Gebrauchte Kleidung:So gut wie neu

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In München gibt es diverse Geschäfte, die Second-Hand-Mode anbieten. Die Kunden kaufen hier aus ganz unterschiedlichen Gründen. Manche sind auf Schnäppchenjagd, andere im Dienste der Nachhaltigkeit unterwegs - und Dritte auf der Jagd nach einem ganz bestimmten Vintage-Kleidungsstück

Von Franziska Gerlach

Nehmen wir zum Beispiel das dunkelblau-rot-weiß gestreifte Shirt mit dem Stehkragen, von dem ein europäischer Textilkonzern im vergangenen Frühjahr Hunderte, ach was, Tausende unter die Münchner gebracht hat, zumindest gefühlt. Damals waren die Siebzigerjahre mal wieder richtig in Mode, und zur Schlaghose macht sich ein solches Streifenshirt richtig gut. Also her mit dem Teil.

Ein Jahr später hat sich der Hype erledigt, das Shirt muss im Kleiderschrank Platz machen für den nächsten heißen Scheiß - und landet schlimmstenfalls in einer Mülltonne. So in der Art dürfte sich die Geschichte in München jedes Jahr zigfach abspielen. "Dieses saisonale Shoppen ist nicht sehr sinnvoll", sagt Agnes Fuchsloch. Sie ist Filialleiterin des Vinty's nahe der Hackerbrücke, einem Second Hand Laden der Aktion Hoffnung, einer kirchlichen Hilfsorganisation mit Sitz in Augsburg, die mit ihren Läden Entwicklungsprojekte unterstützt. Das Münchner Geschäft besteht seit Juni 2015, und es bemüht sich um eine längere Lebensdauer von Kleidung. Wer sich Klamotten vergangener Saisons entledigen möchte, der kann sie bei Vinty's zum Verkauf abgeben - ein kurzer Weg zu einem neuen Besitzer.

Wer in einer der drei Kleidsam-Boutiquen in München kauft (hier die in der Blutenburgstraße), sichert psychisch kranken Menschen einen Arbeitsplatz. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Fuchsloch weiß natürlich um das irrsinnige Wechselspiel zwischen immer schneller werdenden Produktionsrhythmen der Mode und dem Wegwerfwahnsinn. Und findet es nur konsequent, dass die Deutsche Kleiderstiftung den "Tag der gebrauchten Kleidung" an diesem Freitag zum Anlass nimmt, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Der Gedenktag ist zwar eine amerikanische Erfindung, aber auch der Deutsche shoppt gerne: Im Jahr 2015 kauften mehr als 19,5 Prozent der Frauen mehr als einmal im Monat Kleidung, bei den Männern waren es 9,5 Prozent, teilt die Deutsche Kleiderstiftung mit. Die Organisation gehört zum Dachverband Fairwertung, einem Zusammenschluss an Institutionen, die gemeinnützig alte Kleidung sammeln. Weitergeben statt wegwerfen, das klingt zunächst schlüssig. Allerdings: "Der Spender sollte genau schauen, wem er seine gebrauchten Textilien anvertraut", sagt Ulrich Müller, geschäftsführender Vorstand der Deutschen Kleiderstiftung. Der Handel mit gebrauchten Textilien floriert weltweit, neben städtischen Containern oder jenen sozialer Einrichtungen tauchten hierzulande immer wieder illegale Sammelbehälter auf. Die Kleiderspenden dienen dann unter Umständen nicht dem guten Zweck, sondern dem Profit. Dabei lässt sich mit Second-Hand-Mode tatsächlich Gutes tun: Wer bei einem der drei Münchner Kleidsam-Läden der Diakonia einkauft, einem Sozialbetrieb der Inneren Mission, der sichert psychisch kranken Menschen einen Arbeitsplatz. "Die würden sonst nur schwer Arbeit finden", sagt Filialleiterin Magdalena Braun. Dass die Blusen, Kleider oder Blazer bereits getragen sind, könne man außerdem auch positiv sehen. Sei gebrauchte Kleidung nämlich toll erhalten, spreche das doch sehr für die Qualität.

In den Geschäften von Pick'n'Weight wird Second-Hand- und Vintage-Mode nach Gewicht verkauft. (Foto: Catherina Hess)

Jedoch muss man für München, wo man sich dem Klischee nach ja bereitwillig dem Diktat eines markenfixierten Glamours fügt, zunächst einmal sagen, dass gebrauchte Mode nicht gleich gebrauchte Mode ist. Und wenn die Stadt auch mit einem annehmbaren Netz an Second-Hand-Läden überzogen ist: In ihrem Selbstverständnis weichen die Anbieter deutlich voneinander ab. Jeder hat eben einen anderen Geschmack, und es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man gebrauchte Mode im Dienst der Nachhaltigkeit ersteht, ein Schnäppchen tätigen möchte, oder aber zu den Menschen gehört, die das Internet tagelang nach dieser einen Vintage-Lederjacke durchkämmen. Führt das Kleidungsstück noch einen bekannten Markennamen im Etikett, wird das Ganze gerne Preloved-Fashion genannt, also Mode, die schon einmal geliebt wurde.

Mode aus zweiter Hand findet ihren Abnehmer, gerne auch im ausgefalleneren Ambiente. (Foto: Catherina Hess)

Manchmal muss diese Liebe der Münchner ziemlich groß sein, denn selbstredend leben hier auch jene Leute, die sich ohne mit der Wimper zu zucken eine Tasche von Hermès oder Chanel zulegen, die auch aus zweiter Hand mehrere Tausend Euro kostet. Ausschließlich Chichi, das ist München aber nicht: Selbst wenn ein Laden namhafte Markenware führt, so überrascht er doch zuweilen mit einem unaufgeregten Auftritt - wie etwa das Macy in Haidhausen. In den Flohpalast, den Flohmarktladen an der Theresienstraße, kann gegen eine Kleiderbügel-Mietgebühr von zwei Euro pro Woche jeder seine Klamotten zum Verkauf hinbringen. Wer dieses Angebot nutzt? "Querbeet alle, aus allen Gesellschaftsschichten", sagt Verkäuferin Barbara Grohmann.

Mode aus zweiter Hand findet offenbar ihre Abnehmer. Noch heute verfallen Münchner bisweilen in ein mittelprächtiges Lamento, weil sie den Kleidermarkt im Tal vermissen. Anfang 2014 macht das große Second-Hand-Geschäft dicht, nach annähernd 24 Jahren. Der Mietvertrag war nicht verlängert worden. Für den Betreiber läuft es aber weiterhin gut an der Isar, anstelle des Kleidermarktes führt die Modemarkt Freestyle GmbH hier nun zwei Filialen von Pick 'n' Weight. Bei Eröffnung der Läden vor gut anderthalb Jahren waren die Vintage-Anhänger der Stadt einigermaßen aus dem Häuschen. Besonders die junge Münchnerin trägt die Packpapiertüten der Kilo-Stores seither stolz durch die Straßen. Der Clou: Second Hand Mode wird wie Obst im Supermarkt gewogen und je nach Kategorie mit einem Preis versehen. Dieses Wiegen und Schätzen macht Spaß, schult aber auch das Gefühl für den Wert eines Kleidungsstücks. "Unsere Kunden mögen es individuell, fernab des Mainstreams", sagt Maria Manthei von der Modemarkt Freestyle GmbH. Ganz egal, ob sie in einem Kilo-Store in Hamburg, Berlin oder eben München einkaufen.

© SZ vom 25.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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