Gericht:Lücken in der Erinnerung

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Im Prozess über den Mord an einer 86-Jährigen steht das Urteil bevor

Von Susi Wimmer

"Sie hat mich noch lieb gedrückt und umarmt", schrieb Marion D. in einem Chat an ihren Freund. Und sie tippte auch in ihr Handy, was dann passierte, nämlich dass sie "Gott gespielt" und ihrer pflegebedürftigen Ex-Schwiegermutter ein Kissen auf das Gesicht gedrückt habe. Die Staatsanwaltschaft wertet die Tat als heimtückisch und will die 51-Jährige wegen Mordes lebenslang hinter Gittern sehen. Die Verteidigung hingegen plädierte am Mittwochnachmittag vor dem Landgericht München I auf Totschlag und siebeneinhalb Jahre Haft, unter anderem deshalb, weil Marion B. aus reinem Mitleid gehandelt habe.

Nach den Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Nebenklage und zwei Verteidigern erklärt der Vorsitzende Richter Michael Höhne Marion B. ausführlich, dass ihr das letzte Wort gebühre, dass sie sich nach all den Vorrednern, nach den fünf Verhandlungstagen, zur Sache äußern könne. Doch Marion D. schüttelt beharrlich den Kopf. Sie schweigt weiter darüber, was am 11. November 2016 in der Wohnung ihrer Ex-Schwiegermutter in der Elisabethstraße genau passiert ist. Laut Zeugen lebte die 86 Jahre alte Frau in einer vermüllten Wohnung, ging nicht mehr aus dem Haus, lehnte jegliche Hilfe ab, nur der im Haus wohnende Sohn brachte ihr Einkäufe. Bei ihm war Marion D. an jenem Tag zu Gast, trank Alkohol und kokste und redete mit ihrem Ex über die Situation der Mutter. Dann gingen sie gemeinsam in ihre Wohnung. Die Seniorin lag erneut nach einem Sturz hilflos am Boden. Marion D. kümmerte sich, der Sohn verschwand.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Marion D. der Frau Hilfsangebote unterbreitete, diese aber alles ablehnte und Marion D. "verärgert, frustriert und betroffen" der ahnungslosen Frau ein Kissen auf das Gesicht drückte. Das Opfer habe sich gewehrt, sei auf den Boden gerutscht, Marion D. sei auf ihr gekniet und habe ihr das Kissen mindestens fünf Minuten aufs Gesicht gedrückt. Verteidiger Gerald Assner hielt dagegen, dass der Tathergang, selbst das mutmaßliche Knien auf dem Opfer, Spekulation sei. Er sah eine verminderte Schuldfähigkeit durch Alkohol und Kokain und forderte neben der Haftstrafe eine zweijährige Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Anwalt Raimund Förschner, der den Sohn der Toten vertritt, wertete die Tat wie die Staatsanwaltschaft als heimtückisch. Marion D. habe sich direkt vor und nach der Tat Zeugen gegenüber klar geäußert. Dass sie ausgerechnet zur Tatzeit Erinnerungslücken habe, das glaubt er ihr nicht.

© SZ vom 18.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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