Wegen zu lauter Musik:Prügelei im Asylheim

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33-jähriger Nigerianer wegen versuchten Totschlags vor Gericht

Von Ariane Lindenbach, München/Maisach

Die Musik ist wieder einmal zu laut Anfang August in einer Asylunterkunft in Maisach. Vor allem zwei Bewohner - der betrunkene nigerianische Musikfreund und ein junger Mann aus Afghanistan - geraten aneinander. Die Auseinandersetzung wird handgreiflich, andere Bewohner greifen ein. Der Nigerianer attackiert seine Mitbewohner, darunter zwei Kinder, mit Schlägen und Tritten. Für seine Angriffe benützt er ein Besteckmesser, eine Glasflasche und seinen Gürtel.

Seither sitzt der 33-jährige Nigerianer in Untersuchungshaft in Stadelheim. Seit Donnerstag muss er sich wegen versuchten Totschlags, vorsätzlicher und gefährlicher Körperverletzung vor dem Landgericht München II verantworten. Zum Auftakt des auf fünf Tage angesetzten Prozesses schildert er den Verlauf seines bisherigen Lebens. Zum Hergang des Geschehens sagt er nichts. Doch der 25 Jahre alte Afghane berichtet den Vorfall weitgehend so wie in der Anklageschrift wiedergegeben.

"Eines Nachts war die Musik auße rgewöhnlich laut", erinnert sich der Afghane. Es war bereits nach Mitternacht. Er hatte in den Wochen zuvor schon öfter mit dem Angeklagten geredet, weil der regelmäßig nachts laut Musik hörte. Da er selbst als IT-Techniker in einer Firma im Landkreis Starnberg arbeite, müsse er immer früh aufstehen. Das habe er dem Angeklagten auch zu erklären versucht. Nach der Schilderung des 25-jährigen Zeugen hatte der andere auf seine Versuche stets freundlich und verständnisvoll reagiert. "Aber passiert ist nichts", also wandte er sich an die Heimleitung. Kurz darauf kam es in der Nacht zum 8. August 2016 zum Eklat.

Wie der Zeuge berichtet, klopfte er beim Angeklagten. Der reagierte ungehalten auf die Bitte, die Musik abzustellen und schmiss die Tür so schnell zu, dass diese den 25-Jährigen am Arm traf. Der Zeuge klopfte erneut. Der Angeklagte öffnete wieder und schlug dem anderen mit der Faust ins Gesicht. "Dann hat er mich angegriffen, er hat mich am Hals am Kragen gepackt", doch in dem Moment sei ihm ein anderer Bewohner zu Hilfe gekommen, so dass der Nigerianer schließlich in sein Zimmer zurückgegangen sei. "Er kommt mit einem Gürtel wieder heraus", sagt der Zeuge. Diesen setzte der 33-Jährige laut dem Zeugen wie eine Peitsche ein. Der 25-Jährige bekam einen Hieb an der Schulter ab, bevor er in sein Zimmer fliehen konnte.

Nach der Aussage des 25-Jährigen wurde er von dem 33-Jährigen außerdem mit einer Flasche und einem Besteckmesser angegriffen. Mit dem Messer habe dieser seine Schulter getroffen und sein Shirt zerfetzt. Die Flasche konnten ihm andere Bewohner abnehmen, bevor sie den Afghanen ernsthaft verletzte.

Der Anklage zufolge hieb der 33-Jährige mit seinem Gürtel weiter in die versammelte Bewohnerschaft. Dabei traf er eine 15-Jährige und ihren 2005 geborenen Bruder an Arm und Handgelenk; sie erlitten erhebliche Schmerzen und Hämatome. Darüber hinaus schlug der Angeklagte einer Bewohnerin mit der Faust die Nase blutig. Deren Mann begann eine Rangelei mit dem Nigerianer, woraufhin dieser erneut mit der Faust zuschlug. Als der Angegriffene am Boden lag, trat er ihn, so die Anklage, jeweils mindestens einmal an Kopf und Oberkörper.

Über den Angeklagten erfährt man, dass er aus einer gut situierten Familie stammt. Der Vater war Holzhändler und hatte zwei Ehefrauen, mit denen er bis zu seinem Tod 2014 zusammenlebte. "Ich bin der älteste Sohn", betont der Nigerianer. Die Schule, eine Art Gymnasium, habe er ohne Probleme geschafft. Das Land verlassen habe er nach dem Tod des Vaters, da der, so verliest der Richter aus dem Protokoll der psychiatrischen Sachverständigen, "ein einflussreicher Mafia-Boss" gewesen sei. Wie der Angeklagte bestätigt, wollte ihn die Organisation offenbar als Nachfolger, er wollte das aber nicht und floh Anfang 2015 mit seiner Frau über Libyen und Italien. Sein Onkel, der von der Organisation unbehelligt in einem anderen Bundesland Nigerias wohne, habe ihm 1200 Euro für die Überfahrt nach Italien mit einem Schlepper gezahlt. Seit Ende 2015 leben der Angeklagte, seine Frau und der im Januar 2016 geborene Sohn in Deutschland.

Die Befragung des Angeklagten dauert weit mehr als zwei Stunden, da dieser kaum eine Frage direkt beantwortet. Der Vorsitzende Richter Thomas Bott muss viele Fragen mehrmals stellen. Der Prozess dauert an.

© SZ vom 28.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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