Zankenhausen:Geschichtsunterricht

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Württembergische Freikorpssoldaten marschieren in Bruck ein. Am 30. April 1919 haben die Truppen morgens begonnen, den Markt unter Beschuss zu nehmen, obwohl sich kein Widerstand regte und sich die Anhänger der Räterepublik längst zurückgezogen hatten. (Foto: Stadtarchiv Fürstenfeldbruck)

Das Hörspiel "Rotes Bayern" von Hans Well und Sabeeka Gangjee-Well erinnert mit Dokumenten von Zeitzeugen an die Novemberrevolution und die Gründung des Freistaates Bayern vor 100 Jahren

Von Peter Bierl, Zankenhausen

"Hakenkreuz am Stahlhelm / Schwarz-weiß-rotes Band / die Brigade Erhardt / werden wir genannt." So geht das Lied der berüchtigten Marine-Brigade-Ehrhardt. Das Symbol der Völkischen und die Farben des Kaiserreichs im Text ließen schon damals keinen Zweifel daran, wes Geistes Kinde die Truppe war, die in der Geburtsphase der Weimarer Republik durch die Lande zog, um "Arbeiterschweine" zu massakrieren, wie es weiter heißt. Das grausige Stück findet sich in voller Länge gegen Ende eines Hörspiels, das Hans Well und Sabeeka Gangjee-Well verfasst haben. Unter dem Titel "Rotes Bayern" erinnern sie an die Novemberrevolution 1918, die Räterepubliken und ihre Niederschlagung.

Es ist Aufklärung im besten Sinn, Vermittlung von Basiswissen, über einen entscheidenden historischen Moment. Well und Gangjee-Well zeichnen den Gang der Ereignisse vom gewaltfreien Sturz der Wittelsbacher Monarchie unter der Regie von Kurt Eisner, einem libertären Sozialisten, bis zum Massaker der Regierungstruppen in München mit über tausend Toten anhand von Dokumenten von Zeitgenossen nach. Erinnert wird an das Treiben der völkischen Thule-Gesellschaft, einem Geheimbund, der Verwirrung stiftete, hetzte, spionierte und eine Entführung Eisners plante. Gezeigt wird, wie Konservative und Klerikale die Wahnvorstellung von der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung schürten. Vor dem vermeintlichen galizischen Juden Eisner warnt Eugenio Pacelli seine Vorgesetzten in Rom. Pacelli war damals Nuntius in München, als Papst Pius XII. kooperierte er dann mit Mussolini.

Das Hörspiel besteht aus Dokumenten von Zeitzeugen. Zu Wort kommen Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Viktor Klemperer, Ernst Toller oder der spätere CSU-Vorsitzende Ernst Müller, besser bekannt als Ochsensepp. Diese Zeugnisse werden von hervorragenden Sprechern wie Johanna Bittenbinder, Bernhard Butz und Gert Heidenreich vorgetragen. Dazu spielen und singen die Wellbappn, Hans, Jonas, Sarah und Tabea Well, zeitgenössische Lieder. Zum Auftakt stimmt die Trompete das Trauerlied "Ich hatt' einen Kameraden" an. Das Hörspiel beginnt mit dem Kriegsjahr 1917, als in Bayern Zehntausende verhungerten. Fast jede Familie hatte Söhne oder Väter an den Fronten verloren. Viele hatten den Krieg satt, zu wenige protestierten, in München vor allem Arbeiterinnen.

Gisela Schneeberger verbindet die einzelnen Beiträge in der Rolle einer Museumsführerin, die Besucher durch den Keller des Hauses der bayerischen Geschichte führt, wo die Relikte verstaut sind. Es ist eine feine Anspielung darauf, dass diese Institution sich um das Jubiläum drückt. Die Landesausstellung 2018 im Kloster Ettal ist dem "Mythos Bayern", dem Märchenkönig und seinen Schlössern, gewidmet. Wer des Oberbayerischen nicht mächtig ist, wird eine Übersetzungshilfe brauchen, gelegentlich ist die Darstellung ein bisschen zu humorig. Aber das sind Petitessen. Wichtiger ist, dass diese Geschichte, die nicht nur im Schulunterricht in der Regel übergangen wird, in ihren Grundzügen auf so ansprechende Art vermittelt wird. In einer Zeit, in der die offene Gesellschaft mit den Mächten der Finsternis zu ringen scheint, kann man daraus auch lernen, dass Faschismus nicht das abartige ganz Andere ist, sondern aus der Mitte dieser Gesellschaft wächst.

Well und Gangjee-Well sympathisieren mit Eisner und seinen Mitstreitern, mit den Brüdern Gandorfer vom Bayerischen Bauernbund. Dank ihres Einsatzes wurde die Monarchie abgeschafft, der Acht-Stunden-Arbeitstag sowie das Frauenwahlrecht eingeführt. Die SPD kommt in dem Hörspiel schlecht weg, hat sie doch Krieg und Monarchie bis zuletzt unterstützt und die Freikorps von der Kette gelassen.

Die Brigade Ehrhardt zog eine Blutspur durch das Land und wurde erst 1920 nach dem Kapp-Putsch aufgelöst. Ehemalige Angehörige betätigten sich im Untergrund weiter. So mordete die "Organisation Consul" später die bürgerlichen Politiker Walther Rathenau und Matthias Erzberger. Das Scheitern der Novemberrevolution rettete die alten Mächte, die Krautjunker und Militaristen, die Schlotbarone und Imperialisten. Sie wurden nicht für den Weltkrieg zur Rechenschaft gezogen. Nicht wenige Freikorps-Kämpfer gingen zur NSDAP, zu SA und SS, und waren in der Wehrmacht am zweiten deutschen Griff zur Weltmacht beteiligt.

Rotes Bayern - Es lebe der Freistaat. Die Münchner Revolution 1918 und die Räterepubliken 1919. Hörspiel von Hans Well und Sabeeka Gangjee-Well. Mit Musik und Liedern von den Wellbappn. Der Hörverlag, 2018, zwei CDs, 139 Min., 18 Euro.

© SZ vom 29.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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