Wahlkampf:Wenig Begeisterung für Europa

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Trotz schöner blauer Wand, Europa hat es derzeit nicht leicht. Am Podium (von links): Maria Noichl (SPD), Moderator Christian Deutschländer, Angelika Niebler (CSU) und Klaus Buchner (ÖDP). (Foto: Carmen Voxbrunner)

Bei einer Diskussion in Germering sind sich Angelika Niebler, Maria Noichl und Klaus Buchner uneinig über Handelspolitik und Fluchtursachen. Und auch aus dem Publikum kommt Kritik an der EU

Von Anna Landefeld-Haamann, Germering

Am Ende ist die Euphorie der Zerknirschung gewichen. Es sind harte zwei Stunden gewesen für die drei Europawahlkandidaten Klaus Buchner (ÖDP), Angelika Niebler (CSU) und Maria Noichl (SPD) im vollen Amadeussaal der Germeringer Stadthalle. Zum: "Mitreden über Europa!", hatte das Münchner Verbindungsbüro des Europäischen Parlaments aufgerufen, etwa 200 Bürger folgten dem Aufruf mit überaus hitziger Diskussionsfreude - besonders brisant: die EU-Handelspolitik, Fluchtursachen und Klimawandel.

Die Europawahl hat traditionell keinen leichten Stand in den 28 EU-Mitgliedsstaaten. Gaben bei der ersten Europawahl 1979 noch knapp 62 Prozent ihre Stimme ab, waren es bei der bislang letzten 2014 nur noch 43, in Deutschland immerhin noch 48 Prozent. Die Arbeit des Parlaments sei intransparent, widersprüchlich und für den "normalen Menschen" nicht nachvollziehbar, lautete mehrmals der Vorwurf an die drei Kandidaten auf dem europablauen Podium.

Da half es auch wenig, dass Noichl, Fraktionsmitglied der Sozialdemokraten im EU-Parlament, in einem flammenden Appell an das "Lebensgefühl Europa" erinnerte, an den "Sehnsuchtsort", an dem Frieden, Freiheit und Wohlstand seit mehreren Jahrzehnten herrschten. Verhaltener Applaus. Ob man sich da nicht "in die eigene Tasche lüge", wendete ein Besucher ein. Ob der Wohlstand Europas sich nicht auf der Ausbeutung anderer Staaten gründe?, fragten gleich mehrere Besucher.

Das sei nicht richtig, erwiderte Niebler, Mitglied des Ausschusses Industrie, Forschung und Energie. Europa werde nicht als Ausbeuter wahrgenommen. Im Gegenteil: Afrikanische Staaten beispielsweise seien froh darüber, dass man ihnen beim Aufbau von Firmen, Arbeitsplätzen und Infrastrukturen unter die Arme greift. Ohnehin sei Europa, als rohstoffarmer Kontinent, darauf angewiesen, neue Absatzmärkte zu schaffen, Deutschland und Bayern besonders. Im Gegenzug öffne auch Europa seine Märkte für afrikanische Produkte. Das erhöhe den afrikanischen Lebensstandard, beseitige Armut und somit eine der Fluchtursachen.

Das sei schönes Wunschdenken, widersprach Noichl heftig. Noichl war Wahlbeobachterin im westafrikanischen Burkina Faso. Sie sei entsetzt gewesen, als sie bayerische Milch in den Geschäften sah. Die heimischen Milchbauern könnten mit den Billigpreisen für die bayerische Milch nicht mithalten. "Es gibt keine Gleichberechtigung im Handel zwischen der EU und Afrika." Die afrikanischen Länder würden gezwungen, ihre Märkte zu öffnen, sonst würden ihnen die Aufbaukredite von der Weltbank gekündigt. "Es gibt kein Recht, auf Kosten der anderen zu leben."

Ein Desaster sei das, sagte auch Buchner, der Exot in der Runde. Im Europaparlament ist er der einzige Vertreter der ÖDP. Es gebe Prognosen, dass die Bevölkerung in Afrika in den nächsten zehn Jahren von einer auf zwei Milliarden Menschen wachsen wird. Ackerflächen verdorrten durch den Klimawandel: "Die Lage ist dramatischer, als wir wissen." Damit falle die Lebensgrundlage weg und die Bevölkerung verlasse ihre Länder. Und zwei Milliarden Menschen könne man nicht mehr von den europäischen Grenzen fernhalten.

Das Parlament sei gespalten, sagte Maria Noichl. Es gebe keine Einigkeit zwischen konservativ-liberalen und den rot-grünen Abgeordneten in den drängenden Fragen der Handels- und Klimapolitik, die Hauptursachen für vergangene und zukünftige Fluchtbewegungen. Man muss "mit einer Stimme sprechen", einem Wunsch, dem auch Niebler und Buchner zustimmten. Buchner ergänzte: Der EU-Apparat müsse dringend reformiert werden, seine Behördenorganisation, selbst für Parlamentarier nicht zugängliche Verhandlungen, wie beispielsweise beim Freihandelsabkommen TTIP, oder der "blütentreibende Lobbyismus".

Wie?, fragte ein Bürger. Darauf folgten keine konkreten Antworten. Ernüchterung bei den Bürgern. Zynisch seien die Debatten über Fluchtursachen, Handelspolitik und Klima, wenn auf dem Mittelmeer Menschen ertrinken, über Bankenkrisen und Rettungsschirme, wenn die Reichen in den Ländern nur noch reicher werden, warf ein Besucher ein. Ernüchterung auch auf dem Podium, die Niebler so zusammenfasste: "Die Verdrossenheit gegen das Parlament ist spürbar."

© SZ vom 25.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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