Verbrechensopfer:"Wie ein Tier im Zoo"

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Helfer in der Not im Auftrag des Weißen Rings (von links): Günther Frank, Franz Pabst, Richard Oetker, Charlotte und Manfred Hofmann. (Foto: Günther Reger)

Richard Oetker hat seine Entführung 1976 knapp überlebt. Bei der 20-Jahr-Feier der Hilfsorganisation Weißer Ring Fürstenfeldbruck erläutert er im Landratsamt, warum Verbrechensopfer nicht allein gelassen werden dürfen

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Richard Oetker ist selbst Opfer eines Verbrechens geworden: Am 14. Dezember 1976 geriet sein Leben aus den Fugen. Er überlebte eine Entführung nur knapp. Der heute 65-Jährige gehört dem Bundesvorstand des von Eduard Zimmermann gegründeten Weißen Rings an. Die Hilfsorganisation feiert dieses Jahr ihr 40-jähriges, die Fürstenfeldbrucker Außenstelle gleichzeitig ihr 20-jähriges Bestehen. Bei der Feierstunde im Landratsamt schilderte Oetker am Donnerstag seine Erlebnisse und lobte die vielen Ehrenamtlichen, die den Opfern helfen.

Oetker gehört einer prominenten Familie an, der Name prangt auf vielen Produkten. Er selbst hat die Entführung gut verkraftet und weiß eine intakte Familie und einen engen Freundeskreis hinter sich. Die meisten Verbrechensopfer aber hätten es da deutlich schwerer, so Oetker. Ihnen leiste der Weiße Ring wertvolle materielle und immaterielle Hilfe. "Wir können stolz auf den Verein sein."

Bevor er dem Weißen Ring beitrat, hat der Unternehmer viele Jahre über seine Erlebnisse geschwiegen. Vor Bürgermeistern, Landratsstellvertreterin Martina Drechsler, Landtagsvizepräsident Reinhold Bocklet, zahlreichen Juristen sowie der Brucker Außenstellenleiterin Charlotte Hofmann und dem Landesvorsitzenden Franz Pabst blickte der Bielefelder nun aber noch einmal zurück auf die schwierigsten Jahre seines Lebens. Auf dem Weg nach Fürstenfeldbruck habe er einen Wegweiser nach Germering passiert und sich dabei sofort an den Kreuzlinger Forst erinnert, in dem er von seinem Entführer damals nach erfolgter Geldübergabe zurückgelassen worden war. "Ich bin aber trotzdem mit einem guten Gefühl gekommen", sagt Oetker.

1976 fühlt er sich "als Student wie jeder andere". Als er eines Abends die Uni in Weihenstephan verlässt, blickt er in die Mündung eines Revolvers. Ein Maskierter zwingt den 1,94 Meter großen jungen Mann in eine viel zu enge Kiste, fesselt ihn an Händen und Füßen und bringt ihn mit einem VW-Bus in einen Wald. Es folgen viele Stunden des Martyriums. Durch einen Stromschlag, den sein Entführer auslöst, wird der damals 25-Jährige schwer verletzt. Er bricht sich Wirbel und Beckenknochen - bis heute leidet Oetker an den Folgen. Doch auch nach der Entführung geht das Martyrium weiter. Es folgen eine dilettantische medizinische Erstversorgung, endlose Befragungen durch psychologisch nicht geschulte Polizisten und ein regelrechtes Spießrutenlaufen durch die Boulevardpresse. "Ich kam mir vor wie ein Tier im Zoo." Dabei haben die endlosen Befragungen, so sieht das Oetker heute, sogar etwas Gutes: Er kann reden, reden, reden. Zwei Jahre später wird Dieter Zlof verurteilt. 15 Jahre später, nach dessen Freilassung, wird Zlof mit dem Lösegeld in London geschnappt. Erst da verstummen die letzten Zweifel an dessen Schuld. Erst da schließt Oetker mit der Sache ab.

Oetker erzählt sachlich und detailreich. Auch davon, wie er verhinderte, dass sein Peiniger doch noch Kapital aus dem Verbrechen schlagen konnte durch den Verkauf von Filmrechten. Oetker kam Zlof zuvor und sprach ausführlich über seine Erlebnisse. Die Tantiemen für die Verfilmung unter dem Titel "Der Tanz mit dem Teufel" spendete er dem Weißen Ring.

Seiner Erfahrung zufolge scheuen sich manche Menschen aus falsch verstandener Rücksichtnahme, mit Opfern zu reden. Dadurch bestehe die Gefahr, dass diese ein zweites Mal isoliert würden. Der Weiße Ring setzt dort an. Er kümmere sich um alle Opfer "auf Augenhöhe" und helfe dabei, gesundheitliche, soziale oder auch finanzielle Probleme zu lösen, so Charlotte Hofmann In Fürstenfeldbruck wurden dafür in den zurückliegenden 20 Jahren etwa 100 000 Euro an Spenden eingesetzt.

Das "Opfer-Telefon" ist bundesweit gebührenfrei unter der Nummer 116-006 erreichbar

© SZ vom 21.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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