Geiselnahme:Entführung im Namen der Ehre

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Noch vor Weihnachten sollte die junge Frau in der Türkei verheiratet werden. Da war ihr Münchner Freund der Familie im Weg: Vater, Mutter und Bruder entführten ihn und bedrohten ihn mit dem Tod.

Monika Maier-Albang

Weil ihnen die Partnerwahl der Tochter nicht gepasst hat, hat eine in München lebende türkische Familie den deutschen Freund der Tochter entführt, geschlagen und bedroht.

Die junge Türkin und ihr Freund werden zurzeit von der Polizei geschützt. (Foto: Foto: dpa)

Für die 20-jährige Tochter hatte die Familie schon ein Flugticket nach Antalya gekauft - ,,one way'', wie der ermittelnde Kriminalhauptkommissar Herbert Linder sagt. Offenbar sollte die junge Frau noch vor Weihnachten in die Türkei gebracht und später dort verheiratet werden.

Die 20-Jährige war erst vor zwei Monaten mit ihrem gleichaltrigen Freund zusammengezogen - gegen den Willen der Eltern. Die beiden hatten sich am gemeinsamen Ausbildungsplatz kennengelernt und sind seit etwa einem Jahr befreundet. In dieser Zeit hatte der Bruder der 20-Jährigen den Freund schon mehrmals abgepasst und ihn aufgefordert, er solle die Finger von seiner Schwester lassen.

Schlag auf den Kopf

Das Paar aber hielt dem Druck stand, verlobte sich sogar. Sehr zum Missfallen der Familie. Die Mutter versteckte sogar den Verlobungsring ihrer Tochter, als die den Ring zum Baden abgelegt hatte.

Seit vergangener Woche sitzen Mutter, Vater und Bruder nun wegen Geiselnahme in Haft. Am 13. Dezember hatten Vater und Bruder dem jungen Mann auf seinem Weg von seiner Wohnung an der Schleißheimer Straße zur U-Bahnstation Dülferstraße aufgelauert.

Was dann folgte, stellt sich nach ersten Ermittlungen der Polizei folgendermaßen dar: Die beiden Männer packten den Freund der Tochter, zerrten ihn ins Auto, wo die Mutter bereits wartete. Als der junge Mann fliehen wollte, schlug der 58-jährige Vater vom Rücksitz aus dem 20-Jährigen auf den Kopf.

Der 27-jährige Bruder nahm dem Gekidnappten das Handy ab - so konnte er nicht um Hilfe rufen. Dann fuhren die Drei mit ihrem Gefangenen zu einem abgelegenen Platz, wo der Vater drohte, ihn umzubringen. Um der Drohung Nachdruck zu verleihen, hatten die Männer sich Handschuhe übergezogen. ,,Dann gibt's keine Fingerabdrücke.'' Falls er die Tochter nicht zurückschicke, werde auch seine Familie ,,nicht lange leben'', bekam der 20-Jährige zu hören.

"Er rannte um sein Leben"

Die Polizei geht davon aus, dass die Familie vor allem der Tochter habhaft werden wollte. Die war an diesem Tag krank und deshalb nicht wie üblich mit dem Freund zur Arbeit aufgebrochen. Weil sie auch ihr Handy ausgeschaltet hatte und nicht zu erreichen war, beschlossen die Kidnapper schließlich, mit ihrem Opfer zu seiner Wohnung ins Hasenbergl zu fahren.

Unterwegs konnte der 20-Jährige entkommen. Er hatte gebeten, auf die Toilette gehen zu dürfen. Die Entführer hielten an der Aral-Tankstelle an der Dülferstraße, eskortierten ihn in den Verkaufsraum. Von dort aus flüchtete der 20-Jährige.

,,Er rannte um sein Leben'', sagt Hauptkommissar Linder. Der junge Mann stoppte in der Dülferstraße einen roten Kombi (die Polizei bittet die hilfsbereite Fahrerin, sich unter 089/2910-0 zu melden), ließ sich an der nächsten Telefonzelle absetzen und rief die Polizei.

Vater, Mutter und Bruder wurden kurze Zeit später in ihrer Wohnung in Untermenzing festgenommen. Der 27-jährige Bruder habe gestanden, sagt Linder, zeige aber kein Schuldbewusstsein. ,,Er wollte angeblich nur das Beste für alle.''

Um das aus ihrer Sicht ,,Beste'' zu tun, hatte die Familie für die Tochter einen Flug in die Türkei gebucht, datiert auf den 22. Dezember, ohne Rückflug. Begleitet worden wäre die junge Frau von allen in München lebenden Verwandten, denn der Bruder wollte in Kürze in der Türkei heiraten.

Für ihn und den Vater war ein Rückflug gebucht, Mutter und Tochter sollten bleiben und sich ,,vom Stress erholen'', wie der 27-Jährige aussagt.

"Noch im Mittelalter"

Als ,,trauriges und ärgerliches'' Beispiel für misslungene Integration wertet Cumali Naz, Vorsitzender des Münchner Ausländerbeirats, den Fall. Die Familie stammt aus einem Dorf in der Provinz Adiyaman im Südosten der Türkei; der Vater lebt und arbeitet seit 34 Jahren in Deutschland, die Mutter ist seit 30 Jahren hier, spricht aber kein Deutsch. ,,Die haben hier leider nichts dazugelernt'', schimpft Naz.

Es sei eine ,,falsche Vorstellung von Ehre'', wenn die Männer ihre weiblichen Familienmitglieder als Besitz behandeln. ,,Diese Menschen verhindern, dass ihre Kinder selbstbestimmt leben. Und das ist ein Menschenrecht.''

Allerdings sei gerade Männern, ,,die noch im Mittelalter leben'', mit Argumenten schwer beizukommen. Der Ausländerbeirat versuche daher, mit Hilfe von Frauengruppen die Mütter zu überzeugen, ,,ihren Töchtern nicht dasselbe anzutun, was sie selbst durchlitten haben''.

Naz wünscht sich mehr Unterstützung für junge Migrantinnen, die Probleme mit ihrer Familie haben. Und er plädiert dafür, derartige Fälle ,,strafrechtlich konsequent zu ahnden''. Das habe vielleicht abschreckende Wirkung.

Die junge Türkin und ihr Freund sind momentan von der Polizei an einem sicherem Ort untergebracht. Schließlich wisse man nicht, sagt Linder, wie die Familie in Türkei auf die Vorfälle reagiert.

© SZ vom 20.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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