Vor dem EM-Halbfinale:Deutsch-französische Begegnungen

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Ein Streifzug durch den Landkreis kurz vor dem Anpfiff des Halbfinalspiels bei der Fußball-Europameisterschaft in Marseille zeigt, dass es viele Berührungspunkte mit den westlichen Nachbarn gibt. Wir treffen auf pure Lebensfreude, Stolz und auch den sprichwörtlichen guten Geschmack

Die Fußball-Mannschaften von Deutschland und Frankreich spielen heute Abend in Marseille gegeneinander. Es ist ein wichtiges Spiel: Der Sieger zieht ins EM-Finale ein. Begegnungen zwischen Deutschen und Franzosen finden aber nicht nur auf dem Fußballfeld statt, sondern sind im Landkreis alltäglich. Es gibt binationale Paare und Leidenschaft für Autos oder Wein aus dem Nachbarland.

Faible für die Unterschiede

Francine und Hans Martens kennen sich seit 1972. Die in Marseille geborene Französin lernte ihren späteren Mann in einer Kneipe in Hamburg kennen. Sie arbeitete damals nach ihrem Germanistik-Studium beim Spiegel als Übersetzerin, er war bei der Bundeswehr. Seit 1978 leben die ehemalige Chefredakteurin der Zeitschrift Écoute und der Arzt in Fürstenfeldbruck, sie haben zwei Kinder und vier Enkel. Dem Halbfinale Frankreich gegen Deutschland fiebern sie entgegen. Hans ist für die Elf von Jogi Löw, Francine für Les Bleus. "Aber es ist noch immer gut gegangen", lacht Francine. Die 66-Jährige ist nicht verbissen patriotisch, beim Viertelfinale, als die Franzosen gegen die Isländer antreten mussten, "war ich unbedingt für Island". Nun würde sie ihren Landsleuten den Sieg gönnen, da die Stimmung im Land wegen der Attentate und der hohen Arbeitslosigkeit am Boden ist.

Wie Francine Martens erklärt, sind ihr im Lauf ihres Lebens in Deutschland viele Unterschiede zwischen Franzosen und Deutschen aufgefallen. "In Frankreich sagt man praktisch nichts ohne ironisch zu sein, in Deutschland muss man immer dazu sagen, dass das jetzt Ironie war." Während sie diesen Wesenszug sehr schätzt, könnte ihr Mann darauf verzichten. "Die Deutschen sind offener, gastfreundlicher als die Franzosen", ist ein weiterer Unterschied. Dafür sei man in Frankreich wesentlich höflicher; in der Schule gibt es dafür eigene Unterrichtsstunden. Was die Kulinarik betrifft, ergänzen sich beide übrigens perfekt: Hans geht gern französisch essen - vor allem wegen der Meeresfrüchte, Francine ist von der bayerischen Küche "ganz angetan". alin

Ganz kleine Gruppe

"Little Frankreich" im Landkreis? Keineswegs. Mit einem Anteil von 0,014 Prozent an der Gesamtzahl der Bewohner mit einem ausländischen Pass im Landkreis bilden Franzosen eine ganz kleine Gruppe. Laut Landesamt für Statistik (Stand 31. Dezember 2014) sind nur 377 von gut 26 000 Ausländern Franzosen. Vergleichsweise große Gruppen bilden die Rumänen mit 1728, die Polen mit 1743 und die Italiener mit 1918 Einwohnern. Die größte Gruppe bilden die Türken mit fast 3000 Landkreiseinwohnern. mord

Treue Ente

Wenn man die Türe schließt, scheppert es blechern. Wenn man den Motor startet, tuckert der Zweizylinder-Boxermotor los. Wenn man aufs Gaspedal drückt, passiert fast nichts. Außer bei Rene Merlin aus Eichenau. Dem hüpft das Herz, wenn er seine Ente ausfährt. Seine Ente, das ist ein Citroën-2CV-Kastenwagen. Die Eckdaten: Baujahr 1973, 28 PS, von 0 auf 100 gar nicht, von 0 auf 90 oder 95 gegenwindabhängig eine halbe Ewigkeit. Vor allem aber: französisches Flair statt Hochleistung auf jedem Meter. Die fünfstellige Tachoanziege zeigt "07000 km" - die Ente hat also vielleicht 207 000, vielleicht aber auch 507 000 Kilometer auf dem Buckel. Tout de même - egal! Der 64-jährige Eichenauer liefert regelmäßig Vorhänge oder Jalousien im Landkreis oder in München aus, die Ente mit dem Rucksack ist also ein Arbeitstier. Nur im Winter, wenn die Straßen gesalzen sind, bleibt sie in der Garage. Denn "Salz tötet Enten", oder genauer: der Rost lässt sie zerbröseln. Die Liebe von Rene Merlin zu seiner Ente rostet aber ganz sicher nicht. Das Haustier mit dem Blechkleid brachte ihn und seine Frau Renate schon nach Spanien - über die kurvenreiche Landstraßen Frankreichs. Da schnurrte die Ente nur so, und die Merlins kauften Baguette und hörten Chansons. Mit so einem klassischen Citroën unterwegs zu sein, das sei pure Lebensqualität, sagt Merlin. Entschleunigt sein, Zeit haben, den Weg zum Ziel machen, savoir vivre. Die gute Laune ist ansteckend, Passanten und anderen Autofahrern zaubert der Anblick der Ente fast immer ein Lächeln ins Gesicht und sie gewähren Vorfahrt, wo Merlin Vorfahrt achten müsste.

Wie sieht es bei der Konkurrenz aus? Werden die Renaults ihrem einstigen Ruf gerecht, zwar mit vielen technischen Spielereien, aber nicht mit großer Standfestigkeit aufwarten zu können? "Nein, nein", sagt Andreas Schäfer, Chef des Brucker Renault-Händlers Bauer & Schäfer. Das mit der Innovationskraft sei schon richtig, aber die Autos seien zuverlässig wie BMW, Audi und Co. Selbst ist Schäfer am liebsten mit dem hochbeinigen SUV Renault Captur unterwegs. Ein echter französischer Klassiker ist natürlich die flache Sportwagenflunder Renault Alpine, die aber längst nicht mehr gebaut wird. Oder der gemächlichere R4 - "ein super Auto", das nicht nur wegen der Revolverschaltung Kultstatus genießt. Viele seiner Stammkunden sind der Marke Renault treu geblieben. "Einer hat in den Sechzigerjahren mit einer Dauphine angefangen und fährt heute einen Scenic. Für den 53-jährigen Kfz-Meister, der seit 1989 in Bruck ansässig ist, hat die Markenwahl weniger mit einem Faible für französische Lebensart zu tun, sondern ist ein Gebot der Vernunft. Die Palette reiche vom Twingo bis zu Nutzfahrzeugen. Schon deshalb sei Citroën keine Alternative für ihn. slg

Wein ist nicht nur Bordeaux

Bei französischen Weinen denkt man oft an teure Rebensäfte, so die Einschätzung von Peter Braun, der den gleichnamigen Weinkeller in Fürstenfeldbruck betreibt. Doch ein genussvoller Tropfen muss nicht unbedingt aus dem omnipräsenten Weinanbaugebiet Bordeaux kommen. Der Bergerac ist im Volksmund oft nur der kleinere Bruder aus der südwestfranzösischen Region, geschmacklich bietet er aber einen hohen Sauvignon-Anteil und erweist sich als sehr fruchtig. Auch der vergleichsweise günstige Preis, ist für Braun ein Indikator für die guten Absatzzahlen. Gleichwohl weiß der Weinliebhaber um die regionale Brisanz seines Angebots. München wird nicht umsonst als nördlichste Stadt Italiens bezeichnet, die Vorliebe für die Weine aus dem südlichen Land zieht sich durch die ganze Region. Viele seiner Winzer kennt der Weinhändler persönlich, regelmäßige private Urlaubsreisen oder Kundenausflüge, gehören für ihn zur jährlichen Kontaktaufnahme. Wenn Braun zu einer längeren Ausfahrt gen Westen aufbricht, fährt er mit seinem Citroën. niju

Enge Verbindungen

Städtepartnerschaften sind ein sichtbarer Ausdruck der Aussöhnung von Franzosen und Deutschen nach zwei Weltkriegen. Gegenseitige Besuche und gemeinsames Feiern fördern das Verständnis für den jeweils anderen. Zu diesem gegenseitigen Verständnis tragen im Landkreis mehrere Gemeinden und Freundeskreise bei. Die älteste Verbindung besteht zwischen Olching und Feurs, ein Ort in der Nähe von Saint-Étienne. Die Partnerschaft wurde bereits im Jahr 1963 geschlossen, nur wenige Monate nachdem Konrad Adenauer und Charles de Gaulle den Élysée-Vertrag unterschrieben hatten. Enge Verbindungen zu französischen Orten haben auch die Gemeinden Eichenau (Les Pavillons-sous-Bois), Fürstenfeldbruck (Livry-Gargan), Gröbenzell (Garches), Mammendorf (Brem-sur-Mer) und Germering (Domont). Der Deutsch-Französische Verein Germering hat erst kürzlich sein 35-jähriges Bestehen gefeiert. Ihn gibt es länger als die Städtepartnerschaft, die zunächst abgelehnt wurde.. Maximilian Kusma, Zweiter Vorsitzender des Vereins, gehört seit dem Gründungsjahr 1981 dem Deutsch-Französischen Verein an. Am Nachbarland haben es ihm die Lebensart der Einwohner und die Landschaften angetan, die vom Hochgebirge bis zu den Küsten von Mittelmeer und Atlantik reichen: "ein wunderschönes Land". In all den Jahren hat er viele Reisen nach Domont unternommen, das in der Nähe von Paris liegt, und viele Bekanntschaften geschlossen. Bei allem Interesse für Frankreich und die Franzosen sei er aber nicht auf das Nachbarland fixiert, sagt der 79 Jahre alte Kusma. Er fühle sich vor allem als Europäer. Seinen Worten nach engagieren sich viele Mitglieder des Partnerschaftsvereins auch für die deutsch-italienische Freundschaft und haben bis zur Auflösung dem Deutsch-Ungarischen Verein angehört. ano

Interesse an Sprache

"Französisch ist wieder im Kommen", findet Claudia Frodien, Geschäftsführerin der Volkshochschule in Puchheim. Seit etwa drei Jahren steige die Nachfrage an ihren Französischkursen. "Es sind vermehrt Teilnehmer ohne Vorkenntnisse, die die Sprache lernen wollen. Es gibt jedoch auch einige Quereinsteiger. Die kommen, um ihre Kenntnisse wieder aufzufrischen." Frodien macht dafür die zunehmende politische Präsenz Frankreichs in den Medien verantwortlich, ebenso wie die Eurokrise. "Die Freundschaft ist wichtiger geworden." Viele begeistere auch das Land selbst. Sie ist ebenfalls sehr davon angetan. Vor allem von der Nationalhymne. "Es ist eine schmissige Musik mit einem Text, der ans Herz geht." Sie liebt die französische Sprache und sieht sie als wichtigen Bestandteil in ihrem Programm.

In der Volkshochschule Fürstenfeldbruck sind die Französischkurse ebenfalls fest etabliert. Die Sprache sei so beliebt wie Englisch oder Spanisch, erklärt Leiterin Silvia Reinschmiedt. "Manche Kursteilnehmer sind bereits seit dreißig Jahren dabei." Drei Dozenten betreuen insgesamt sieben Kurse, sowohl Stunden für Anfänger, als auch Konversationsrunden für die Fortgeschrittenen. "Viele beginnen bei uns und bleiben bis zum Schluss ". Die meisten wollen Französisch für den Urlaub lernen, Interesse an Sprache und Kultur ließen sie jedoch dabeibleiben. katk

Süße Delikatesse

Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen. Das trifft umso mehr auf französische Delikatessen wie die Praline zu. Süß, zart, schmelzend und nur einen Bissen groß - die Franzosen verstehen die hohe Kunst der Schokoladenverarbeitung. Würde es heute Abend um Schokolade und nicht um Fußball gehen, hätten die Deutschen wohl schon verloren. Die Chocolatierkunst hat eine lange Tradition im Nachbarland. Ob mit Nougat, Marzipan oder Likör - die Praline kennt alle Farben und Geschmacksrichtungen. Nur klein muss sie eben sein und mindestens aus 25 Prozent Schokolade bestehen. Auch in Deutschland lecken sich die Menschen die Finger nach der Schokospezialität. "Die Nachfrage ist sehr groß", sagt Maximilian Freundorfer vom Feinkostladen Destille in Fürstenfeldbruck. Seit vielen Jahren verkauft er neben Spirituosen auch Kaffee- und Karamellpralinen sowie die beliebten Schokoladen-Trüffel, die er direkt aus Frankreich bezieht.

Ganz so eindeutig ist die Herkunft der Praline jedoch nicht. Franzosen, Belgier und Deutsche behaupten, ihr Erfinder zu sein. Glaubt man den Deutschen, dann ist sie in Regensburg als Zufallsprodukt eines französischen Kochs entstanden, der im Dienst eines Deutschen arbeitete. Die Praline als Ergebnis deutsch-französischer Kooperation? Eine schöne Geschichte. lvh

Häufiges Schulfach

Französische Sprache und Kultur werden im Landkreis bereits früh vermittelt. Sei es als frühbeginnende Fremdsprache in der Unterstufe oder spätbeginnendes Fach in der Mittelstufe - Französisch ist an beinahe jeder Schule im Landkreis ein ähnlich fester Bestandteil im Lehrangebot wie Englisch oder Biologie. Ebenso etabliert sind die zahlreichen Austauschprogramme mit einer oder mehreren französischen Schulen. Den Austausch am Gymnasium Olching kann man bereits als Tradition bezeichnen. Seit 30 Jahren fahren Schüler der achten und neunten Klassen im Frühjahr nach Feurs. "Die Schüler sind jedes Mal überrascht über die doch großen kulturellen Unterschiede", berichtet Anette Grötsch, Fachbetreuerin für Französisch. "Man denkt das eigentlich nicht, schließlich ist Frankreich gar nicht so weit weg." Dadurch, dass die Schüler in Familien untergebracht sind, werden sie mit der Kultur jedoch rasch vertraut. An die Gewohnheit der Franzosen, kaum zu frühstücken und dafür am Abend drei Gänge zu servieren, müssen sich die meisten jedoch erst mal gewöhnen. Ebenso, wie die Franzosen bei ihrem Besuch in Deutschland über die große Sauberkeit wundern. Grötsch selbst genießt die Fahrten nach Frankreich sehr. Zu ihrer Kollegin, bei der sie dort immer wohnt, hat sie bereits Freundschaft geschlossen.

An der Friedrich-Miller-Realschule in Fürstenfeldbruck ist der Austausch mit der Partnerstadt ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der Schule. "Manchmal fahren Schüler sogar ein zweites oder drittes Mal mit", erklärt Katharina Drexler, Lehrerin für Französisch. Aus diesem Grund versucht sie, das Programm jedes Jahr individuell zu gestalten. "Wir machen Ausflüge nach Lyon und an die Schule, wir waren aber auch schon bei einem Siruphersteller." Drexler hat ebenfalls eine persönliche Bindung zu Frankreich, die in ihrem Auslandsjahr in der elften Klasse erwachte. "Ich bin auch privat oft dort." katk

© SZ vom 07.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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