"Vom Malz zur Mass":Mythen rund ums Reinheitsgebot

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Michael Gretzschel klärt auf

2015 hat Moritz Gretzschel in einem ausführlichen und fundierten Artikel im Braumagazin die heilige Kuh Reinheitsgebot geschlachtet. An dem angeblich ältesten Lebensmittelgesetz der Welt ärgert ihn, wie es von der Brauindustrie genutzt werde. Denn man könne ohne Reinheitsgebot sehr gutes Bier brauen, und schlechtes, wenn man sich an die Vorschrift halte, erklärt er. Ihn ärgere die "Borniertheit" vieler deutscher Biertrinker, die eben das nicht glauben wollten. In dem Artikel räumt Gretzschel mit einigen Mythen auf, die sich um den Erlass von 1516 ranken.

Dass die Hefe nicht eigens erwähnt wurde, liege nicht daran, dass sie nicht bekannt war. Das sei nachweislich falsch, schreibt Gretzschel und führt als Beweis den urkundlich belegten Münchner Bäcker- und Brauerstreit von 1481 an, in dem Herzog Albrecht IV schlichtend klärte, ob die Bäcker den Brauern die Überschusshefe abkaufen mussten. Die Hefe sei nicht erwähnt worden, weil man sie nicht als Zutat, sondern als Neben- oder Abfallprodukt ansah, das man nicht hinzufügen müsse, sondern das unweigerlich entstehe. "Bis weit ins 18. Jahrhundert hinein war der kuriose Irrglaube der 'Urzeugung' wissenschaftlich weit verbreitet", schreibt Gretzschel. Danach sollten sich bestimmte Tiere, vor allem Ungeziefer wie Mäuse oder Maden, nicht geschlechtlich vermehren, sondern aus verrottender Materie von selbst entstehen.

Gretzschel zufolge zeigt sich beim verwendeten Getreide keine Kontinuität zur heutigen Gesetzgebung. Ihm zufolge wäre nach dem Reinheitsgebot von 1516 ein Stout aus Gerstenflocken und Röstgerste zulässig, weil darin nur von Gerste als Ausgangsstoff gesprochen wird, nicht aber von Malz. Nach dem Biersteuergesetz von 1993 wäre es unzulässig, wegen der unvermälzten Gerstenflocken. "Die Beschränkung auf Gerste bedeutet vor allem: Kein Weizen!", erklärt Gretzschel. Denn der eigne sich gleich gut zum Brotbacken wie zum Brauen, während die Gerste kaum zum Backen taugt. Das wertvolle Brotgetreide sollte also der Ernährung vorbehalten werden. Gleichzeitig hätten sich die Wittelsbacher so das lukrative Monopol gesichert, Weißbier zu brauen. Wenn heute ein Weißbier nach dem Reinheitsgebot gebraut werde, sei das schlicht Unsinn.

Beim Hopfen schließlich gebe es deutlich ältere Vorschriften, etwa aus Nürnberg von 1303 oder Bamberg von 1315. In Bayern seien schon 35 Jahre nach dem Reinheitsgebot durch einen herzöglichen Erlass wieder Koriander und Lorbeer, 1616 Salz, Wacholder und Kümmel als Zutaten erlaubt worden.

Erst seit dem 20. Jahrhundert werde überhaupt der Begriff Reinheitsgebot verwendet, so Gretzschel weiter. Die Vorschriften hätten im 19. und 20. Jahrhundert vor allem dem Ausschluss englischer Biere vom Markt. "Insgesamt scheint das Reinheitsgebot eher den Großbrauereien zu nutzen", schreibt er. Es nehme den Kleinbrauereien die Chance, sich von den Großen abzusetzen, etwa, indem sie gewürzte Sonderbiere brauen. Gretzschel plädiert für die Abschaffung des Reinheitsgebots. Man könnte es dann neu aufsetzen als freiwilliges, unabhängiges Qualitätssiegel, das für Bier steht, das nach traditionellen Methoden gebraut wurde. Das müsste aber die Verwendung etwa von Stabilisatoren oder genmanipulierten Grundstoffen ausschließen, die heute auch von Betrieben praktiziert werde, die nach dem Reinheitsgebot brauten.

Der vollständige Artikel ist zu finden unter https://braumagazin.de/article/reinheitsgebot-ist-tot/.

© SZ vom 18.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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