Verunsicherte Mitarbeiter:Bedrohung im Amt

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Der Umgangston von Besuchern des Landratsamts wird ruppiger und die Mitarbeiter werden zunehmend unter Druck gesetzt. Landrat Karmasin genügen Strafanzeigen nicht mehr, er setzt auf einen Sicherheitsdienst

Von Gerhard Eisenkolb, Fürstenfeldbruck

Die Angst vor Anschlägen hat das Sicherheitsgefühl von Behördenmitarbeitern verändert. So genügt es bereits, dass ein herrenloser Rucksack im Foyer des Landratsamtes in Fürstenfeldbruck herumsteht oder ein Karton mit irgendwelchen Papieren, der niemandem zuzuordnen ist, und schon kann es Mitarbeitern des Landratsamtes mulmig werden. Man fühlt sich einfach nicht mehr so sicher wie in früheren Zeiten, als es noch keinen Islamischen Staat gab, viel weniger Flüchtlinge, noch keine Reichsbürger, die "hässliche Briefe" schreiben, und vor allem noch mehr Respekt vor Amtspersonen und ihrer Tätigkeit, heißt es. Das alles sind Gründe dafür, dass die Landkreisbehörde bereits seit einigen Wochen über einen Sicherheitsdienst und ein neues Sicherheitskonzept verfügt.

Hat doch jeder die Bilder von Attentaten im Kopf und kennt zudem Kolleginnen und Kollegen, die an ihrem Arbeitsplatz im Landratsamt in besonders sensiblen Bereichen wie dem Jugend- oder Ausländeramt schon einmal bedroht wurden. Eine Geiselnahme wie die im Jahr 1989 im Jugendamt oder erst in jüngster Zeit die Bedrohung einer Mitarbeiterin der Kreiskasse mit einem Messer sind zwar die Ausnahme. Aber generell ist bei Behördenbesuchern die Hemmschwelle gesunken. Bürger rasten häufiger als früher aus, wenn Beamte oder Angestellte nicht tun wollen, was sie von ihnen erwarten.

Diese Erfahrung bestätigen sowohl Landrat Thomas Karmasin, als auch seine Abteilungsleiter, auch wenn sie mit den Details zu einzelnen Vorfällen äußerst zurückhaltend umgehen. Sie informieren in der Regel die Polizei, nicht aber die Öffentlichkeit, wenn zum Beispiel Reichsbürger Bedienstete mit der Forderung von Geldbeträgen in Höhe von 50 000 oder 100 000 Euro konfrontieren, was als versuchte Nötigung gilt, und in einem unfreundlichen Ton zu erkennen geben, dass ihnen der Rechtsstaat egal ist.

Erhöhung des Sicherheitsgefühls: Das Wachpersonal im Foyer des Landratsamts ist auf Wunsch der Mitarbeiter bestellt worden, die mit mehr und intensiveren Konflikten zu tun haben. (Foto: Günther Reger)

Mit mehr als 30 von der Polizei bestätigten Reichsbürgern im Landkreis müssen sich unterschiedliche Stellen im Landratsamt inzwischen herumschlagen, heißt es. Übrigens überprüft das Landratsamt inzwischen bei jedem, der im Verdacht steht, ein Reichbürger zu sein, automatisch, ob er einen Waffenschein hat und damit über Waffen verfügt. Soll doch vermieden werden, dass sich ein Vorfall wie der im vergangenen Jahr wiederholt, als ein Reichsbürger bei einer Razzia im mittelfränkischen Georgensgmünd einen Polizisten erschossen hat.

Auf die neue Sicherheitslage hat das Landratsamt reagiert, auch um der Fürsorgepflicht für verunsicherte Mitarbeiter nachzukommen, und ein neues Sicherheitskonzept erarbeitet. Die wichtigste Änderung kann jeder aufmerksame Besucher schon beim Betreten des Foyers wahrnehmen. Zwei Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes sind dort für jeden erkennbar postiert. Sie haben nicht nur die Besucher im Auge. Sie können, falls es erforderlich sein sollte, schnell jedes Büro erreichen und eingreifen.

Im Unterschied zum Fürstenfeldbrucker Amtsgericht muss jedoch nicht jeder Besucher der Kreisbehörde eine Sicherheitsschleuse passieren und seine Taschen öffnen. Im Landratsamt finden zwar auch Kontrollen von Taschen und Rucksäcken statt, aber dies geschieht nur im Verdachtsfall, also stichprobenartig. Mit der Größe der mitgeführten Taschen oder Koffer steigt allerdings die Wahrscheinlichkeit, diese beim Betreten des Gebäudes auch öffnen zu müssen. Es ist eine Gratwanderung, einerseits soll das Landratsamt so offen und bürgerfreundlich bleiben wie bisher, andererseits aber auch die Sicherheit der Mitarbeiter gewährleisten.

Zum Sicherheitskonzept gehört auch, dass das Landratsamt nur noch von der Münchner Straße aus zugänglich ist. (Foto: Günther Reger)

Hauptamtsleiter Wolfgang Kaufmann begründet die ständige Anwesenheit des Wachpersonals einer externen Firma. Das "größere Sicherheitsbedürfnis des Personals" sei der Auslöser gewesen, sagt er. Zudem habe es einige "größere Vorfälle gegeben", zu deren Details sich Kaufmann allerdings nicht äußern will. Gestiegen sei auch die Anzahl und die Intensität der Vorfälle, bei denen Behördenmitarbeiter bedroht wurden. Kaufmann bezeichnet diese Entwicklung als schleichenden Prozess. Wobei meist Frauen bedroht werden. Nicht als Bedrohungssituation gilt es, wenn bei einem Gespräch mit einem Besucher geschrien wird, es also laut zugeht.

Karmasins Büroleiterin und Pressesprecherin Ines Roellecke erläutert, warum sich der Unmut der Bürger häufiger in einem Landratsamt entlädt als in einem Rathaus. "Die existenziellen Einscheidungen konzentrieren sich aufs Landratsamt", sagt sie, "die dramatischen Entscheidungen werden hier getroffen." Brenzlig kann es immer dann werden, wenn es um Emotionen geht, also um Kinder, Familien, die eigene Existenz oder das Allernotwendigste zum Leben.

Eskalieren kann ein Gespräch auch, wenn dem Gegenüber nicht zu vermitteln ist, wie ein Rechtsstaat funktioniert oder wenn sich bei Menschen die existenziellen Probleme häufen. Laut Dietmar König, dem Leiter des Jugendamtes, neigt, wer mit dem eigenen Leben nicht zurecht kommt, schon mal dazu, andere für die eigenen Schwierigkeiten verantwortlich zu machen. Dann ist eben der Sachbearbeiter der Schuldige. Mitarbeiter des Sozial- oder Jugendamts haben zwar gelernt, mit solchen Konflikten professionell umzugehen. Grenzüberschreitungen, die konsequent mit einer Strafanzeige oder einem Hausverbot geahndet werden, lassen sich trotzdem nicht verhindern.

Um die von Roellecke angesprochenen dramatischen Entscheidungen geht es beispielsweise immer dann, wenn das Jugendamt ein Kind in Obhut nimmt, es also den Eltern entzieht, weil diese ihrer Erziehungsaufgabe nicht gewachsen sind. Steht das Sorgerecht fürs eigene Kind auf dem Spiel, oder geht es darum, das eigene Kind sehen zu dürfen, häufen sich Bedrohungssituationen. Auch wenn eine Geiselnahme wie im Jahr 1989 Einzelfall geblieben ist. Damals hatte ein Vater einen Mitarbeiter des Jugendamts mit einer Pistole bedroht, um sein Kind sehen zu können. Dietmar König spricht von konkreten Bedrohungen für Leib und Leben. "Wenn du mir mein Kind wegnimmst, nehme ich dir dein Kind weg." Mit solchen Aussagen sehen sich Mitarbeiter des Jugendamts laut dessen Leiter durchaus schon mal konfrontiert.

Existenziell wird es für jeden Flüchtling oder Asylbewerber, wenn ihm die Abschiebung droht. Kündigt ein Mitarbeiter des Ausländeramts einem Flüchtling die Abschiebung an, reagieren diese häufig mit der Drohung, Selbstmord zu begehen. Wie Asylkoordinator Andreas Buchner erläutert, werden in solchen Fällen Stellen eingeschaltet, die helfen können, das Schlimmste zu vermeiden. Auch über solche Reaktionen wird normalerweise nicht gesprochen. Unangenehm wird es auch, wenn Asylbewerbern, deren Antrag abgelehnt wurde, die Leistungen gekürzt werden, um sie zu einer freiwilligen Ausreise zu bringen. Als existenziell können Einzelne auch den Entzug ihres Führerscheins empfinden oder die Versagung einer Baugenehmigung, wofür ebenfalls das Landratsamt zuständig ist.

Und es gibt Situationen, in denen Behördenmitarbeiter sogar ein gewisses Verständnis für ihr ungehaltenes Gegenüber haben, auch wenn sie es nicht zeigen. Schließlich greifen viele Entscheidungen in deren Privatsphäre ein. Wie berichtet wird, freut sich zurecht niemand darüber, der im Ausland eine Frau geheiratet hat, die nach Deutschland ziehen soll, über Nachforschungen des Ausländeramts. In diesen Fällen geht es vor der Erteilung eines Visums darum, ob wirklich eine eheliche Gemeinschaft oder nur eine Scheinehe besteht.

© SZ vom 14.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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