, musste ihm Petan alles noch einmal erzählen. Auch dass er zwei Jahre auf Bewährung bekommen hatte.

© SZ vom 14.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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