Vorträge:Ein Großraum sucht seine Zukunft

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Wie viel Wachstum kann die Region München vertragen? Und welche Auswirkungen zeitigt die Digitalisierung? Die Metropolkonferenz in Fürstenfeld sucht nach Antworten

Von Heike A. Batzer, Fürstenfeldbruck

Wachstum und Digitalisierung: Zwei Schlagworte, die auf viele Menschen wie eine Drohung wirken. München und sein Umland wachsen weiter und stellen die einzelnen Städte und Gemeinden vor die Frage, wie viel davon eigentlich zuträglich ist für ein Gemeinwesen. Als wäre das als Anforderungsprofil nicht schon genug, müssen alle Bereiche der Gesellschaft gleichzeitig auch noch mit den Auswirkungen der Digitalisierung fertig werden, die sämtliche Lebensbereiche erfasst. Ein Themenfeld, auf dem die Metropolkonferenz, für die in diesem Jahr der Landkreis Fürstenfeldbruck Gastgeber war, nach Antworten suchte.

270 Vertreter der zum Verein Europäische Metropolregion München zählenden Kommunen, von Verbänden, Hochschulen und Unternehmen fanden sich zu der Tagung im Kurfürstensaal von Kloster Fürstenfeld ein, der die Besucher nicht nur durch sein barockes Ambiente und den Blick auf den Turm der Klosterkirche fasziniert, sondern auch, weil es die Baumeister schon vor Jahrhunderten verstanden, hinter dicken Mauern in der Kühle zu sitzen, wie Christoph Göbel, Landrat des Landkreises München, einleitend bemerkt. An einem heißen Tag wie diesem genießen die Tagungsteilnehmer den angenehm temperierten, ehrwürdigen Raum, nachdem sie vormittags die Gelegenheit hatten, den Gastgeberlandkreis kennen zu lernen: bei einer Führung durch die Klosterkirche, einer Besichtigung von Coca Cola und einem BMW-Fahrertraining auf dem Fliegerhorstgelände.

Nachdenken über die Zukunft in historischem Ambiente: die Teilnehmer der Metropolkonferenz im Kurfürstensaal von Kloster Fürstenfeld. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Das Wachstum in München und seinem Umland beschäftigt am selben Tag auch die Münchner Stadträte, weshalb Dieter Reiter, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt und Vorsitzender des die Tagung in Fürstenfeldbruck veranstaltenden Vereins Europäische Metropolregion München, entschuldigt fehlt. Die Region um München sei "in der glücklichen Situation, seit Jahren zu wachsen", sagt Ilse Helbrecht, Direktorin des Geografischen Instituts der Humboldt Universität Berlin. Die Professorin kennt die Stadt - sie lehrte zehn Jahre lang an der TU München - und merkt an, dass es schwieriger sei, den Mangel verteilen zu müssen, wie das in schrumpfenden Regionen der Fall sei, als Wachstum zu gestalten. Doch obwohl es historische Erfahrung im Umgang mit regionaler Kooperation gebe, obwohl genug Fachwissen und Organisationsmodelle vorhanden seien, komme die Region München dabei nicht voran. Das liegt der Wissenschaftlerin zufolge daran, dass sich erst ein "Wir-Gefühl des Gemeinsamen" entwickeln müsse. Dazu zeigt sie auf die Karte, die die gesamte Metropolregion abbildet: "Diese Region müssen wir in den Köpfen und Herzen erst werden."

Ob die räumliche Entwicklungsstrategie (RES), die der Landkreis Fürstenfeldbruck dazu im Rahmen einer Struktur- und Potenzialanalyse für sich entwickelt hat und die der Emmeringer Bürgermeister Michael Schanderl als Kreisvorsitzender des Bayerischen Gemeindetags den Gästen vorstellt, ein Ansatz sein kann für dieses großräumige Denken? Schanderl nennt sie "ein wertvolles Zukunftsstück". Sie soll ein Instrument kommunaler Vernetzung sein und dazu beitragen, die Interessen der Kommunen schon in einem frühen Entwicklungsstadium mit Nachbarn oder Landkreis abzustimmen.

Eine sehr gemäßigte Form der Wohnraumverdichtung ist in der Rückansicht in der Fürstenfeldbrucker Innenstadt zu sehen. (Foto: Johannes Simon)

Doch wie viel Entwicklung und Wachstum ist in Zukunft überhaupt sinnvoll? Keine Gebietskörperschaft könne unendlich wachsen, sagt Fürstenfeldbrucks Landrat Thomas Karmasin. Deshalb sei ein Ergebnis der Entwicklungsstrategie auch der Wunsch nach "organischem Wachstum". Solches also, das aus eigener Kraft erfolgt. Die Wahrnehmung als Metropolregion trage dazu bei, dass sich der Umgang zwischen Landeshauptstadt und Umland verändert habe. Landkreise wie Fürstenfeldbruck würden nun nicht nur "als Freizeitziel einerseits und Schlafstätte der Münchner Arbeitskräfte andererseits" wahrgenommen. Probleme, etwa auf dem Wohnungsmarkt, aber sind damit auch im Umland angekommen. Von einem "ausgesprochen angespannten Wohnungsmarkt" im Kreis Fürstenfeldbruck spricht Karmasin, das Wort Wohnungsnot will er dafür aber bewusst nicht verwenden. "Es ist nicht Aufgabe der öffentlichen Hand", sagt Karmasin, "dass jeder Bundesbürger im Raum München wohnen kann". Und: "Wir müssen diesen Wünschen nicht bedingungslos nachgeben."

Wissenschaftlerin Helbrecht indes ist der Ansicht, man müsse die Kommunen- und Landkreisgrenzen wegdenken und in einem Großraum "Lasten und Chancen so verteilen, dass wir alle damit leben können". Wachstum gestalten bedeute, "nicht nur Sahnehäubchen zu verteilen", denn irgendwo müssten "Mülldeponien oder Straßen mit Abgas und Dreck" schließlich hin. "Es können nicht alle gleich profitieren." Nützlichkeitsdenken indes verhindere bislang die Zusammenarbeit.

Es sind Zeiten des Umbruchs, und welche Herausforderung gleichzeitig die fortschreitende Digitalisierung mit sich bringt, erläutert Andreas Brill, Geschäftsführer des Unternehmens Business4brands aus Duisburg, das sich als "Vordenker und Umsetzer in Sachen Digitalisierung" sieht und Unternehmen in diesem Prozess unterstützt. In einem 45-minütigen Hochgeschwindigkeitsvortrag versucht Brill aufzuzeigen, wie durch die exponentielle Dynamik der Digitalisierung "technologisch immer schneller immer mehr möglich wird". Am Beispiel der Musikindustrie zeigt er auf, wie radikal diese Veränderung vor sich geht: Viele im Saal erinnern sich noch an den Plattenladen "World of Music (Wom)" in München, der in der Lage war, jede LP zu besorgen. Dann wurde die Ware auf einen Klick über Amazon verfügbar, "eine um ein Vielfaches bessere Lösung", wie Brill sagt. Danach kommt Apple mit I-Tunes und der Möglichkeit, jeden einzelnen Titel herunterzuladen. Und dann der Streamingdienst Spotify, der den Zugang zu jedem Titel jederzeit und überall möglich macht. Diese digitalen Plattformen lassen als Geschäftsmodelle neue Infrastrukturen entstehen, die nicht nur Druck auf bisherige Märkte wie den Einzelhandel machten, sondern auch in direkter Konkurrenz zu öffentlichen Institutionen wie Städten und Gemeinden stünden.

Spätestens jetzt spitzen die Zuhörer im Saal die Ohren, denn alle Beteiligten müssten dabei lernen, sagt Brill, nicht das bestehende Geschäftsmodell in die Zukunft retten zu wollen. Stattdessen müssten sie sich die Frage stellen, "wie sich das, was man für den Kunden leistet, in der Zukunft der neuen Möglichkeiten auf eine neue Ebene heben lässt". Auch Städte und Gemeinden sollten Brill zufolge nicht Zeit und Ressourcen in die Verteidigung aktueller Strukturen investieren: "Bekämpfen Sie nicht die Digitalisierung!". Stattdessen müssten auch "die bösen Fragen" gestellt werden: Welche Funktionen der Stadt könnten etwa durch neue Lösungen überflüssig werden? So würden Universitäten, "so wie wir sie heute haben, irrelevant werden", prophezeit Brill. Die Städte müssten sich auf die veränderten Bedingungen und Bedürfnisse ausrichten.

Doch ziehen da alle mit? Der größte Standortnachteil sei, dass "wir mit Skepsis darauf gucken", sagt Brill. Das zeigt sich umgehend, als er behauptet, dass "wir in Zukunft Sensoren in unserem Körper haben werden, die mit dem Internet verbunden sind". Aus dem Publikum ist ein erschrockenes "Nein!" zu hören. Angesichts zu erwartender positiver Folgen für die Gesundheit bleibt Brill aber überzeugt: "Und Sie werden es wollen!"

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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