Unterwegs zu bekannten und neuen Ufern:Auf dem Absprung

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Seen-Rundfahrt zu entspannten Rentnern, einem Bub im freien Fall und dem Mann unter der Markise

Von Raphael Knipping

Rudi Schwarz steht in seinem schwarz-rot-goldenen Kiosk. Im Minutentakt taucht jemand vor seinem Tresen auf, um sich eine belegte Semmel, ein Eis oder eine Portion Pommes zu kaufen. Als gerade ein Junge an die Reihe kommt und um eine Cola bittet, meint Schwarz nahezu beiläufig: "Den kannte ich schon, als seine Mutter ihn noch auf dem Arm hatte." Schwarz kennt eigentlich jeden am Emmeringer See. Kein Wunder, denn vor 22 Jahren hat er das "Seegartl" das erste Mal aufgesperrt und die Markise rausgekurbelt. So auch an diesem hochsommerlichen Donnerstag im Juli. Viele Menschen freuen sich an so einem Tag über ein klimatisiertes Büro oder bleiben gleich daheim im Kühlen. Eine echte Alternative bieten dabei die Badeseen, von denen es vor allem im Osten des Landkreises, auf den Ausläufern der Schotterebene, viele gibt. Der größte im westlichen Bereich ist der Mammendorfer See. Er ist mit dem Auto in einer Viertelstunde von Fürstenfeldbruck aus zu erreichen und macht gleich bei der Ankunft einen traumhaften Eindruck. Im Gegensatz zu anderen Seen sind die vielen Stellplätze sogar kostenlos. Gleich nebenan liegen Schwimmbad und Campingplatz - von denen man allerdings am See kaum etwas mitbekommt. Von Feldern umgeben und an vielen Stellen mit wilder Vegetation umwachsen, lädt kristallklares, hellblaues Wasser zur Abkühlung ein. Während sich das gigantische weiße Windrad auf dem Hügel hinter dem See unermüdlich dreht, entspannen und sonnen sich die Badegäste auf der weitläufigen Liegewiese oder ziehen sich in die kleineren abgeschiedenen Bereiche zurück. Nur einige Kinder springen von der Schwimminsel oder dem Steg ins Wasser oder lassen sich auf einem Surfbrett treiben. Eine Vielfalt, die das Ehepaar Heinrich und Gerda Späth zu schätzen weiß. Die beiden Rentner zieht es bei diesem Wetter fast jeden Tag an den Mammendorfer See. Sie liegen gerade auf den mitgebrachten Liegestühlen unter einem Baum und machen Picknick. "Viel Schatten, viel Grün und viel Ruhe", das schätzt Gerda Späth ganz besonders an "ihrem" See. Wobei: Wenn die Schüler mit ihren Hausaufgaben fertig sind, wird es am See schon mal etwas lauter. Und der Rauch von "Wildgrillern" sei auch teilweise unangenehm. Doch in das angrenzende Freibad zu gehen, kommt für sie nicht in Frage. Denn beide mögen kein Chlor.

Um die Sicherheit kümmert sich derweil Sabine Pöller. Die Jugendleiterin der Wasserwacht sitzt auf der überdachten Terrasse der hölzernen Wasserwachthütte am Ostufer und unterhält sich mit ihren Kollegen. "Meist ist es ruhig", berichtet die Hausfrau und Kindergärtnerin. So ruhig, dass sie sich unter der Woche meist eher "zum Ratschen" treffen. Rund 300 Mitglieder hat der Verein. Hauptsächlich an Wochenenden und Feiertagen verrichten sie ihren ehrenamtlichen Dienst. Laut Pöller ereignete sich in letzter Zeit nur ein größerer Zwischenfall.

Dabei musste die Wasserwacht im vergangenen Jahr eine Person aus akuter Gefahr retten: ein Asylbewerber war auf dem Weg zur Schwimminsel in Not geraten. Seitdem stehen auffällige gelb-schwarze Schilder rund um den See, auf denen in fünf verschiedenen Sprachen vor dem steil abfallenden Ufer gewarnt wird. Ein relativ steil abfallender Grund ist charakteristisch für die Seen im Landkreis. Denn die meisten sind keine natürlichen Gewässer mit flachen Ufern, sie sind vielmehr durch das Ausbaggern von Kies entstanden. Darum lassen sich auch am weiter östlich gelegenen Emmeringer See derartige Warnschilder finden. 2015 waren dort innerhalb weniger Monate zwei Bewohner der einen Kilometer entfernten Asyl-Erstaufnahmeeinrichtung am Brucker Fliegerhorst ertrunken.

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(Foto: Johannes Simon)

Sonnige Impressionen vom Olchinger See.

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(Foto: Raphael Knipping/oh)

Heinrich und Gerda Späth lassen es auf der Liegewiese am Mammendorfer See ruhiger angehen.

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(Foto: Raphael Knipping/oh)

Das Seegartl in Emmering trägt schwarz-rot-gold, Rudi Schwarz den dazu passenden Nachnamen und das passende T-Shirt.

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(Foto: Raphael Knipping/oh)

In Mammendorf hat Sabine Pöller von der Wasserwacht Dienst.

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(Foto: Johannes Simon)

Badefreuden an der Amper.

Der Emmeringer See liegt direkt neben der Bundesstraße 471, und wer mit dem Auto an den See kommt, dem werden zuerst die blauen Parkautomaten auffallen. Einen Euro kostet hier die Stunde Parken - drei Euro der Tag. Unter der Woche ist das Parken hier kein Problem, aber am Wochenende wird es schon mal eng. Wenn man die Liegewiese betritt und freien Blick auf das Gewässer hat, bemerkt man sofort die deutlich geringere Vegetation im Uferbereich. Das bedeutet natürlich mehr Liegefläche, jedoch auch weniger Schatten und Privatsphäre. Auch ist der Emmeringer See im Vergleich zu seinem Mammendorfer Pendant um diese Uhrzeit schon deutlich stärker besucht.

Zur Freude von Rudi Schwarz. Auf etwa 600 schätzt der Kioskbesitzer die Zahl seiner Gäste an diesem Tag. Im Sommer ist er fast jeden Tag am See, um seine teils selbst hergestellten Produkte zu verkaufen. Kein Wunder also, dass er in seiner Zeit am See auch schon so einige Badeunfälle und Rettungseinsätze miterlebt hat. Zumal er meist der Erste ist, der informiert wird. "Da es hier keine Wasserwacht gibt, läuft die Erste Hilfe meist über den Kiosk", erzählt er. Insgesamt gebe es jedoch "eher wenig" Unfälle, meist mit glimpflichem Ausgang. Ihm fällt dabei das Seefest vor einigen Jahren ein. Schwarz hatte bei der Organisation mitgeholfen - es gab Livemusik, 2500 Besucher kamen. Als die Party richtig losgehen soll, kommt plötzlich ein Junge auf Schwarz zugerannt. Er habe gesehen, wie jemand ins Wasser gesprungen und nicht mehr aufgetaucht sei. Ein einsames Paar Turnschuhe scheint den Verdacht zu erhärten. Also wird die Wasserwacht alarmiert und das Seefest unterbrochen, um eine Vermisstensuche einzuleiten. Als sich der Verdacht nach zwei Stunden als Irrtum herausstellt, kann die Band endlich anfangen zu spielen. "Nach zehn Minuten hat es dann angefangen zu regnen und die Stimmung war hinüber", erinnert sich Schwarz und lacht.

Es bietet sich an, die Seen im Landkreis auch als Kulturstätten für Freiluftveranstaltungen zu nutzen. So gibt es am Eichenauer Baggerweiher und am Pucher Meer sogenannte "Seerenaden", bei denen Orchester abends unter freiem Himmel spielen. Freunde der elektronischen Tanzmusik ließen sich erst am vergangenen Wochenende zu einem Open Air Festival in den Biergarten von Pier 80 am Pucher Meer locken. Kulturell und kulinarisch kann man im Restaurant "Villa Romantica" direkt am Ufer des Olchinger Sees auf seine Kosten kommen. Auch dort spielen oftmals Künstler im Freien und bringen ein Stück italienische Lebensfreude nach Olching.

Silas Hölscher stürzt sich vom Baum aus in den Olchinger See. (Foto: Raphael Knipping/oh)

Der Olchinger See ist mit mehr als 14 Hektar der mit Abstand größte See im Landkreis und mit seiner Lage zwischen den beiden Städten Olching und Gröbenzell gut zu erreichen. Auch dort ist das Parken kostenpflichtig. Für eine Stunde werden 50 Cent fällig, für einen Tag drei Euro. Allein durch seine Größe ist der Olchinger See sehr facettenreich. Während am Kiosk und am Steg großes Getümmel herrscht und sich Kinder in zwei Schlauchbooten bekämpfen, entspannen sich viele Sonnenanbeter auf einer der großen Liegewiesen sowie in den kleineren und versteckteren Bereichen. Gegenüber der "Villa Romantica", direkt am Ufer, ragt ein Baum über das Wasser, den bereits mehrere Generationen junger Badegäste für eine Mutprobe genutzt haben. An ihm ist in etwa fünf Metern Höhe ein Schwingseil angebracht - und in den Stamm geschraubte Holzsprossen führen zu einem großen Ast, von dem aus man sich ins kühle Nass stürzen kann. Einige Mutige trauen sich auch noch weiter den Baum hinauf, um aus etwa acht bis zehn Meter hinunterzuspringen. Einer von ihnen ist Silas Hölscher. Der 15-jährige Olchinger geht in München zur Schule und hat an diesem Tag Hitzefrei bekommen. Diese Gelegenheit hat er natürlich sofort genutzt und ist mit dem Fahrrad an den See gefahren, um sich mit einem Freund zu treffen. Die "Schubsereien auf dem Steg" und die "Affenschaukel" machen ihm am meisten Spaß. Einmal habe die Stadt das Seil entfernt. "Wahrscheinlich wegen der Unfallgefahr", vermutet er. Doch ziemlich schnell haben Jugendliche für Ersatz gesorgt. Und so kann Silas mit erstaunlicher Leichtigkeit wieder den Baum hochklettern und landet einige Augenblicke später mit einem lauten Platscher im Wasser.

Diese und ähnliche Beobachtungen lassen sich auch an anderen Badeseen machen. Alle dienen den Menschen in der Umgebung als Orte der Begegnung, der Entspannung, der Kultur und des Sports.

© SZ vom 15.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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