Vortrag in Germering:Protz und Getreidebrei

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Anhand von Geschirr-Funden kann Pechtl viel erzählen. (Foto: Günther Reger)

Der Archäologe Joachim Pechtl spricht über steinzeitliche Siedler

Von Jakob Mandel, Germering

"Geschirr verändert sich: Wenn ich heute das Blumengeschirr meiner Großmutter sehe, da lache ich mich schäppisch", sagt Joachim Pechtl. Geschirr ist seine Arbeitsgrundlage, denn anhand solcher Funde kann der Archäologe die Ausbreitung der Linienbandkeramischen Kultur nachvollziehen. Spezifische Verzierungen - die namensgebenden Linienbänder - machen das Geschirr dieser jungsteinzeitlichen Kultur aus. "Das waren nur sehr schwach gebrannte, irdene Gefäße, kein Vergleich zur heutigen Keramik", sagt Pechtl. Aber wenn die Keramik schnell genug sedimentiert und nicht zu feucht werde, erhalte sie sich im Boden und könne gefunden werden.

Durch die Funde des Geschirrs ergebe sich eine eindeutige Kartografierung der Linienbandkeramiker. Auf fruchtbaren Löss-Böden in Südbayern sammelten sie sich, aber ihr Getreide, das wie die Menschen selbst, aus dem Nahen Osten stammte, vertrug zu viel Feuchtigkeit nicht. Die Grenze liege etwa bei 900 Milimeter Niederschlag pro Jahr, so Pechtl, weshalb die Kultur nicht bis an die Alpen reichte. Die Ausdehnung sei trotzdem bemerkenswert gewesen: Von Ungarn bis nach Frankreich hätten Funde Linienbandkeramik nachgewiesen. Für Bayern käme man nach Pechtls Rechnung ausgehend von der durch Funde nahegelegten Zahl von etwa 3000 Haushalten auf etwa 25 000 Menschen. "Das mag heute nicht viel erscheinen, aber noch wenige Generationen vor den Linienbandkeramikern waren es noch 700 Leute in Bayern", sagt Pechtl. Die Bevölkerung habe sich als verzwanzigfacht.

Die Dörfer hätten aus großen Häusern von ungefähr 20 bis 40 Metern Länge bestanden. Vieles in dieser Kultur sei auf Protz ausgelegt gewesen: Die Häuser bestanden aus unnötig vielen Pfeilern und auch Gräben sowie Palisadenwälle seien nicht funktionell, sondern nur repräsentativ gewesen. "Das kann man sich wie den Maibaum vorstellen: Das ganze Dorf arbeitet zwei Wochen lang intensiv zusammen, um dem Nachbardorf zu zeigen, wie gut es ist. Nachdem dann alles gebaut war, war es dann wieder egal", vergleicht Pechtl. Kontakt zu den Nachbardörfern habe regelmäßig bestanden, generell sei die Linienbandkeramische Kultur sehr mobil gewesen. Spezifische Gesteine, die man für die Herstellung bestimmter Geräte brauchte, seien aus Böhmen importiert worden. Auch mit noch parallel bestehenden Gemeinschaften aus Jägern und Sammlern habe es Austausch gegeben, doch Pechtl zufolge habe man auf diese herabgesehen ob ihrer niedrigen Entwicklung.

Die Ernährung der Linienbandkeramiker habe fast ausschließlich aus Getreidebrei bestanden, nur die älteren und wichtigeren Personen hätten zu seltenen Gelegenheiten Fleisch gegessen. Die Jäger und Sammler seien besser ernährt gewesen, dadurch größer und stärker geworden. Die Linienbandkeramik habe zwar eine große Bevölkerung ernähren könnten, das aber nur mit Getreide, sodass die Ernährung und das Leben des Einzelnen wohl schlechter als das der Jäger und Sammler gewesen sei. Kulturell und politisch seien die Bauern höher entwickelt gewesen, doch auch sie seien nicht unbedingt friedlich gewesen: Ausgrabungen hätten grausame Morde und Hinrichtungen belegt. Dennoch will Pechtl die Steinzeitmenschen nicht mit den üblichen Vorurteilen beschreiben: "Sie haben Technologie, Politik und Kultur gehabt. Man kann also nicht sagen, dass das die unterste Entwicklungsstufe der Menschheit war."

© SZ vom 30.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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