Vielfältige Krippen:In Bethlehems Stall

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Für viele Erwachsene und Kinder gehört eine Krippe zum Weihnachtsfest dazu. Schließlich sind Maria, Josef und das Jesuskind der Kern des Fests. An den Figuren hängen aber auch Erinnerungen und eigene Arbeit. Vier Beispiele zeigen das

Von Florian J. Haamann, Ariane Lindenbach, Andreas Ostermeier und Stefan Salger

Familientradition

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(Foto: Leonhard Simon)

Klassisch und modern: Michael Jaumann besitzt viele Krippen, unter anderem eine neapolitanische aus dem Jahr 1750 ...

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(Foto: Leonhard Simon)

... und eine aus dem Jahr 1950.

Wenn sich einer im Landkreis Fürstenfeldbruck mit Weihnachtskrippen auskennt, dann ist es Michael Jaumann. Nicht nur, weil sein Gröbenzeller Unternehmen Kreutz, das er in dritter Generation leitet, Krippenfiguren verkauft. Nein, die Familie hat auch eine Privatsammlung von etwa 100 Krippen. Angefangen damit hat Jaumanns Großvater Josef, der Firmengründer, als er in den Fünfzigerjahren seine Leidenschaft für neapolitanische Krippenfiguren entdeckte. Regelmäßig sei er nach Italien gefahren, um die Sammlung zu erweitern, am Ende habe er wohl die größte neapolitanische Privatsammlung in Europa gehabt, erzählt Michael Jaumann. Auch der 56-Jährige ist von der besonderen Schönheit der neapolitanischen Figuren angetan. "Diese Spitzenklasse an Details und Feinheit ist für jeden Bildhauer ein Ansporn", sagt er. Von Neapel aus habe sich diese Schule bis über die Alpen nach Bayern, vor allem nach Oberammergau, ausgebreitet. "Wenn man sich beispielsweise die Figuren aus dem Erzgebirge anschaut, da sagen wir Bayern immer, die sehen aus wie Soldaten. Natürlich sind die auch toll verarbeitet, aber sie haben einfach nicht das Leben, das wir hier und die Italiener haben."

Und so hat sich Jaumann in diesem Jahr entschieden eine dieser neapolitanischen Krippen bei sich zu Hause aufzustellen. Denn in jedem Jahr wählt er andere Exemplare als Weihnachtsdekoration aus. Dieses Mal ist es eine Krippe etwa aus dem Jahr 1750 geworden. Und tatsächlich, schaut man sich die alten Figuren an, strahlen sie eine große Lebendigkeit aus. Gefertigt sind die etwa 35 Zentimeter großen Körper aus italienischem Terrakotta, Hände und Füße sind aus Holz geschnitzt.

Die zweite Krippe, die im Hause Jaumann steht, ist ein Entwurf seines Großvaters und eines ehemaligen Bildhauers des Unternehmens, Dieter Strahl. Es ist eine moderne, abstraktere Krippe, wie sie Ende der Fünfzigerjahre in Deutschland in Mode gekommen sind. "Das war die große Zeit der Nierentische und eines neuen, modernen Designs", erzählt Jaumann. Die Gröbenzeller Figuren seien damals weltweit gefragt gewesen, viele seien nach New York verkauft worden. "Das war ja damals, wie heute auch, ein Kunstzentrum. Ich denke, die Figuren sind von dort weiter vertrieben worden." Bis Mitte der Sechziger habe sich dieser Trend gehalten, dann sei es wieder etwas traditioneller geworden. Anfang der Zweitausender habe es noch einmal ein Revival der abstrakten Figuren gegeben. "Allerdings etwas weniger abstrakt und nicht ganz so modern", wie Jaumann erzählt. Das Exemplar in seinem Wohnzimmer habe sein Vater vor zwei Jahren nach den alten Plänen gefertigt - jeweils einen Satz für alle Enkelkinder in der Familie.

Obwohl er in seinem Beruf täglich von Krippenfiguren umgeben ist, ist es für Jaumann wichtig, an Weihnachten auch zuhause dine Krippe aufzustellen. "Einmal hatte ich so viel Stress, dass ich es nicht rechtzeitig geschafft habe, eine Krippe aus dem Keller zu holen. Da bin ich dann an Heiligabend um sechs noch mit dem Laster in die Firma gefahren und habe eine geholt." Weihnachten ohne Krippe könne er sich einfach nicht vorstellen, das gehöre schon zur Familientradition. "Es ist aber kein Zwang für mich, sondern Überzeugung."

Dass es vielen Familien so gehe, könne er an seinem Kundenstamm sehen. Sei das Publikum vor 20 Jahren im Schnitt deutlich über 60 gewesen, seien es heute sicher zu drei Viertel junge Familien, die bei ihm einkaufen. "Viele, die vor 30 Jahren als Kinder mit ihren Eltern gekommen sind, kommen heute mit ihren Familien. Was wir verkaufen, sind nicht nur einfach Figuren, es sind auch Emotionen." Das sei es auch, was ihn in seinem Job antreibe, sagt Jaumann: die große Freude, die er in den Gesichtern der Menschen sieht, egal ob sie eine teure, große Figur kaufen oder einen kleinen Hasen für zehn Euro.

Die rotierende Maria

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(Foto: Carmen Voxbrunner)

Liebe zum Detail: Jürgen und Helga Müller hinter ihrer "Orientkrippe".

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(Foto: Carmen Voxbrunner)

Josef geleitet Maria, die in anderen Umständen ist.

Jürgen Müller, 77, ist überzeugter Bayernfan. Geht es um Rotation und Einwechslungen, dann sind er und seine Frau Helga, 72, auf Augenhöhe mit FCB-Meistertrainer Hansi Flick. Auch sie wechseln ein, rotieren und ergänzen den Kader. Dabei hilft ihnen am Heiligen Abend die vier Jahre alte Enkelin Charlotte. Sie wechselt dann die Figur der schwangeren Maria aus und gleich anschließend eine schlanke Maria sowie an ihrer Seite das Jesuskind ein. So ist das jedes Jahr, die Müllers haben da schon Routine. Für den Aufbau ihrer beeindruckenden Weihnachtskrippe, die neben der Balkontür im Wohnzimmer steht, ist bereits am ersten Advent eine weitere Enkelin zuständig: die 17 Jahre alte Anna-Klara.

Das Kunstwerk schöpft seine Faszination aus dem Umstand, dass sie immer unvollendet ist - so wie die von Antoni Gaudí gestaltete Basilika Sagrada Família in Barcelona. Der Weg ist das Ziel. Es wird kontinuierlich an- und umgebaut. Nur dass Helga und Jürgen Müller dafür kein Gerüst brauchen, sondern eher Lupe und Pinzette. Immer wenn Helga und Jürgen Müller der Herbstausflug nach Südtirol führt, schauen sie in der Schnitzerei Ploner bei Klausen vorbei. Es ist wie ein Ritual, auf das sich beide lange Zeit freuen. Denn die schöne Bescherung ist in diesem Fall gewiss: Am Ende wird eine weitere handgeschnitzte Krippenfigur mit nach Fürstenfeldbruck zurückreisen.

Vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten wurde die weihnachtliche Szenerie das erste Mal in dem Haus an der Stadelberger Straße aufgebaut und ersetzte damit das kleinere Vorgängermodell von Helgas Großeltern. Damals war die Grundplatte noch kleiner, und die Entourage der "Original-Orientkrippe" beschränkte sich auf die eher "klassische" Besetzung. Dann begann die eigentliche Arbeit: Jürgen Müller, der durch seine heute im Keller verwahrte elektrische Eisenbahn über genügend Erfahrung im Modellbau verfügt, griff zu Sprühkleber, Messer und Laubsäge. Und so wurde aus Wurzeln das knorrig-dürre Geäst von Bäumen und aus getrocknetem Moos die Wiese. Sogar das Gatter im Holzlattenzaun verfügt über ein Scharnier und lässt sich öffnen. Es ist eine kleine Wunderwelt mit vielen Details: hier ein kleines Holzwägelchen und ein winziger Vogel, ein Eichhörnchen, eine Eule im Baum, dort der Hirte, der gerade um die Ecke des Hauses biegt und von dort kommt, wo das Plumpsklo liegt. Es menschelt also auch - quasi ein Stück reale Welt. Das mit kleinen Lämpchen beleuchtete Haus mit dem schindelgedeckten, steinbeschwerten Dach nebst Stallung aus Stein und Holzbalkon hat einst ein guter Freund der Müllers gebaut - auch dies ein Unikat. Ein Detail gefällt Helga Müller besonders: Die handgeschnitzte Holzfigur des Josef kniet nicht, wie man das sonst oft sieht, neben der Krippe. Josef steht, mit Stab und Laterne in den Händen, aufrecht neben Maria und den obligatorischen Ochs und Esel. Diese Krippe ist immer für eine Überraschung gut.

"Ohne sie könnten wir es uns gar nicht mehr vorstellen", sagt Helga Müller. Ihre Weihnachtskrippe hat sich zu so etwas wie einer Konstante im Leben der Müllers entwickelt. An einem Umstand freilich lässt sich ablesen, dass dieses Jahr anders ist: Der Herbstausflug nach Südtirol musste ausfallen. Deshalb kann auf dem grünen Moos der himmlischen Miniatur-Szenerie kein zusätzlicher Akteur eingewechselt werden.

Sammelsurium aus Jahrzehnten

Viel Grün hat die Krippe von Marianne Drexler in der Nebeler Kapelle. (Foto: Leonhard Simon)

Vor allem Wanderer und Spaziergänger erfreuen sich an der Krippe in der Kapelle im Germeringer Ortsteil Nebel. Manche, so erzählt Marianne Drexler, kämen zufällig vorbei, andere steuerten seit Jahren die Kapelle bewusst in der Adventszeit an, um die Figuren und den Stall zu betrachten. Zu diesen gehören beispielsweise Leute aus Weilheim, die alljährlich schauen, was Drexler in der Kapelle gleich neben ihrem Wohnhaus aufgebaut hat.

Drexlers Krippe ist eine zum Anschauen und Anfassen. Kinder spielen mit den Figuren, erzählt Drexler, immer wieder verschwinden einige von ihnen und andere kommen hinzu. Freilich, die heilige Familie ist eine Konstante, aber ansonsten ist das Personal, das das Geschehen von Weihnachten darstellt, variabel. Auch Drexler selbst kauft ab und an eine neue Figur dazu. Das Kripperl selbst hat sie auf einem Basar des Sozialdienstes erstanden. Einiges hat sie auch geschenkt bekommen. Die dargestellte Tierwelt beschränkt sich nicht auf den Bericht der Bibel - neben Ochs und Esel gibt es Rehe und Hirsche, Bären und Geflügel, sowie Enten in einem Bach. Drexlers Krippe ist biblisch und international, die Figuren sind alt und neu, ein "Sammelsurium" aus Jahrzehnten, wie die Nebelerin sagt.

Wie eine Mesnerin kümmert sie sich schon viele Jahre um die Kapelle, die der Stadt Germering gehört. Sie hält das Kirchlein sauber, schmückt es und baut jedes Jahr die Krippe auf, die von Anfang November bis Mariä Lichtmess steht, dem kirchlichen Ende der Weihnachtszeit am 2. Februar. Die Aufgabe, sich um die Kapelle zu kümmern, hat Drexler von ihrer Mutter übernommen, die sich um das kleine Gotteshaus kümmerte, seit ihre Eltern das nicht mehr konnten. Bis vor etwa 80 Jahren, so erzählt Drexler, war die Pflege der Kapelle Aufgabe der vier Bauernfamilien am Ort. Sie hatten das Kirchlein vom ehemaligen Hofmarkherren geschenkt bekommen und wechselten sich jährlich in der Pflege ab. Dann trugen die anderen drei ihrem Großvater das Amt des Pflegers an. Der übernahm auf Dauer diesen Dienst.

Die Krippe errichtet Drexler auf einem Holzbrett direkt vor dem Altar. Dann wird das Gelände aus Moos und anderem Naturmaterial modelliert, ehe die Figuren aufgestellt werden. Ein "Bach" durchzieht das Gelände, in ihm schwimmen Enten. Einige mehr könnten es sein, sagt Drexler. Alle Figuren hat sie in diesem Jahr noch nicht aufgestellt. Die Heiligen Drei Könige samt Gefolge fehlen noch. Bis Weihnachten sollen sie aber auch aus den Kisten ausgepackt sein und das Krippengeschehen in der Kapelle bereichern.

Gemeinschaftswerk

Albert und Hannelore Donhauser haben ihrer selbst gebauten Krippe im Wohnzimmer ein bayerisches Gepräge gegeben. (Foto: Leonhard Simon)

Eine bayerische Krippe mit einer Maria im Dirndl und einem Josef mit Hirschlederner und einer Trachtenjacke im Tegernseer Stil steht im Wohnzimmer von Hannelore und Albert Donhauser in Gröbenzell. Die opulente Szenerie, eine Gemeinschaftsarbeit des Ehepaars, steht im Wohnzimmer zwischen Esstisch und Wohnbereich, direkt gegenüber vom Kachelofen. 35 bis 40 Jahre ist das Stück inzwischen alt, ganz genau lasse sich das nicht mehr sagen, erklärt Albert Donhauser, der seine ersten Krippen schon als Pfadfinder gebaut hat. "Die Krippe ist ja nicht in einem Jahr entstanden", ergänzt er. Und am Anfang stand noch gar nicht fest, dass das als erstes entstandene Holzhaus einmal das Heim von Maria, Josef und dem neu geborenen Jesuskind sein würde. "Es sollte eigentlich gar keine Grippe werden, sondern einfach ein Bauernhaus", erinnert sich der 74 Jahre alte Donhauser, der sich mit seinen Auftritten als "Gröbi", dem Urwesen aus dem Moos, beim Gröbenzeller Starkbierfest eine gewisse Berühmtheit als Urbayer erworben hat. Seinerzeit, ergänzt seine Frau, seien sie viel im Oberland unterwegs gewesen, die Häuser dort hätten ihren Mann inspiriert. Und so entstand zunächst das Haus, gefertigt aus Holz, in mühevoller Kleinarbeit. 1200 von Hand geschnitzte Schindeln für das Dach hat Donhauser dafür gefertigt. Als es fertig war, dauerte es nicht mehr lange bis das bastelfreudige Ehepaar entschied, daraus eine Krippe zu machen.

Die etwa 20 Zentimeter großen Figuren gibt es einzeln zu kaufen, Kopf, Arme, Beine und einen Drahtkörper. Alfred Donhauser bemalte sie, seine Frau fertigte die Kostüme. Der 74-Jährige zeigt den Josef im Trachten-Janker. Die Strickjacke eines etwas abseits sitzenden Hirten verdeutlicht, welch kleinteilige Arbeit hinter der großen Krippe steckt: Statt mit Stricknadeln hat Hannelore Donhauser das Kleidungsstück mit Zahnstocher hergestellt. Die winzigen, vermeintlich echten Hirschhornknöpfe modellierte ihr Mann aus einer speziellen Knetmasse und bemalte in authentischem Braun-Beige. Die Krippe wird bei den Donhausers, die übrigens selbst in einem Holzhaus leben, am ersten Adventswochenende aufgebaut. Bis Lichtmess bleibe sie stehen, berichtet die 73-Jährige. Es ist aber nicht immer die große bayerische, es gibt auch noch eine platzsparende Alternative, die öfter im Einsatz ist. Doch in diesem so ungewöhnlichen Jahr hatte das Ehepaar genug Zeit und Muße, die große Krippe auszupacken und aufzubauen.

© SZ vom 24.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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