Gelegenheit zum Tanzen:Sonntag im Walzertakt

Lesezeit: 4 min

Ein Orchester spielt Musik aus dem vergangenen Jahrhundert - alt fühlt sich dieser Tanztee trotzdem nicht an

Von Kathrin Aldenhoff

Für Hans-Michael Huber beginnt der Tanztee mit einem Schluck Maximator aus dem Tonkrug. Und mit einem Walzer. Er hat seine roten Tanzschuhe geschnürt, das pink-blau-gelbe Sakko angezogen und die Krawatte mit dem Blümchenmuster umgebunden. Das Salonorchester "La Rose Pauillac" beginnt zu spielen, und während die einen noch schunkeln, nimmt er seine Partnerin bei der Hand und es geht los, im Walzertakt.

Bald schon drehen sich mehrere Paare, die Tanzfläche ist voll. Zwei Stunden haben sie. Und die wollen sie nutzen. Die Menschen, die an diesem Sonntagnachmittag in die Echardinger Einkehr gekommen sind, jung zu nennen, wäre nicht richtig. Sie alt zu nennen, aber auch nicht. Die Spanne ist weit, die jüngste Tänzerin ist zweieinhalb, die älteste 85. Die Herren tragen Hemd und manche Hosenträger, die meisten Damen ein Kleid und Absätze. Sie tanzen Foxtrott und Walzer, Boogie-Woogie und Charleston, und nach jedem Lied bekommt das Orchester Applaus.

Tanztee nennt sich die Veranstaltung des Münchner Kulturreferats, Abteilung Volkskultur. Tee trinken allerdings die wenigsten hier, eher Kaffee, Weißwein oder eben ein dunkles Starkbier namens Maximator. Einmal im Monat, von Oktober bis Fasching, ist Tanztee; die Live-Musik aus den Jahren 1900 bis 1960 ist fester Bestandteil der Reihe, die Orchester wechseln, ebenso wie der Veranstaltungsort. An diesem Sonntag ist es ein Wirtshaus im Osten der Stadt; im Saal haben sie die Tische zu langen Tafeln an den Rand gestellt und in der Mitte Platz zum Tanzen gelassen. Zu wenig, wie sich bald herausstellt.

1 / 4
(Foto: Robert Haas)

"Tanzen ist einfach ein fundamentaler Spaß", sagt Hansjörg Dieng. Der Mann mit den roten Dackel-Hosenträgern ist nicht der einzige,...

2 / 4
(Foto: Robert Haas)

...der beim Tanztee in der Echardinger Einkehr seine Freude hat.

3 / 4
(Foto: Robert Haas)

Gut zwanzig Paare drehen sich im Takt,...

4 / 4
(Foto: Robert Haas)

das Salonorchester bekommt nach jedem Stück Applaus.

Eine Frau im engen lila Kleid reckt die Nase in die Höhe, die braunen Haare mit vielen kleinen Haarklammern am Hinterkopf festgesteckt, die Pose elegant, wiegt die Hüften beim Cha-Cha-Cha. Eine Großmutter tanzt mit ihrer Enkelin auf dem Arm. Eine 85-Jährige im dunkelblauen Kleid lässt sich von ihrem 80-jährigen Begleiter - gelb getönte Brille, dunkelrote Hosenträger, rotes Halstuch - führen. Sie tanzen zum ersten Mal miteinander, aber er kann schon sagen: "Sie liegt mir gut im Arm", und die Dame quittiert das mit einem fröhlichen Lachen. Sie kennen sich bald zehn Jahre. Beim Tanzen aber, sagen sie, da komme man sich einfach näher.

"Tanzen ist einfach ein fundamentaler Spaß", sagt Hansjörg Dieng. Und dass man das auch vor der Rente machen könne. 56 ist er, trägt rote Hosenträger mit Dackelmuster, seine Frau ein geblümtes Kleid. Sie haben ihre Tanzschuhe angezogen, die Winterschuhe in der Garderobe gelassen. Vor 23 Jahren haben sie sich in der Tanzschule kennengelernt. Sie war mit Freundinnen da, er alleine, weil seine Tanzpartnerin eine Knie-Operation hatte. "Wenn man Walzer und Foxtrott kann, dann kann man sich so durchs Leben mogeln", sagt er und sie sagt: "So einen guten Tänzer lässt man nicht einfach so stehen." Seit dem tanzen sie gemeinsam, am liebsten Tango Argentino.

Hans-Michael Huber hat seine roten Tanzschuhe geschnürt, das pink-blau-gelbe Sakko angezogen und die Krawatte mit dem Blümchenmuster umgebunden. (Foto: Robert Haas)

Ein Mitglied des Salonorchesters setzt an und singt. Die Goldenen Zwanziger, so müssen sie geklungen haben. Geleuchtet haben sie vermutlich ein wenig anders: Die großen ringförmigen Lampen und die überdimensionalen Glitzersterne, die von der Decke baumeln, sind nicht ganz stilecht, aber das stört die Atmosphäre nicht. Eine Tänzerin, die mit ihren 50 Jahren diese Zeit definitiv nicht erlebt hat, schwärmt: Sie fühle sich bei dieser Musik wie vor 100 Jahren. Sie liebe es, zu Orchestermusik zu tanzen, viel zu selten biete sich die Gelegenheit dazu.

Genau aus diesem Grund, weil es eben ganz wenige Gelegenheiten gibt, zu Orchestermusik zu tanzen, hat Rose Bihler Shah vor etwa acht Jahren begonnen, selbst solche Gelegenheiten zu schaffen. "Der Tanztee war ein bisschen in Vergessenheit geraten", sagt die 60-Jährige. Dabei sei es doch so schön: Kaffee trinken, sich unterhalten und dabei tanzen, nicht immer nur spazieren gehen am Sonntag. "Ich habe gehofft, es in Mode zu bringen." Vor zwei Jahren ist sie dabei einen großen Schritt weitergekommen: Seitdem beteiligt sich das Kulturreferat am Tanztee, auch finanziell, mit 5000 Euro. Noch nennen sie es dort ein Pilotprojekt, das sich bewähren muss. Zu den letzten Veranstaltungen kamen zwischen 50 und 80 Tänzer, Rose Bihler Shah ist zuversichtlich.

Nach drei Stücken macht das Orchester jeweils eine kurze Pause, ein wenig Zeit braucht es auch für Germknödel, Kaiserschmarrn und Bier. Nach ein paar Minuten sagt einer der Musiker die nächsten Stücke an und fügt hinzu: "Wie schön, dass Sie im mittleren Alter noch so aktiv sind!" Vielleicht bleibt jung, wer tanzt, vielleicht tanzt, wer sich nicht alt fühlen will. Und vielleicht ist das auch ganz egal, es geht eben um den fundamentalen Spaß. Noch ehe die Musiker wieder zu spielen beginnen, steht ein Paar schon bereit.

Es ist ungefähr Halbzeit und es wird eng auf der Tanzfläche. Mehr als 20 Paare drehen sich dort im Walzertakt, einige Tänzer weichen schon in den Vorraum aus. Eine Frau hat die Hände auf die Schultern ihres Mannes gelegt, die Augen geschlossen, er führt sie sanft über die Tanzfläche. Das Orchester spielt "Dunkelrote Rosen", Hans-Michael Huber hält seine Partnerin jetzt ganz fest, hat seine Wange an ihre gelegt und singt mit. Sie blickt ihn ein wenig tadelnd an, lächelt und legt ihre Wange zurück an seine.

Charlotte Weiß, brauner Pony, rosa-weiß geblümtes Kleid, breites Lächeln, steht am Rand. Sie hat ihren Mann gerade an eine andere Dame abgetreten, so sagt sie das. Das mache sie öfter, es seien meistens zu wenig Männer da. Vor 30 Jahren haben sie sich kennengelernt, beim Rock'n'Roll. "Das Schöne am Tanzen ist, dass ich immer mit besserer Laune zurückkomme, als ich hingehe", sagt sie.

Das letzte Lied, "Zum Abschied reich ich dir die Hände". Die Tänzer applaudieren, die Musiker verbeugen sich, die Tänzer fordern eine Zugabe, doch Rose Bihler Shah bleibt hart - um 17 Uhr ist Schluss, da nützt alles Klatschen nichts. Der Mann mit den roten Hosenträgern zieht einen schwarzen Mantel über, die Tanzschuhe steckt er in einen Beutel. Und das elegante dunkelblaue Kleid verschwindet unter einem cremefarbenen Daunenmantel.

Die nächsten Veranstaltungen sind am Sonntag, 17. Februar, in der Seidlvilla, Nikolaiplatz 1b, mit der Damenkapelle Rosenrot und am Sonntag, 3. März, im Alten Wirt in Moosach, Dachauer Straße 274, mit Fräulein Rosemarie & ihre Lieben. Die Musik spielt von 15 bis 17 Uhr, der Eintritt ist frei.

© SZ vom 25.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: