Zehnfingersystem:Überstreckt zum Ä und Ü

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"Das Alaskaöl halt ja": Das Erlernen des Zehnfingersystems beginnt mit dem Schreiben von Worten in der mittleren Buchstabenreihe der Tastatur. (Foto: imago/Jochen Tack)

Die Volkshochschule Germering bietet in den Osterferien erstmals einen Kompaktkurs im Tastaturschreiben an. Es nehmen Studenten teil und Leute, die sich beruflich weiterbilden wollen

Von Erich C. Setzwein, Germering

Die Katze liebt Ölsardinen. Tut sie das? Den Teilnehmern des neuen Kurses "Tastschreiben" der Volkshochschule Germering ist die Antwort auf diese Frage zunächst egal. Hauptsache ist, dass alle diesen kleinen Satz mit zehn Fingern auf der Computertastatur fehlerfrei tippen können. Die Katze und die Ölsardinen sind ein wichtiger Teil des Kurses, den Barbara Müller zum ersten Mal an der VHS Germering gibt. Denn das Erlernen des Zehnfingersystems auf der Tastatur soll den Teilnehmern durch ein multisensorisches Programm erleichtert werden. Zu jeder Buchstabenreihe werden Geschichten erzählt, und die Katze steht für das mit den rechten Mittelfinger angeschlagene "k", die Ölsardine für das vom kleinen Finger gedrückte "ö". Und der rechte kleine Finger wird noch mehr können müssen, er wird zum "ä", zum "ü" und zum scharfen "s" überstreckt. Aber erst am dritten Abend.

Drei mal zwei Stunden sind für den Kompaktkurs angesetzt, der in den Osterferien für ältere Jugendliche und Erwachsene konzipiert ist, wie Barbara Müller sagt. Die Fachlehrerin für Büroorganisation und Bürotechnik lehrt seit mehr als 30 Jahren das Schreiben auf der Tastatur, hat früher Unterricht in Wirtschafts- und Realschulen gegeben und arbeitet heute für die Volkshochschulen in Germering und München sowie bei Schulungen für Firmen. Mit dem Kompaktferienkurs kennt sie sich aus, hat sie ihn doch schon in München gegeben.

Müller gibt ihren sechs Schützlingen im Technikraum der Kirchenschule das Ziel vor: "700 bis 800 Anschläge in zehn Minuten" würden sie einmal schaffen, wenn sie nach dem Kompaktkurs auch weiter fest üben würden. Sie räumt dabei gleich ein, dass es einer gewissen Fingerfertigkeit bedarf, bis die Buchstaben so auf den Bildschirm gelangen, dass sie auch einen Satz und einen Sinn ergeben. Aber sie ist zuversichtlich und sagt ihren Schülern voraus, dass sie es in vier bis acht Wochen schon drauf hätten.

Das dürfte Johannes Widmann freuen. Der 19 Jahre alte Germeringer hat im vergangenen Jahr sein Abitur gemacht und im ersten Semester seines Studiums der Geschichte und Volkswirtschaft schon eine Hausarbeit getippt. Elf Seiten, wie er betont. Da er in den kommenden Semestern seines Bachelor-Studiengangs an der Ludwig-Maximilians-Universität noch viele Gelegenheiten bekommen wird, Wissenschaftliches auf Papier zu bringen, dürfte ihm der Kurs einiges bringen.

Zunächst aber muss Johannes Widmann in der ersten Lektion: "Das Alaskaöl halt ja", in der Mittelreihe der Tastatur tippen. Am folgenden Abend legt Barbara Müller für einen Satz die Messlatte noch etwas höher und fordert die Schüler auf, die Bildschirme beim Tippen des folgenden Satzes auszuschalten. Groß- und Kleinschreibung auf der mittleren und oberen Buchstabenreihe, dazu ein blinder Bildschirm, auf dem später zu lesen sein sollte: "Als Philipp auf das Wasser sah, war dort die eklige Qualle." Das Tippen scheint ganz flott zu gehen, einen Buchstaben zu korrigieren, ist jetzt nicht sinnvoll. Als die Monitore wieder angemacht werden dürfen, ist die Überraschung groß, die Fehlerzahl erstaunlich klein.

Johannes Widmann und die Schülerin Karina, die extra aus dem Landkreis München in den Kurs nach Germering gekommen ist, scheinen ob ihrer Jugend schnell zu lernen. Es sei schon etwas anderes, mit zehn Fingern zu schreiben, als mit zwei Daumen, sagt Barbara Müller und spielt damit auf das schnelle Tippen von Mitteilungen auf dem Smartphone an. Sie selbst könne das mit den Daumen gar nicht.

Die Freundinnen Ivka Peduto und Alexandra Schmidt haben sich für die drei Doppelstunden angemeldet, weil sie sich im Beruf weiter qualifizieren wollen. Ivka Peduto klagt nach dem zweiten Abend zum Scherz über Schmerzen und schüttelt das rechte Handgelenk aus, die Freundin sagt, sie habe so kleine Hände und komme nicht auf jeden Buchstaben. Ivka Peduto wird das schnellere Schreiben mit zehn Fingern wohl zugute kommen. Die 43-Jährige arbeitet bei einem Kurierdienst, da müssten schon mal rasch Adressetiketten neu geschrieben werden. "Bisher war ich langsam."

Dreimal zwei Stunden an drei aufeinanderfolgenden Abenden, das strenge schon an, räumt Barbara Müller ein. Sonst seien die Kurse über drei oder vier Wochen aufgebaut, also viermal anderthalb oder dreimal zwei Stunden. "Da bleibt zwischendurch mehr Zeit zum Üben und Festigen." Im Kompaktkurs werden nur die Buchstaben gelehrt und die beiden wichtigsten Satzzeichen Komma und Punkt. Zahlen und Sonderzeichen müssen sich die Schüler später selbst anlernen. In der Kürze der Zeit ist ohnehin viel zu tun. Wer sein Leben lang mit zwei Fingern Texte getippt hat, dem sollen Geschichten, Musik und Bilder helfen, die Finger auf einer Tastatur einmal blind zu bewegen, deren Buchstabenreihe mit QWERTZ beginnt.

Für das Zehnfingersystem sind nur acht Finger nötig, die Daumen dürfen abwechselnd die Leertaste drücken. Barbara Müller erzählt die Geschichten zu den Buchstaben nicht selbst, sie spielt insgesamt sechs "Lernkonzerte" von einer CD ab. Die berieselnde Musik zusammen mit der gemächlich erzählenden Stimme könnte abends auch schnell zu einer Tiefenentspannung führen. Doch Schläfrigkeit mag gar nicht aufkommen, wenn vom Urlaub die Rede ist, vom Anker, der das "a" darstellt, von der Sonne, dem Delfin. Gleich darauf diktiert Müller Buchstabenkombinationen nach den eben gelernten Bildern. Und prompt fängt ein Schüler an, "Flugzeug" zu schreiben. "Nur ein großes F", verbessert Müller.

Eva Benek will viel mehr als nur das "f" schreiben. Sie schreibt für ihr Leben gern Geschichten. Sie ist Lehrerin an einer Förderschule in Pasing und hat ihr Referendariat an der Eugen-Papst-Schule in Germering gemacht. "Das Referendariat haben wir in Österreich nicht", sagt die gebürtige Wienerin, die nun in Germering lebt. In Wien spielen auch ihre Geschichten, vor allem historische, die sie bislang "aber nur für mich" und nur im Zweifingersystem aufschreibt. Eine neue Geschichte könnte ja im Wien des 19. Jahrhunderts spielen, zur Kaiserzeit. Im Schloss Schönbrunn könnte eine Katze Sisis Füße umschmeicheln, um endlich Ölsardinen zu bekommen.

© SZ vom 20.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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